„Ich transportierte manchmal 100.000 Dollar in einer Tasche“
Bruce Aitken hat lang vom Geldschmuggeln gelebt und dabei gut verdient. Jetzt hat er seine Erfahrungen in ein Buch gegossen – und hofft, dass es verfilmt wird.
Die Presse: Herr Aitken, lösen Sie auf: Warum haben Sie sich als Schmuggler bei Pass- und Zollkontrollen mit Vorliebe an Personen aus Indien gehalten?
Bruce Aitken: Das war eine leicht rassistische, aber wahre Weisheit, die mir mein Boss bei einer Bank in Hongkong gab. Als ich bei ihm anfing, riet er mir für alle künftigen Schmuggelsituationen: „Stell dich immer hinter einen Inder. Die haben den Ruf, auf jeder Reise heimlich etwas mitzuführen.“Die Logik: Wenn die Person direkt vor mir streng durchsucht wird, bin ich wahrscheinlich sicher. Dabei ging es nicht so sehr um Inder, sondern generell darum, wachsam zu sein.
Zwischen den 1960er- und 1980er-Jahren haben Sie vom Geldschmuggeln gelebt. Welche Mengen haben Sie bewegt?
Pro Reise transportierte ich manchmal 100.000 US-Dollar, oft in einer Golftasche. Davon nahm ich vier Prozent Provision, wovon die Hälfte an meinen Arbeitgeber ging und die Hälfte an mich. In einem guten Jahr habe ich so 200.000 US-Dollar gemacht, steuerfrei natürlich. Und das in den 1970ern. Das war sehr viel Geld.
Ihr Arbeitgeber über viele Jahre, ein Hongkonger Finanzdienstleister namens Deak, war also in alles involviert.
Ja, praktisch schon. Hongkong war damals noch britische Kolonie und eine sehr freie Stadt, fast völlig ohne staatliche Einmischung. Das Motto meines Arbeitgebers war: „Sie haben Bargeld? Rufen Sie Deak an. Keine weiteren Fragen.“Es gab viele Personen, die das gern wahrgenommen haben. Wir hatten Kunden und Kunden von Kunden aus der ganzen Welt. Sie arbeiteten bei der katholischen Kirche, an der philippinischen Börse, bei der CIA oder ganz oben in der japanischen Regierung.
Haben Sie sich jemals schlecht gefühlt dafür, Ihr Geld mit illegalen Machenschaften zu verdienen?
Die Frage habe ich mir auch schon gestellt, und ich kann sie nicht so recht beantworten. Heutzutage ist das, was wir damals getan haben, ganz offensichtlich illegal. Damals aber war vieles zumindest in Hongkong nicht wirklich reguliert. Und am Ende haben wir Aufträge für andere Personen ausgeführt, wodurch eben auch viele derer profitiert haben, die das alles eigentlich hätten unterbinden sollen. Bei dieser Tätigkeit lernte man eine Menge über Heuchelei. Und dann fühlt man sich selbst auch weniger schlecht.
Na gut. Und wie kommt man zu so einem Job? Sie stammen aus einem kleinen, Ihren Beschreibungen im Buch zufolge langweiligen Vorort von New York. Wollten Sie einfach etwas erleben?
Teilweise ja. Als Junge, der kurz nach Kriegsende in einfachen Verhältnissen aufwuchs, hatte man nicht immer genug zu essen auf dem Teller. Die Welt lag einem nicht gerade zu Füßen. Aber ich war ein guter Baseballspieler, was mir ein Stipendium für ein Wirtschaftsstudium brachte. Und dann erhielt ich in den 1960er-Jahren ein Jobangebot in Vietnam . . .
. . . wo Sie doch eigentlich nicht hinwollten. „I was very much against the Vietnam War“, schreiben Sie in Ihrem Buch. Und dass Sie froh waren, dass man Sie dort nicht als Soldaten brauchte. Warum gingen Sie als US-Amerikaner dann trotzdem da hin, wo Ihr Land einen höchst kontroversen Krieg führte?
Wo immer das US-Militär operiert, hat es einen großen Betrieb um sich herum, um den Soldaten vor Ort ein angenehmes Leben zu ermöglichen. Dazu gehört auch das Finanzgeschäft. American Express suchte Mitte der 1960er-Jahre Leute in Vietnam. Offenbar wollte dort kaum jemand hin, sodass meine Bewerbung erfolgreich war. Viele rie
ten mir davon ab wegen des Kriegs. Aber ich hatte schon als kleiner Junge von Asien geträumt, ich konnte nicht Nein sagen. Immerhin hatte ich keine Waffe in der Hand.
Sie hatten dann vor allem Geld in der Hand. Wie genau begann das?
Während des Kriegs gab es vor Ort drei Währungen: den US-Dollar, den vietnamesischen Piaster und den MPC (Anm.: Military Payment Certificate), der nur für die Transaktionen von Militärs vorgesehen war. Zwischen diesen Währungen gab es offizielle und inoffizielle Wechselkurse, wie ich schnell bemerkte. Als ich einige Monate nach meiner Ankunft in die USA reisen musste, weil mein Vater gestorben war, hatte ich auf der Rückreise einen mehrtägigen Zwischenstopp in Hongkong. Dort hob ich beim American-Express-Büro 2000 US-Dollar ab, was damals ein Vermögen war. In Saigon ging ich damit zu einem mir bekannten Geldhändler, der mir 4000 MPC oder 1600 Piaster bot. Ich nahm die 4000 MPC, denn der offizielle Wechselkurs, für den ich sie bei meiner Bank eintauschen konnte, war 1:1. Ich hatte also aus dem Nichts Geld geschöpft. Ich kam mir vor, als wäre ich die Fed! Und da hatte ich Blut geleckt.
