„Viele haben Angst, dass sie seltsam wirken, wenn sie sich ständig Dinge ausborgen“
Interview. Die Konsumforscherin Petra Riefler von der Boku Wien untersucht, was Menschen zu einem reduzierten Lebensstil motiviert.
Die Presse:
Was verbirgt sich hinter dem sperrigen Begriff Konsumsuffizienz, der immer öfter in Zusammenhang mit Nachhaltigkeit fällt?
Petra Riefler: Das Thema bekam in der Forschung in den vergangenen Jahren Aufwind, weil man gesehen hat, dass Effizienz allein zu wenig ist, um Klimaziele zu erreichen. Es handelt sich dabei um ein Konzept, das versucht, Konsum und Verbrauch auf ein Niveau zu bringen, das naturverträglich und gleichzeitig sozial gerecht ist. In unseren Breiten ist es typischerweise ein Reduzieren, aber für manche Gesellschaftsschichten oder Regionen in der Welt kann das ein Erhöhen bedeuten. Es geht um eine gerechte Verteilung, um ein Genug, das weder zu wenig für ein gutes Leben noch zu viel ist.
Schaute man in der Vorweihnachtszeit auf die Einkaufsstraßen des Landes, schien vielen nichts ferner als Konsumreduktion.
Uns interessiert in unserem Projekt erst einmal, was Menschen mit der Idee verbinden, den eigenen Konsum zu reduzieren. Das Phänomen an sich ist kein Neues, das kennt man seit 50, 60 Jahren, es kommt aus den USA. Man spricht dabei von Voluntary Simplifiers oder Minimalisten. Sie reduzieren den Konsum aus der Überzeugung heraus, dass sie das zu einem glücklicheren Leben führt. Aber das hilft natürlich nicht, um Nachhaltigkeit insgesamt zu forcieren, weil es ein Nischenphänomen ist. Deswegen wollen wir herausfinden, was Menschen, die eher MainstreamKonsumentinnen und -Konsumenten sind, mit so einem Lebensstil assoziieren. Dazu haben wir in Österreich Befragungen gemacht.
Zu welchem Ergebnis kamen Sie?
Als Ausgangspunkt haben wir den Lebensstil von einer Person vorgestellt, die reduziert lebt: Sie teilt sich das Auto mit Nachbarn. Sie isst saisonal und nur einmal pro Woche Fleisch. Sie borgt sich Dinge aus, anstatt alles zu besitzen, was sie nicht ständig braucht. Als Gewinn – oder „gain“, wie wir dazu sagen – wurde von den Befragten vor allem genannt, dass die Person sich Geld erspart. Ein egozentrischer Gewinn. Generell lässt sich feststellen, dass Konsumreduktion eher auf sich selbst bezogen wird. Es geht weniger darum, dass andere und die Umwelt etwas davon haben. Gleichzeitig wird das gute Gewissen, etwas für nächste Generationen zu tun, häufig mit diesem Lebensstil assoziiert.
Welche negativen Aspekte verbinden die Befragten mit dem reduzierten Lebensstil?
Viele tun sich schwer mit der Idee, nicht mehr flexibel, spontan, autonom mobil zu sein, weil sie sich zum Beispiel ein Auto teilen oder mit dem Fahrrad oder den öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs sind. Die eingeschränkte Mobilität war ein großes Thema, auch in Bezug auf Reisen und den damit verbundenen Erlebnisaspekt.
Im Alltag macht es mit Blick auf die Infrastruktur vermutlich einen Unterschied, ob ich am Land oder in der Stadt lebe.
Gerade am Land befürchten viele, ohne eigenes Auto ihren Rollen und Erwartungen nicht gerecht werden zu können. Spannend sind auch zwei weitere Aspekte: Der erste ist die Zeit. Die einen finden, weniger Konsum würde ihnen Zeit verschaffen, die anderen sagen das Gegenteil, weil sie Dinge anders organisieren und planen müssten. Der zweite Aspekt ist die mentale Gesundheit. Die einen verbinden mit Konsumreduktion Entschleunigung und weniger Stress, die anderen glauben, dass sie dadurch weniger Kontakte pflegen könnten, was sich negativ auf ihr Wohlbefinden auswirken würde.
Wenn man nur die Gruppe in den Blick nimmt, die mit einem reduzierten Lebensstil überwiegend positive Aspekte assoziiert, dann scheint Konsumsuffizienz auf jeden Fall ein Puzzlestein zu einer nachhaltigeren Gesellschaft zu sein.
Ja, das seh’ ich schon so. Interessant ist nun, wie viele wirklich, abseits einer Befragung, die Bereitschaft dazu haben. In diese Richtung möchten wir weiter arbeiten. Wir überlegen uns, wie man Mainstream-Konsumentinnen und -Konsumenten positiv motivieren kann. In der Forschung spricht man dabei vom Gain-Framing: Wir wollen uns in Experimenten anschauen, wie konsumreduziertes Verhalten durch Kampagnen positiv motiviert werden kann. Ob es besser gelingt, wenn der eigene Vorteil in den Vordergrund gestellt wird. Dass es da Potenzial gibt, wissen wir auch aus einer Studie nach dem ersten Lockdown. Ein Teil der damals Befragten wollte das erzwungene Weniger der Zeit, dieses Rückbesinnen, verfestigen.
Woran scheitert es bei denen, die wollen? An mehreren Dingen. Ganz banal fehlt oft einfach die Infrastruktur, aber auch die soziale Akzeptanz spielt mit hinein. Viele haben Angst, dass sie seltsam wirken, wenn sie sich zum Beispiel ständig Dinge ausborgen. Deshalb glaube ich, dass sich soziale Normen ändern müssen, damit man weiß: Reduziertes Konsumverhalten wird gesellschaftlich goutiert und nicht abgewertet.
Damit man also keine Angst davor haben muss, sich einen Ruf als Schmarotzerin zu machen . . .
Ja, denn ein und dieselbe Handlung kann ganz anders wahrgenommen werden. Dazu kommen auch politische Rahmenbedingungen ins Spiel. Viele fragen sich, warum sie selbst, womöglich freiwillig als Einzelpersonen, reduzieren sollen. Es geht darum, das Thema zu einem gemeinsamen zu machen – davon sind wir noch weit weg.
Es müssten auch Unternehmen verpflichtet werden, mitzugehen?
Genau, aber der Staat müsste sich als Konsument ebenso verändern. Die Selbstwirksamkeit ist für viele ein Argument. Sie denken: Was bringt es, wenn nur ich als kleines Rädchen am Wagen das tue? Ganz unterschätzen darf man die Individuen und Haushalte aber nicht, vor allem bei Wohnung, Ernährung, Mobilität – das sind die großen Bereiche. Konsumsuffizienzstrategien sind jedoch nur effektiv, wenn sowohl auf Nachfrageseite reduziert wird als auch auf Produktionsseite. Es müssten sich zum Beispiel Produktionssysteme wie Ernährungssysteme stark wandeln, damit es funktioniert.