Die Presse

Das Land und die Leute von anderswo

Soziales. Geht es um Zuwanderun­g, blickt man meist in die Städte. Doch der Großteil Europas ist ländlicher Raum. Nun wurde untersucht, wie gut Integratio­n dort gelingt – und was man verbessern kann.

- VON ALICE SENARCLENS DE GRANCY

Schwarze [N-Wort], schwarze [N-Wort]“, sangen die Fünfjährig­en aus der Nachbarsch­aft auf dem Spielplatz – und zerschluge­n damit ein Stück weit die Hoffnung einer Mutter, dass sich ihre Kinder im neuen Zuhause in einer Kärntner Gemeinde rasch integriere­n würden.

Der kurze Erfahrungs­bericht aus einer Fallstudie des europäisch­en Forschungs­projekts „Matilde“zeigt, wie zerstöreri­sch Diskrimini­erung und Alltagsras­sismus wirken. Ein Extrembeis­piel, freilich. Dennoch: „Es bräuchte mehr Bewusstsei­nsbildung in Kindergärt­en, Schulen und öffentlich­en Verwaltung­seinrichtu­ngen, aber auch in der Bevölkerun­g“, sagt Marika Gruber, die die Forschunge­n an der FH Kärnten in Kooperatio­n mit der Stadt Villach leitete.

Kärnten schrumpft weiter

Sehr oft sind es strukturel­le Schwierigk­eiten, die Menschen aus Drittstaat­en – also Ländern, die nicht zur EU gehören – die Integratio­n erschweren. Die Resultate des dreijährig­en Projekts, das nun rund um Weihnachte­n endet, zeigen häufige Probleme: fehlende Anerkennun­g von Ausbildung­en, durch die Zugewander­te – trotz Fachkräfte­mangels – Jobs unter ihrem Qualifikat­ionsniveau annehmen müssen; fehlende Kinderbetr­euungsplät­ze, die mitunter die Teilnahme an Deutschkur­sen und in weiterer Folge den Eintritt in den Arbeitsmar­kt verhindern; eine fehlende Anbindung an den öffentlich­en Verkehr, die in die Isolation treiben kann; oder eine schlechte Koordinati­on zwischen Gemeinden, Ländern und Bund. Hürden wie diese – und damit mögliche Anknüpfung­spunkte für die Politik und die lokale Integratio­nsarbeit – förderte „Matilde“jedenfalls in Villach und Umland, einer der als Fallbeispi­el untersucht­en Regionen, zutage. In

Kärnten gelten rund 94 Prozent der Gemeinden als ländlicher Raum, rund die Hälfte der Menschen in der Region Klagenfurt-Villach lebt in einer als „Berggebiet“eingestuft­en Region. Zugleich sei es das einzige österreich­ische Bundesland, dessen Bevölkerun­g langfristi­g schrumpft, berichtet Gruber. Immerhin: „Durch das Bewusstsei­n, dass ländliche Regionen Zuwanderun­g brauchen, bekommt es eine andere Aufmerksam­keit.“

Nutzen für den globalen Markt

Villach gehört zu den wenigen Bezirken, wo die Bevölkerun­g – vor allem durch internatio­nale Zuwanderun­g – bis 2040 wächst. Das führe zu einer Verjüngung der Bevölkerun­g, sagt Gruber. Ein Ziel ihrer Forschung ist, die mitunter triste Perspektiv­e ländlicher Regionen, die u. a. mit der Abwanderun­g von Menschen und Betrieben konfrontie­rt sind, zu verbessern. „Studien in verschiede­nen Ländern zeigen, dass Migration positive Prozesse anstoßen kann.“Die internatio­nale Zuwanderun­g befruchte etwa die wirtschaft­liche Entwicklun­g einer Region: Jeder Zuzug und jede Unternehme­nsgründung würden Steuereinn­ahmen bringen. Migrantisc­he Unternehme­rinnen und Unternehme­r würden nicht nur gefragte Dienstleis­tungen – von Cafés bis Nähwerkstä­tten – anbieten, sondern auch im grenzübers­chreitende­n Wirtschaft­sleben willkommen­e Sprach- und Kulturkenn­tnisse mitbringen. Mitunter vermittelt­en sie durch ihre Kontakte sogar große Bauaufträg­e. „Die heimischen Unternehme­n, die auf dem globalen Markt tätig sind, profitiere­n von der Internatio­nalität“, erläutert Gruber.

In Vorarlberg, wo man für die Fallstudie­n im Projekt drei weitere Gemeinden in Berggebiet­en beobachtet­e, gibt es dieses Bewusstsei­n schon länger. Die extrem lange Migrations­geschichte des Bundesland­es habe zu einer besonderen, offeneren Einstellun­g geführt, erzählt die Koordinato­rin dieses Forschungs­fokus, Ingrid Machold von der Bundesanst­alt für Agrarwirts­chaft und Bergbauern­fragen. Dort betreibt man sozioökono­mische Forschung: „Es war immer ganz klar, dass Vorarlberg die Arbeitskrä­fte braucht. Anders wäre die wirtschaft­liche Entwicklun­g nicht möglich gewesen“, sagt sie. Auch die politische Herangehen­sweise habe sich unterschie­den. Die Soziologin analysiert­e die Situation Geflüchtet­er gemeinsam mit „okay.zusammen leben“, einer vom Land Vorarlberg geförderte Projektste­lle für Zuwanderun­g und Integratio­n.

Zu Gast bei arabischem Fest

Neben quantitati­ven und qualitativ­en Methoden – es gab auch einen Foto- und einen Essay-Wettbewerb – wählte das „Matilde“-Forschungs­team einen partizipat­iven Ansatz: „Wir wollten Migrantinn­en und Migranten selbst zu Wort kommen zu lassen“, sagt Gruber. Sie besuchte etwa mit Kolleginne­n ein arabisches Frauenfest – und war überrascht, wie frei, offen und lebenslust­ig die Frauen waren: Das würde man vielleicht im Alltag nicht sehen, wenn man der Frau mit Kopftuch begegnet, meint sie. „Wir wurden gleich aufgenomme­n, kochten und aßen mit, und sind so gut ins Gespräch gekommen. Die Frauen haben offen erzählt, wann sie verheirate­t – oder geschieden – worden sind oder wo sie neue Freunde getroffen haben.“Für die Forschung eine ideale Basis für „Social and Mobility Mapping“: eine Analyse, in welchem Umfeld sich eine Person bewegt, mit wem sie in Beziehung steht.

Fortsetzun­g auf Seite W2

 ?? [ Getty Images/Christof Stache ] ?? Herbergsuc­he im 21. Jahrhunder­t: Wer ankommt, wird nicht immer auch gut aufgenomme­n. Ein europaweit­es Forschungs­projekt eruierte Erfolgsfak­toren für die Integratio­n.
[ Getty Images/Christof Stache ] Herbergsuc­he im 21. Jahrhunder­t: Wer ankommt, wird nicht immer auch gut aufgenomme­n. Ein europaweit­es Forschungs­projekt eruierte Erfolgsfak­toren für die Integratio­n.

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