So weit, so gut. Das ist aber nur Arbitragegeschäft, noch kein Schmuggel oder Geldwäsche.
Mit diesem Geldhändler und einigen anderen Personen wiederholten sich die Transaktionen, so baute ich ein Vertrauensverhältnis auf, das ich auch nutzen konnte, als ich von Vietnam nach Hongkong zog. Bei meinem dortigen Arbeitgeber Deak bestand ein großer Teil des Geschäfts darin, Geld aus einem Land herauszutransportieren, anderswo auf einem Konto einzuzahlen und so weiter. Es waren oft Personen, die ihr Geld vor dem Staat in Sicherheit bringen wollten.
Hilfe zum Steuerbetrug also.
So sah ich das damals nicht. Und so nannte man es auch nicht. Ich hatte jedenfalls meine Klienten, die wiederum ihre Klienten hatten. Die Personen, deren Geld ich wirklich bewegte, kannte ich oft gar nicht. Aber man wusste, was gefragt war und wie man es anstellte. Nach Hongkong brachte man Bargeld, um es auf Bankkonten einzuzahlen und so in Sicherheit zu bringen. Nach Nepal flogen wir mit Schuhen, in deren Sohlen Gold versteckt war, das dann oft seinen Weg nach Indien fand. Um Leerflüge zu vermeiden, brachten wir in die USA kubanische Zigarren. Von denen brachte eine einzige 100 Dollar ein. Und in Japan herrschte große Nachfrage nach amerikanischer Währung. Die führten wir gern über die Pazifikinsel Guam ein, wo damals die japanische Mittelschicht Golf spielte. So begann der Schmuggel in Golftaschen.
Alles in allem leicht verdientes Geld?
Wenn man das Input-Output-Verhältnis betrachtete: extrem! Das machte es auch schwer, damit aufzuhören. Und gegenüber Freunden sagte man einfach: „Ich bin im Finanzgeschäft.“Da wurde nicht weiter gefragt. Die Sache änderte sich in den 1970erJahren, als die USA neue Regeln einführten, was Bargeldmitnahmen bei Reisen anging. Das war für mich der Grund, der mich aus dem Geschäft trieb. Denn damit wurden wir praktisch illegalisiert.
Im Gefängnis landeten Sie in den 1980erJahren trotzdem.
Ja, zu dem Zeitpunkt war ich aber schon nicht mehr im Geschäft. Es handelte sich um eine Untersuchung von Jahren zuvor, man lastete mir eine Überweisung von 500.000 Dollar nach Bangkok an. Im Buch beschreibe ich, dass ich glaube, es gab andere Gründe dafür. Dank meiner guten Kontakte wurde ich dann nach einigen Monaten gegen Kaution wieder freigelassen.
Durch diverse gesetzliche Verschärfungen entstand bald eine riesige Branche, die der Rechnungsprüfer. In Hongkong halten Sie vor solchen Leuten heute regelmäßig Vorträge. Was sagen Sie ihnen?
Zuerst sage ich immer: Ohne Personen wie mich gäbe es euren Beruf nicht! Und dann erzähle ich, was wir alles gemacht haben, um nicht weiter aufzufallen. Der Tipp, sich in der Schlange hinter einen Inder anzustellen, sorgt regelmäßig für das meiste Gelächter, aber auch die meiste Empörung.
Was von all dem würde Schmugglern heute noch bei ihren Machenschaften helfen?
Ich glaube, alles davon und gleichzeitig nichts. Die menschlichen Fähigkeiten, das wache Auge, eine gewisse Ruhe und Schlagfertigkeit wären auch heute sicher unverzichtbar. Andererseits sind die Zollkontrollen heute deutlich genauer. All die Scanner und Spürhunde. Ich möchte heute kein Geldwäscher mehr sein, und schon gar kein Schmuggler.
Müssen Sie vielleicht ja gar nicht. Sie dürften mit dem Schmuggelgeschäft doch ausgesorgt haben.
Leider nicht. Wenn man viel Geld hat, lebt man schnell auf großem Fuß. In Hongkong moderiere ich seit nun 18 Jahren eine christliche Radiosendung für Gefängnisinsassen, eine Art Seelsorge, bei der viel Musik gespielt wird und Briefe von Angehörigen vorgelesen werden. Als ich damit begann, saßen viele Zuhörer für illegale Geldgeschäfte. Ich verspürte eine Verbundenheit zu diesen Leuten. Heute sitzen wegen der aktuellen Situation in Hongkong mehr politische Gefangene. Mir ist zu Ohren gekommen, dass im Gefängnis mein Buch gerade durch mehrere Hände geht. Jetzt hoffe ich, dass daraus ein Film wird. Dann hätte ich vielleicht wirklich ausgesorgt.