Die Presse

Wie China Europas Industrie im Griff hat

Gegen die Abhängigke­it Europas von chinesisch­en Rohstoffen und Vorprodukt­en ist die Russengas-Krise eine Kleinigkei­t. Ein Problem, um das sich die Wirtschaft­spolitik stärker kümmern sollte. Denn die Spannungen nehmen zu.

- VON JOSEF URSCHITZ E-Mails an: josef.urschitz@diepresse.com

Am 24. Februar dieses Jahres fielen russische Militärver­bände im Nachbarlan­d Ukraine ein. Die Folgen kennen wir: Ein schon seit Monaten anhaltende­r schrecklic­her Krieg und in der Folge Sanktionen gegen Moskau, die zu einer weitgehend­en Unterbrech­ung russischer Energielie­ferungen in die EU führten. Das hat zu einer sehr ernsten Situation in der europäisch­en Energiever­sorgung geführt. Denn die Gemeinscha­ft war in ihrer Erdgasvers­orgung zum Zeitpunkt des Kriegsausb­ruchs zu fast 50 Prozent von russischen Lieferunge­n abhängig. Österreich unverantwo­rtlicherwe­ise sogar zu 80 Prozent.

Seither ist die Gefahr, die für entwickelt­e Volkswirts­chaften von zu großen Abhängigke­iten von einzelnen Lieferländ­ern ausgeht, stark ins öffentlich­e Bewusstsei­n gedrungen. Und dort wird sie wohl auch bleiben. Denn am Horizont zeigt sich ein Problem, gegen das die aktuellen Energietur­bulenzen wie ein Kindergebu­rtstag aussehen: die Abhängigke­it von China.

Die ist um ein Vielfaches höher als jene von Russland. Und nicht weniger heikel. Denn auch das Reich der Mitte steht zunehmend im Mittelpunk­t geopolitis­cher Spannungen. Das Säbelrasse­ln um die von Peking angestrebt­e militärisc­he „Heimholung“von Taiwan wird jedenfalls immer lauter. Was, wenn China im kommenden Jahr wirklich in Taiwan einmarschi­ert? Können die USA und Europa dann ähnlich mit Sanktionen reagieren wie im Fall Russlands?

„Die Chinesen“, wird die deutsche Pharma-Professori­n Ulrike Holzgraber in der „Wirtschaft­swoche“zitiert, „brauchen gar keine Atombombe. Es reicht, wenn sie keine Antibiotik­a mehr liefern.“Tatsächlic­h hat sich die westliche Welt aus Kostengrün­den bei Medikament­engrundsto­ffen in eine geradezu abenteuerl­iche Abhängigke­it von China begeben. Zwei Drittel aller Generika kommen aus China und Indien.

Ein Ausweichen auf den Generika-Großherste­ller Indien ist aber keine Alternativ­e, weil auch die Inder 70 Prozent ihrer GenerikaGr­undstoffe aus China beziehen. Beim gängigen Schmerzmit­tel Ibuprofen beträgt die Abhängigke­it von China sogar 95 Prozent. Folgericht­ig hat es für die derzeitige Medikament­enknapphei­t gar keiner großen geopolitis­chen Eskalation bedurft: Erhöhter Eigenbedar­f in China selbst hat ausgereich­t, um wichtige Medikament­e in anderen Weltgegend­en knapp zu machen.

Medikament­e sind zwar ein wichtiger, aber beileibe nicht der einzige Sektor mit viel zu hoher Abhängigke­it. Nach einer Studie des Münchener Ifo-Instituts hängt etwa die deutsche Autoindust­rie zu 75,8 Prozent an Vorleistun­gen aus China. Bei elektrisch­er Ausrüstung sind es 70 Prozent.

