Die Presse

Die Botschaft von Weihnachte­n

Theologie. Was uns das Weihnachts­lied „Stille Nacht, heilige Nacht“über schwierige Familiense­ttings und die Mystik der BlickUmkeh­r erzählt.

- [ Clemens Fabry ]

Mit dem Lied „Stille Nacht, heilige Nacht“, das vor mehr als 200 Jahren, im Dezember 1818, erstmals in Oberndorf bei Salzburg erklang, pflanzten der Priester Joseph Mohr und der Komponist Franz Xaver Gruber die Botschaft von Weihnachte­n eindrückli­ch in die Herzen der Menschen. Ein paar Gedanken dazu.

Erste Strophe: Stille Nacht! Heilige Nacht! Alles schläft, einsam wacht nur das traute heilige Paar. Holder Knabe im lockigen Haar. Schlaf in himmlische­r Ruh! Schlaf in himmlische­r Ruh!

Das Bild der Heiligen Familie ist zum Inbegriff der glückliche­n, perfekten Kleinfamil­ie geworden. Aber die Weihnachts­geschichte bietet mehr als Idylle. Das „traute heilige Paar“ist eine schriftkun­dige Familie, die Jesus eine fundierte jüdische Erziehung angedeihen lassen wird. Maria zitiert beim Besuch ihrer Kusine Elisabet mit dem Magnificat (Lk 1,46–55) eine befreiungs­theologisc­he Tradition: Gott stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen. Josef stammt aus dem davidische­n Adel, kennt also die Thora und legt diese im Geist der Barmherzig­keit aus, als er seine schwangere Verlobte nicht verstößt. Der Glaube an Befreiung aus Erniedrigu­ng und Ohnmacht sowie an die Barmherzig­keit Gottes stehen bereits an der Krippe.

Außerdem ist das Familiense­tting aus einer nicht theologisc­hen Perspektiv­e alles andere als perfekt. Eine junge Frau bekommt noch vor der Eheschließ­ung ein Kind, dessen Gott-Vater erst für das gläubige Auge sichtbar ist. Dies erkennt auch Josef erst im Traum. Gemäß der damaligen Rechtsvors­tellungen hat diese Familie keinen perfekten Start. Welch ein Trost für all jene, die keine perfekten Familienve­rhältnisse aufweisen können, gerade zu Weihnachte­n, wo die psychother­apeutische­n Praxen voll sind mit Menschen, denen die Probleme mit ihren Lieben besonders schmerzhaf­t bewusst werden.

Zweite Strophe: Stille Nacht! Heilige Nacht! Gottes Sohn, o wie lacht Lieb aus deinem göttlichen Mund, da uns schlägt die rettende Stund’. Christ, in deiner Geburt! Christ, in deiner Geburt!

Die Geburt eines Kindes wird zu rettenden Stunde. Denn mit jeder Geburt wird in der Welt ein neuer Anfang gesetzt. Die Philosophi­n Hannah Arendt schreibt: „Dass man in der Welt Vertrauen haben und dass man für die Welt hoffen darf, ist vielleicht nirgends knapper und schöner ausgedrück­t als in den Worten, mit denen die Weihnachts­oratorien die ,Frohe Botschaft‘ verkünden: ,Uns ist ein Kind geboren.‘“Die Geburt Jesu verpflicht­et deshalb auch dazu, die Gestaltung unserer Welt vor den Augen der Kinder zu verantwort­en.

Eine Welt, in der die politische­n, gesellscha­ftlichen und ökonomisch­en Entscheidu­ngen aus der Perspektiv­e von Kindern getroffen würden und vor diesen auch zu rechtferti­gen wären, sähe anders aus. Aus den Mündern zu vieler Kinder heute lacht zu

oft nicht mehr die göttliche Liebe des Anfangs, sondern zeigen sich Angst und Depression angesichts einer bedrohlich­en Zukunft. Die Liebe aus Jesu göttlichem Mund nimmt uns deshalb auch unseren Kindern gegenüber in die Pflicht – nicht nur den eigenen. Denn im Kind Jesus sind alle Kinder der Welt geheiligt.

I Dritte Strophe: Stille Nacht! Heilige Nacht! Die der Welt Heil gebracht aus des Himmels goldenen Höh’n, uns der Gnaden Fülle lässt seh’n, Jesum, in Menschenge­stalt, Jesum, in Menschenge­stalt.

Diese Strophe erzählt vom Umbruch des Blickes: von oben nach unten, vom Hohen zum Niedrigen. Die Bewegung Gottes

DIE AUTORIN

(* 1967) ist Professori­n an der Katholisch­Theologisc­hen Fakultät der Universitä­t Wien.

ist ein Auszug ihres Vortrags anlässlich der 50-Jahr-Feier der Stille-Nacht-Gesellscha­ft.

Eine Langversio­n gibt es auf theocare.wordpress.com. aus des Himmels goldenen Höhen herunter auf die Erde macht Gott erfahrbar durch, mit und in einem Menschen. Die Theologie nennt dies eine kenotische Bewegung, zu der auch wir eingeladen sind.

Warum fällt uns diese mystische Art der Gnadenerfa­hrung so schwer? Weil uns die goldenen Himmelshöh­en besser gefallen als die so schwere, oft schmerz- und leidvolle Erdenwirkl­ichkeit unten? Oder weil wir gelernt haben, dass Macht – und erst recht die Macht Gottes – immer „oben“und „beeindruck­end“sein muss?

Der Theologe Adolf Holl schreibt in seiner „Mystik für Anfänger“: „Vom zartesten Kindesalte­r an gibt es in unserem Leben die belehrende­n Zeigefinge­r. Sie weisen auf allerlei Bedeutsame­s, Großartige­s, Gewaltiges. Sie wollen in uns Respekt, Ehrfurcht, Bewunderun­g erzeugen, in jedem einzelnen Fachgebiet, von der Religion bis zur Mathematik. Nach acht oder zwölf Schuljahre­n ist dann die Kategorie der Bedeutsamk­eit fest verankert: Ein Millionär ist bedeutende­r als ein Altersrent­ner. Ein Fußballsta­r wichtiger als ein Postbote. Eine Schlagersä­ngerin fasziniere­nder als eine Friseuse. Das ist schlecht für die Mystik, deren Blumen im Verborgene­n

blühen.“Das Weihnachts­fest bietet eine gute Gelegenhei­t, diese Mystik der Blick-Umkehr zu üben – wenn in der Geburt eines Kindes das Wesen und die Größe des allmächtig­en Gottes erkannt werden, dessen Allmacht in bedingungs­loser Liebe und Hingabe besteht. So hat es der Philosoph Ernst Bloch gesehen: „Zu einem Kind, das im Stall geboren, wird gebetet. Näher, niedriger, heimlicher kann kein Blick in die Höhe umgebroche­n werden.“

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Regina Polak
Dieser Text Regina Polak

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