Der Triumph des Kindes
Geburt Jesu. Schon der Evangelist Lukas war bestrebt, die Geschichte von der Geburt Jesu vor dem Hintergrund des Römischen Reiches zu erzählen. So auch die Renaissancekünstler.
Man weiß schon lang, dass das abendländische Christentum das Heidentum nicht einfach ausgerottet, sondern auch manches Heidnische in sich integriert und in die eigenen Dienste gestellt hat. Auch in christlichen Kirchen. Besucht man die Basilika Santa Trinita in Florenz, findet man in einer der Seitenkapellen einen Freskenzyklus, der neben seinem Hauptthema, dem Leben des Heiligen Franziskus, auch den römischen Kaiser Augustus zeigt. Dargestellt ist die Traumvision, in der ihm eine wahrsagende Sibylle die Geburt eines mächtigen Kindes ankündigt. Die christliche Legende wurde im Mittelalter populär und als Hinweis auf die Ankunft von Christus auf Erden gedeutet.
Es gibt bei Kunstwerken wie diesen keinen Zufall. Sibylla hieß auch die Tochter des Mannes, der den Bau der Kapelle in Auftrag gegeben hat. Es war der Florentiner Francesco Sassetti (1421–1490), der Bankier der Familie Medici. Er verkörperte als typischer Renaissancemensch die Symbiose von moderner Zeit und Antike, er war Finanzexperte und gebildeter Humanist. Für die Ausstattung seiner Grabkapelle in Santa Trinita beauftragte er einen Künstler, der damals für die angesehensten Familien in Florenz arbeitete: Domenico Ghirlandaio. Die Arbeit dauerte zwei Jahre, von 1483 bis 1485. Ghirlandaio gab sich bei der Erfüllung von Sassettis Auftrag viel Mühe, hier konnte ein Referenzwerk entstehen, das seine Karriere beflügelte, was ihm auch gelang. Kurz darauf schloss sich der ganz junge Michelangelo der florierenden Werkstatt des Künstlers als Lehrling an.
Es gibt bei der Ausgestaltung der Kapelle keinen Quadratzentimeter, der nicht mit Symbolik durchtränkt wäre. Zentrales Meisterwerk ist das Altarbild „Die Anbetung der Hirten“(siehe Bild oben).
Der Einfluss der flämischen Malerei
Die florentinische Kunstszene wurde damals von der flämischen Malerei beeinflusst. Genau in dem Jahr, in dem Ghirlandaio mit der Arbeit begann, sandte Hugo van der Goes eines seiner Hauptwerke nach Florenz, das Portinari-Triptychon, ebenfalls eine Hirtenszene. Der Stifter, Tommaso Portinari, war der Vertreter des Medici-Bankhauses in Brügge und hatte es ebenfalls für die Kapelle seiner Familie in Florenz in Auftrag gegeben. Eine deutliche Parallele und ein Hinweis auf das Konkurrenzverhältnis, in dem die reichen Bankiers zueinander standen. Wer hatte den besten Künstler?
Die Anregung durch den flämischen Maler zeigt sich im Fall von Ghirlandaio vor allem in den Porträts der Hirten mit ihren harten und lebensnahen Gesichtszügen. Kein italienischer Künstler dieser Zeit malte einen Mann mit solch einer ausgeprägten Nase oder solchen Lippen, wie sie der Hirte am rechten Rand hat. Einer von ihnen legt die Hand an die Brust und sieht sich fragend nach seinen Begleitern um, ob auch sie sich der Bedeutung dieses Ereignisses bewusst seien. So wie er den anderen den Weg zur Krippe gewiesen hat, macht es nun der Maler für uns. Er porträtierte sich hier selbst.
Auch bei der Darstellung der anbetenden Jungfrau Maria bestechen die symbolhaften Details. Ghirlandaio stellt Maria nicht nur als Frau dar, die über den Erlöser nachdenkt, sondern auch als Mutter, die ihr Kind anschaut und für es betet. Die Intimität und Beziehung zwischen Mutter und Kind wird durch die Platzierung des Säuglings auf dem aufgefächerten Mantel der Jungfrau weiter betont. Die heftige Gestik von Joseph symbolisiert das Wunderbare des Geschehens.