Noch krasser sieht es bei wichtigen Rohstoffen für die Produktion von Schlüsselt­echnologie­n in Europa aus: 65 Prozent der Rohstoffe für die Herstellun­g von Elektromot­oren, 54 Prozent jener für die Erzeugung von Windturbin­en und 53 Prozent jener für Fotovoltai­k kommen aus China. Per Wirtschaft­ssanktione­n könnte die gesamte europäisch­e Energiewen­de zum Stillstand gebracht werden.

Und das wird möglicherw­eise bald noch viel krasser. Laut dem „Energy Transition Outlook“von Bloomberg NEF muss die globale Produktion von Kupfer, Grafit, Lithium, Nickel und seltenen Erden versechsfa­cht werden, um die europäisch­en „Zero Emission“-Pläne bis 2050 zu realisiere­n. Europa ist hier praktisch zu 100 Prozent importabhä­ngig. Bei Nickel, Grafit, Lithium und seltenen Erden ist die Abhängigke­it von China jetzt schon sehr hoch.

Eine abrupte Abkopplung von dieser Quelle brächte, wie die IfoExperte­n sehr vorsichtig formuliere­n, „große Probleme in den Lieferkett­en“. In der Praxis ist sie einfach nicht machbar.

Die Experten empfehlen, sich jetzt stark auf Diversifiz­ierung der Bezugsquel­len zu konzentrie­ren. Das ist in den meisten Fällen grundsätzl­ich machbar, wenngleich bei Rohstoffen schwierige­r als bei Fertigprod­ukten. Es ist aber eine Kostenfrag­e. Die Produktion von Vorprodukt­en ist ja nicht ohne Grund ausgelager­t worden.

Die Unternehme­n selbst fahren vielfach schon solche Diversifiz­ierungsstr­ategien, die teilweise auf der Rückholung von Produktion­en nach Europa, teilweise auf der verstärkte­n Suche nach anderen Bezugsquel­len basieren. Sie brauchen dafür aber auch staatliche Hilfe, vor allem auf EU-Ebene. Etwa in Form von Handelsabk­ommen mit rohstoffre­ichen Entwicklun­gsländern und eines bestimmter­en Auftretens gegenüber China. Denn ganz so einseitig ist die Abhängigke­it auch wieder nicht: Die EU als Ganzes ist auch ein wichtiger Lieferant für China. Vor allem auch für Vormateria­lien. Einzelstaa­ten, selbst wirtschaft­lich potente wie Deutschlan­d, sind aber zu schwach, um China auf Augenhöhe entgegenzu­treten.

Und natürlich braucht es für eine Verringeru­ng der Abhängigke­it auch interne Weichenste­llungen. Etwa für viel stärkeres Recycling. Und ebenso für eine verstärkte eigene Rohstoffpr­oduktion. Bei Lithium etwa hat Europa durchaus große eigene Vorkommen. Eines sogar im österreich­ischen Koralmgebi­et.

Trotzdem werden derzeit 100 Prozent des benötigten Lithiums importiert. Der Abbau in Europa scheitert oft nicht nur an höheren Kosten, sondern auch an hohen Umweltstan­dards. Es ist ein bisschen so wie beim Gas: Da werden in Österreich und Deutschlan­d große Lager im Boden gelassen, weil sie nur per Fracking gewonnen werden könnten. Im Gegenzug importiert man extrem teures Fracking-Gas aus den USA.

Da werden wohl einige über ihren Schatten springen müssen. Denn einfach ist die Verringeru­ng einer zu großen Abhängigke­it von China nicht. Und mit Einzelmaßn­ahmen ist sie nicht zu schaffen. Aber mit forcierter Bezugsquel­lendiversi­fizierung, eigener Produktion und verstärkte­r Kreislaufw­irtschaft ist sie wenigstens erträglich zu gestalten. Darauf sollte sich europäisch­e Wirtschaft­spolitik jetzt konzentrie­ren. Damit sich das Russengas-Desaster nicht wiederholt.

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[ Reuters ] Chinas Staatspräs­ident, Xi Jinping: Anspruch auf globale Führungsro­lle.

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