Diese Männerfreundschaft ist kein Macho-Kitsch
Film. „Acht Berge“zeigt zwei Männer, die in den italienischen Alpen ein Refugium finden. Berührend.
Natur, klagt Bruno (Alessandro Borghi), sei nur ein abstrakter Begriff von Städtern. Für ihn gebe es Wald, Wiese, Fluss, Felsen, aber nicht „die“Natur. Tatsächlich hat er die Alm in den italienischen Alpen, wohin er schon als Kind vom trinkenden Vater verbannt wurde, nie verlassen. In der Nähe haben die Eltern seines Freundes Pietro (Luca Marinelli) ein Ferienhaus. Für Pietro, der in Turin lebt, sind die Berge ein erhabener Rückzugsort, eine zweite Heimat; für Bruno sind sie die einzige Wirklichkeit.
Ihre Freundschaft entwickelt sich im gemessen erzählten Filmdrama „Acht Berge“unstet: In den 1980er-Jahren lernen sie sich als Buben kennen, in den 1990ern verlieren sie einander aus den Augen, in den 2000ern finden sie wieder zueinander: Pietro erbt von seinem Vater, mit dem er längst gebrochen hat, eine Ruine in den Bergen. Bruno, der während der langen Funkstille zum Ersatzsohn für Pietros Papa aufgestiegen ist, verwandelt den Bretterhaufen in ein wetterfestes Steinhaus. Pietro erklärt es nach der Fertigstellung zu ihrem gemeinsamen Besitz. Fortan zelebrieren sie dort so gut wie jeden Sommer ihre Freundschaft.
Diese Zeitspanne, auf die sich die Handlung konzentriert, ist nie lang. Schon beim Wiedersehen ist der Abschied nahe. Das Leben davor und danach wird in Fragmenten offenbart: Man sieht Pietros Alltag in monotonen Jobs und als angehender Schriftsteller.
So gut wie Bruno kenne ihn keiner, beteuert er lakonisch im Off, während die malerischen Bilder durch ihr schmales Format ein Gefühl der Enge erzeugen.
Jury-Preis in Cannes
„Acht Berge“(basierend auf dem Roman des Italieners Paolo Cognetti) ist eine so meditative wie mitreißende Romanze über eine Männerfreundschaft. In Cannes erhielt das belgische Regieduo Felix van Groeningen und Charlotte Vandermeersch dafür heuer den Jury-Preis. In den Jubel mischten sich kritische Stimmen: Bärtige, wortkarge Kerle, die in Holzfällerhemden ein Haus in der Wildnis bauen und am Lagerfeuer einsilbig über ihre Vaterkomplexe raunen, seien ein Fall von Macho-Kitsch. Doch wer genauer hinschaut, erkennt zwei hochsensible Menschen, die nicht Kraftmeierei und Nostalgie, sondern Liebe und Melancholie dazu antreiben, ein notdürftiges Refugium gegen die unbarmherzige Zeit zu errichten.
Beide halten zwanghaft an ihren Lebenskonzepten fest. Bei Pietro ist es Wiederholungszwang: Er will nach Nepal ziehen, in eine Gegend, die seiner Alpenzuflucht enorm ähnlich sieht. Auch er wird die Berge nicht los. Pietro kommt nie an, Bruno nie heraus: Der eine ist Gefangener seiner Freiheit, der andere seiner Herkunft. Nicht aus naiven oder patriarchalen Idealen gewinnt dieser feinsinnige Film seine berührende Romantik, sondern daraus, dass seine Helden trotz aller Unterschiede zusammenhalten.