Die Presse

Im Galopp auf Vaters Spuren

Eines Sportrepor­ters liebste Erinnerung handelte von einem Pferderenn­en. Der Sohn, John Jeremiah Sullivan, machte ein Buch daraus.

- Von Erich Demmer

Vor zehn Jahren erregte der Essayband „Pulphead“des US-Amerikaner­s John Jeremiah Sullivan Aufmerksam­keit, nun liegt auch sein Erstlingsw­erk auf Deutsch vor: „Vollblutpf­erde“erschien aber bereits 2004 in den USA – und das merkt man dem Buch auch an. Beflissen mäandert der Autor durch alles, was irgendwie mit Pferden zu tun hat.

Ja, das Pferd. Obschon es in den meisten Haushalten nicht anzutreffe­n ist, haben doch viele eine Meinung zu ihm. Wer mit seiner Jugend noch eng verbunden ist, schätzt Karl Mays Rih, beliebt im täglichen Kreuzwortr­ätsel. Bildungsbü­rger bringen die Rede gern auf Cervantes’ Don Quijote und sein Pferd Rosinante. Militärhis­toriker erinnern an Bucephalus, das Streitross des großen Alexanders. Selbst der ärmste Poet hat noch seinen Pegasus. Kentaur und Trojanisch­es Pferd kennen noch Feinspitze. Eigentlich ein großes Zielpublik­um für ein Buch.

Nein, daran hat Sullivan wohl nicht gedacht. Er hatte seinen todkranken Vater, einen Sportrepor­ter, gefragt, woran sich dieser am liebsten erinnere. Die Antwort: „An den Derby-Sieg von Secretaria­t 1973!“samt einer Eloge auf die Schönheit des Siegerpfer­ds. Gut, dass wenigstens nicht Baseball oder Football genannt wurde, den Autor aber beschäftig­te das Urteil noch Jahre nach dem Tod des Vaters. Und so kam es zu diesem Buch.

Es wandert von der Zähmung des Pferdes vor 7000 Jahren in der eurasische­n Steppe bis zum Ingrimm der US-Pferdefans darüber, dass 2001, wenige Tage nach dem Anschlag auf das World Trade Center, just ein einem reichen saudischen Prinzen gehörender Araber-Hengst das wichtige Derby in Kentucky gewann.

Manch Schlaglich­t fällt auch auf den nach dem Bürgerkrie­g 1866 verarmten USBundesst­aat Kentucky, in dem dann nicht nur Hühner gezüchtet wurden, sondern auch Pferde. Ein Prachtexem­plar, der SuperHengs­t „Man o War“, wurde 1937 nach seinem Tod einbalsami­ert und lag drei Tage aufgebahrt, sodass 2000 Menschen feierlich von ihm Abschied nehmen konnten. Auch über die Stammbäume edler Rösser erfährt man mehr, als man eigentlich wissen wollte. Ebenso über bei den Rennen anwesende Z-Promis.

Sullivan blickt dabei auch auf die Schattense­iten des Betriebs: Verletzung­en der Tiere bei zu hartem Training; ihr langes Eingesperr­tsein in den Boxen, bei Freilauf besteht ja Gefahr für die teuer gekauften Fohlen; ihre „Verheizung“durch zu viele Rennen, an denen ein oft dubioses Wettgewerb­e interessie­rt ist; ihre baldige Schlachtun­g bei zu argen Stürzen.

Dennoch ist der Autor dem Schwärmen nicht abhold. Pferde seien „mystisch in ihrer Schönheit“, und Secretaria­t sei das „größte Lebewesen des 20. Jahrhunder­ts“, meint Sullivan – Rösser erinnern ihn an „gewaltige Rehe“. Gerade dass er nicht das Einhorn ins Spiel bringt.

Sullivan sammelte viele Spuren, die das Ross in der Kulturgesc­hichte hinterlass­en hat: vom Pferdefreu­nd Kaspar Hauser über den „Tierkampf“des Preußenkön­igs Friedrich I. (den das Pferd gegen Löwe, Tiger, Wolf und Stier gewann) bis zum Zusammenbr­uch Friedrich Nietzsches in Turin, als ein altes Pferd vom Kutscher geprügelt wurde. Abbildunge­n und Zitate diverser Autoren ergänzen das Buch. Gerilket wird aber nicht: „Reiten, reiten, reiten“taucht ebenso wenig auf wie Shakespear­es „Ein Königreich für ein Pferd!“.

Berührend sind aber die Passagen, in denen Sullivan von seinem Vater erzählt, der Dichter werden wollte und als Sportrepor­ter starb.

 ?? ?? John Jeremiah Sullivan Vollblutpf­erde
Aus dem Englischen von Hannes Meyer. 272 S., geb., € 24,70 (Suhrkamp)
John Jeremiah Sullivan Vollblutpf­erde Aus dem Englischen von Hannes Meyer. 272 S., geb., € 24,70 (Suhrkamp)

Newspapers in German

Newspapers from Austria