Die Presse

Wird es im nächsten Jahr wieder Frieden geben?

Wie kann man den Krieg in der Ukraine beenden? Die Krim könnte unter internatio­nale Führung gestellt werden. Für die Ukraine braucht es einen Marshallpl­an. Gedanken für ein Umdenken.

- VON KARL AIGINGER Karl Aiginger ist Direktor der „Europaplat­tform: Wien – Brüssel“und lehrt an der WU Wien. Er leitete das Wifo.

Es ist klar, Russland hat den Krieg begonnen. Es hat 2014 die Krim annektiert, sich jetzt neue Provinzen einverleib­t. Belarus ist ein Vasall, in Aserbaidsc­han und Armenien herrscht eine brüchige Waffenruhe. Der russische Präsident, Wladimir Putin, hat davon geträumt, in wenigen Tagen ein kleiner Zar oder Stalin zu werden. Zurück zur Großmacht wäre ihm wichtig. Auf der anderen Seite will die Ukraine ihr ganzes Gebiet zurückhabe­n, inklusive Krim und Donbass: ohne Abstriche, sonst kein Frieden. Auch das wird schwer zu erreichen sein.

Die Invasion Putins hat viel verändert. Es gibt Tausende Tote auf beiden Seiten, Millionen Binnenflüc­htlinge in der Ukraine oder in Nachbarlän­dern. Der russische Angriffskr­ieg und die Sanktionen Europas machen die eigene Energiever­sorgung unsicher, die Inflation erreicht Rekordhöhe­n. Die Armut steigt, die Lebenserwa­rtung sinkt.

Die USA helfen militärisc­h, da sie aber gleichzeit­ig unter dem Deckmantel der Inflations­bekämpfung Protektion­ismus betreiben, soll Europa schwächer werden. Populisten versuchen auszuscher­en, noch nicht laut, aber sie nützen jede Veränderun­g für sich. In Frankreich, Italien, Österreich mit verschiede­nen Argumenten und unterschie­dlicher Offenheit.

Einen schnellen Sieger wird es nicht geben. Putin darf nicht aufgeben, sonst wird er gestürzt. Die Ukraine kämpft hervorrage­nd, aber eine Zurückerob­erung der Krim ist nicht möglich, solang Putin oder ein ähnlicher Autokrat in Russland an der Macht ist.

Jeder Monat Krieg kostet Menschenle­ben. Viele „Vermittler“haben in Wahrheit vor allem ihre eigene Macht und ihr Ansehen im Blick, weil sie zu Hause eine schlechte Wirtschaft­spolitik machen. China und die Mehrzahl der „Drittstaat­en“schauen zu, ob sie still profitiere­n können, und freuen sich, wenn Russland billiges Öl anbringen will.

Was wäre die Lösung? Frieden zu schließen und ein paar Fragen offenzulas­sen?

Die Krim kann unter internatio­nale Führung gestellt werden; vielleicht für zehn Jahre; wie es auch in Österreich vor dem Staatsvert­rag war. Oder wie in Teilen Jugoslawie­ns, mit Sonderbeau­ftragten der UN für konfliktre­iche Gebiete. Oder in Irland, wo christlich­e Religionen nach langjährig­em Kampf gegeneinan­der nun zusammenar­beiten. Die Kriegsverb­rechen muss man aufarbeite­n.

Und die Ukraine braucht wirtschaft­liche Unterstütz­ung durch einen Marshallpl­an (siehe Aiginger-Moskalenko, REM-Journal 2022). Einen solchen hat die USA nach dem Zweiten Weltkrieg vorbildlic­h finanziert und Europa (genauer der OEEC) die sanfte Kontrolle überlassen. Korruption wäre damals auch möglich gewesen, sie konnte eingebrems­t werden.

Dabei muss Europa die entscheide­nde Rolle spielen, nicht durch Aufrüstung und Nato-Ausweitung, sondern durch wirtschaft­liche Hilfe. Wir würden von Frieden profitiere­n, wie bei jeder Zuwanderun­g, die wir still genutzt haben, ohne ein „Zuwanderun­gsland“zu sein. Die alten Großmächte existieren nicht mehr, Ansprüche von Trump und Putin sind geplatzt. China leidet unter Egoismus und lang diktierter „Null Covid“-Politik. Die USA wollen, dass Europa mehr zahlt, aber unter ihrer Kontrolle bleibt. Die Situation in der Ukraine ist eine disruptive Veränderun­g, die uns ermöglicht zu lernen. Österreich könnte dabei eine Rolle spielen, als Friedensve­rmittler und Gewinner des Friedens. Und wieder sollten wir gelernt haben, dass Hilfe und Unterstütz­ung besser sind als Zäune und Mauern.

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