Warum Snowflakes nicht einfach Schneeflocken sein können
Hinter schönen Begriffen verbirgt sich das ganze Ausmaß tiefer Verachtung. So wird eine ganze Generation als „Weicheier“diffamiert. Das ist ungerecht.
Da es mit weißen Weihnachten in weiten Teilen Österreichs wohl auch dieses Jahr nichts wird, muss man sich um Schneeflocken weiter nicht kümmern – wäre da nicht ihr Missbrauch im Politischen. Wie schon beim Wort „Gutmensch“so wurde – ausgehend von den USA, wo sonst? – auch der Begriff „Snowflakes“total ins Negative verdreht.
Gutmensch, eigentlich ein guter Mensch in des Wortes ursprünglicher Bedeutung, gilt heute als enervierend empathischer, politisch korrekter Mitbürger. Wer andere als Gutmenschen bezeichnet, meint das abwertend, verunglimpfend, im besten Fall ironisch.
So verhält es sich auch mit den Schneeflocken. Eigentlich ein Wunder der Natur, heute im Politischen aber die Abwertung, oft der ganzen Generation der zwischen 1995 und 2010 Geborenen. Häufig aufgetaucht in ihrer neuen Bedeutung sind die „Snowflakes“im Kampf um die US-Präsidentschaft 2016. Für die Republikaner Donald Trumps waren (sind) alle politischen Gegner Snowflakes, Schneeflocken, deren Politik und Überzeugungen sich auflösen würden wie der Schnee in der Sonne. So fand sich der Begriff auch unter den zehn Wörtern des Jahres 2016. Ursprünglich hatten sie auch im übertragenen Sinn nicht das Geringste mit den Vorwürfen zu tun, denen man ihnen heute macht: zu liberal, zu politisch korrekt, zu angerührt, zu sensibel, zu emotional, zu wenig widerstandsfähig.
Ursprünglich meinte der Begriff im gesellschaftspolitischen Sinn Afroamerikaner mit weißen Haaren oder Afroamerikaner, die sich wie Weiße benommen hatten. Das ist Jahrhunderte her. Zeit genug für eine doppelte Mutation der armen Schneeflocken.
Bleibt die Frage, was die politische und mediale Kaste oder auch Individuen dazu treibt, mit solcher Inbrunst wie in den vergangenen Jahren positiv besetzte Begriffe in ihr Gegenteil zu verkehren.
Eine mögliche Erklärung: Es kann hinter einem ursprünglich wenig aggressiven Wort das ganze Ausmaß der Verachtung verborgen bleiben. Wie ungerecht das jedoch in Bezug auf die modern gewordene Verurteilung einer ganzen Generation als – umgangssprachlich interpretiert – Generation „Weicheier“ist, beweist die Zeit seit Ausbruch der Pandemie und des ersten Aggressionskriegs in Europa seit 1945. Wenig Widerstandsfähigkeit, unveränderte Ansprüche an einen hohen Lebensstandard, Sicherheit und eine friedliche Zukunft kann ehrlicherweise niemand dieser Generation im Winter 2022 zuschreiben.
Wir sollten mit den gegenseitigen Abwertungen und Beleidigungen ehrlicher umgehen und auf eine Zeit hoffen, in dem Schneeflocken wieder nichts anderes sind als wunderschöne Schneekristalle.
Was treibt die politische und mediale Kaste dazu, mit Inbrunst positiv besetzte Begriffe in ihr Gegenteil zu verkehren?
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