Sattel und Karren auf der linken Seite kündigen die gemeinsame Flucht des Paares nach Ägypten an. Links oben ist in einem Zeitsprung zurück die Szene zu sehen, in der ein Engel die bei ihren Herden schlafenden Hirten auf das große Ereignis hinweist. Selbst die drei Steine im Vordergrund, ein Naturstein und zwei rötliche Ziegel, haben Bedeutung. Sie verweisen auf die Stifterfamilie Sassetti (sasso bedeutet auf Italienisch Stein). Der Stieglitz ist wegen seiner Vorliebe für Disteln und der Rotfärbung des Kopfes ein Symbol für die Passion Christi.
Ochs und Esel einträchtig an der Krippe sind, wie wir wissen, keine zufällig hier anwesenden Stallbewohner. In der neutestamentlichen Geburtserzählung von Lukas werden sie nicht erwähnt. Sie verweisen vielmehr auf ein theologisches Problem der Missionierung aus der Zeit des Apostels Paulus: Muss ein Heide, der Christ wird, beschnitten sein? Es setzte sich die tolerante Auffassung durch, dass Juden und Heiden gleichberechtigt die Taufe empfangen können. So stehen der beschnittene Ochs und der unbeschnittene Esel einträchtig nebeneinander, als Zeichen von niemanden ausschließender Toleranz.
Der Sinn der antiken Überreste
Worin sich diese Bethlehem-Szene jedoch am stärksten von anderen Darstellungen unterscheidet, ist das pralle Leben rund herum und die Dichte, mit der antike Überreste auftauchen, etwa der Sarkophag, der als Futterkrippe dient, die kannelierten Säulen und der Triumphbogen. Sie alle verweisen auf die Geburt des Christentums in einem heidnischen Kontext. Ghirlandaio ist hier also nahe an Lukas, dem einzigen der Evangelisten, der sich bemüht, die Geschichte von Jesu Geburt vor dem Hintergrund des Römischen Reiches zu erzählen. Auf dem Triumphbogen ist zu lesen: „Der Priester Hyrcanus errichtete diesen Bogen zu Ehren von Gnaeus Pompeius dem Großen.“Das bezieht sich auf das Jahr 63 v. Chr., in dem in Jerusalem ein Bogen für Pompeius errichtet wurde, weil er die Plünderung des Tempels nicht zugelassen hatte. Hyrcanus war damals Hohepriester.
Indem der Maler nun die Heiligen Drei Könige wie eine siegreiche Truppeneinheit durch den Bogen ziehen lässt, den Blick fest auf den Stern über dem Stalldach gerichtet, versinnbildlicht er den Triumph des Christentums über das Heidentum. Die Ankömmlinge werden Jesus Christus als ihren König anerkennen. Auch mit dem antiken Sarkophag wird der Übergang der jüdischen und heidnischen Religionen zur christlichen dargestellt. Die Inschrift besagt, dass das vom antiken Wahrsager Fulvius stammende Grab einst von einem Gott benutzt werden würde. Ebenso erinnern die beiden gerillten Säulen, auf denen ein fragiles Stalldach ruht, daran, dass das Christentum auf den Ruinen anderer Konfessionen errichtet wurde.
Aus dem Alten entstand das Neue. Es ist daher folgerichtig, dass im Hintergrund die Städte Jerusalem und Rom zu sehen sind. Die beiden Reiche, das hebräische und das römische, gingen dem neuen Reich Christi voran. Der Übergang der Vorherrschaft von den Römern zum Christentum ist danach nicht in der Bekehrung von Kaiser Konstantin und seiner mächtigen christlichen Armee zu suchen, sondern in der Geburt eines Kindes, das zuerst von einfachen Hirten angebetet wurde.