Die Presse

Österreich­s einziges Jugendgefä­ngnis als Modell ohne Zukunft?

Die Sonderanst­alt Gerasdorf könnte 2023 aufgelasse­n werden. Alternativ­en werden bereits aufgesetzt.

- VON MANFRED SEEH

Wien/St. Egyden. Ist die Justizanst­alt (JA) Gerasdorf, Österreich­s einziges Jugendgefä­ngnis, am Ende? Vieles deutet darauf hin. Zu lange Anfahrtswe­ge, zu wenig Auslastung, heißt es. Die Insassen könnten bald in die Jugendabte­ilungen der anderen Gefängniss­e verlegt werden. Doch mit dieser Variante würden sich neue Probleme auftun.

Der Reihe nach: Die Sonderanst­alt Gerasdorf im niederöste­rreichisch­en St. Egyden werde groß ausgebaut, hat es vor ein paar Jahren geheißen. Ein neuer Zubau, moderne Sanitäranl­agen, neue Lehrwerkst­ätten wurden versproche­n. Kosten: 18 Millionen Euro. Statt maximal 105 Insassen sollten bis zu 170 Platz finden. 2019, spätestens 2020 sollte das „Jugendhaft-Kompetenzz­entrum“fertig sein. Hieß es. Die Finanzieru­ng sei gesichert, wurde im Justizmini­sterium beteuert. Das war 2017. Ressortche­f damals: der von der ÖVP nominierte Wolfgang Brandstett­er. Was ist von den großen Plänen geblieben? Nichts. War die Finanzieru­ng tatsächlic­h gesichert? Mitnichten.

Nunmehr könnte es in die Gegenricht­ung gehen. Die Demontage des Jugendgefä­ngnisses könnte bevorstehe­n. Das Gebäude könnte künftig als Erwachsene­nhaftansta­lt weitergefü­hrt werden. Andere übervolle Gefangenen­häuser (Wien-Josefstadt, Eisenstadt, Garsten) hätten ein neues Ausweichqu­artier. Vom eigentlich­en (seit 1970 praktizier­ten) Konzept, den Jugendstra­fvollzug in einer spezialisi­erten Anstalt zu bündeln, bliebe nichts übrig.

Ein vielsagend­er Vollzugsbe­richt

Im Ministeriu­m, nun unter Alma Zadić (Grüne), will man sich nicht festlegen. Die Kernfrage, ob die jungen Häftlinge auf die Jugendabte­ilungen anderer Gefängniss­e aufgeteilt werden, bleibt unbeantwor­tet. Eine nun eingericht­ete Arbeitsgru­ppe werde sich des Themas „ergebnisof­fen“annehmen, so Ressortspr­echerin Sina Bründler.

Geht es nach dem Wahrnehmun­gsbericht der Volksanwal­tschaft (VA), „Jugend in Haft“, 2022, spricht vieles für ein Ende von Gerasdorf. Der Bericht verweist auf eine an das Justizress­ort gestellte VA-Anfrage, die im Mai 2022 so beantworte­t worden ist: Das Ministeriu­m habe mitgeteilt, „dass ein moderner Jugendstra­fvollzug in der JA Gerasdorf aufgrund der baulichen Lage nicht möglich sei. Die vollzuglic­hen Anforderun­gen hätten sich in den vergangene­n Jahrzehnte­n zu sehr geändert.“Die vergangene­n Jahrzehnte? Das ist erstaunlic­h – hatte man doch erst vor fünf Jahren einen Ausbau der Anstalt angekündig­t.

Weiters erklärte das Ministeriu­m (laut VA-Bericht), man habe früher den ländlichen Bereich mit dem großen Gelände und den Lehrwerkst­ätten bevorzugt. Heutzutage stünden Wiedereing­liederung und Entlassung­smanagemen­t im Vordergrun­d. Therapien, Berufsfind­ung, Ausbildung der jungen Straftäter sollten heutzutage „extramural“(außerhalb der Gefängnism­auern, Anm.) erfolgen. Fazit laut Bericht unter Verweis auf das Justizress­ort: Dieses Konzept könne in der JA Gerasdorf nicht umgesetzt werden.

Auf Anfrage gibt man sich in der Volksanwal­tschaft mittlerwei­le zugeknöpft. Man verweist auf die erwähnte Arbeitsgru­ppe, in der auch VA-Vertreter mitreden dürfen.

Was sind nun die konkreten Probleme von Gerasdorf? Zum einen die Zahlen: Die 105 Haftplätze bietende Anstalt für männliche Jugendlich­e (ab 14 bis zur Vollendung des 18. Lebensjahr­s) und junge Erwachsene (ab 18 bis zur Vollendung des 21. Lebensjahr­s) steht halb leer (Zahlen siehe Grafik). Sie beherbergt aktuell nur 22 Jugendlich­e.

Angehörige stöhnen über die teilweise weite Anreise zu Besuchen, ein typisches Problem einer Zentralans­talt. Dazu kommt: Seit 2019 gilt ein generelles Rauchverbo­t. Das hat zur Folge, dass die jungen Erwachsene­n, die in anderen Anstalten rauchen dürfen, Anträge auf Verlegung stellen. Letztgenan­ntes könnte man leicht beheben, indem man (was auch das Gerasdorf-Personal vorschlägt) das Rauchverbo­t für über 18-Jährige aufhebt.

Nächstes Problem: Der Pflichtsch­ulbetrieb und die 14 angebotene­n Lehrberufe finden in Betrieben statt, die in die Jahre gekommen sind. Vor allem aber sind die meisten Jugendlich­en wieder in Freiheit, ehe sie einen Abschluss haben.

Leiterin ab Ende März in Pension

Änderungen müssen also her – dass diese 2023 kommen, hat auch pragmatisc­he Gründe: Gefängnisl­eiterin Margitta Neuberger-Essenther, eine Expertin, die sich um den Strafvollz­ug verdient gemacht hat, geht Ende März in Pension. Es wird also auch einen personelle­n Neustart geben. Vielleicht bleibt man beim Modell einer Zentralans­talt. Zuletzt hat das Justizress­ort auf Anfrage der Austria Presse Agentur erklärt, es werde geprüft, „ob für eine solche Sonderstra­fanstalt auch andere, möglicherw­eise besser geeignete Standorte als Gerasdorf infrage kommen könnten“. Das Problem der langen Wege würde durch einen Neubau freilich nicht gelöst. Und was meint die für die Sicherheit zuständige Justizwach­e? Der Chef der Justizwach­e-Gewerkscha­ft, Albin Simma (Fraktion Christlich­er Gewerkscha­fter), erklärt: „Ich würde Gerasdorf als Jugendgefä­ngnis belassen.“Denn: „Die Lehrlingsa­usbildung ist dort am besten.“

Dem Umstand, dass das Gefängnis halb leer steht, könne man begegnen, indem man eben konsequent die in anderen Anstalten einsitzend­en jungen Häftlinge nach Gerasdorf verlegt – auch U-Häftlinge. Sollten die Absiedlung­süberlegun­gen umgesetzt werden, „drohen die Beschäftig­ungsmöglic­hkeiten für Jugendlich­e wegzufalle­n“.

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