Für die Abschaffung der Pensionen
Die Ausscheidung an sich gesunder älterer Menschen aus dem Erwerbsleben führt – vor allem bei Männern – zum Kranksein.
Den wohlverdienten Ruhestand gibt’s nicht. Diese Floskel sollte verboten werden. Abgesehen von schwer körperlich arbeitenden Menschen braucht den Ruhestand niemand. Und auch diese wollen weiter gebraucht werden, am gesellschaftlichen Leben teilnehmen und nützlich sein.
Männer gehen am Ruhestand zugrunde. Meine Freunde sind ein erschreckender Beleg für diese Behauptung. Der Älteste hat seine Frau verloren und trinkt in der Früh Wein statt Kaffee. Beim Maibaumumschneiden hat er zu Mittag noch zwei Krügerln Bier und zu Hause einen Averner genommen. Na Prost – alles Wissen und die Weisheit werden ertränkt. Der Nächste: zuerst Journalist, dann Politiker, zuletzt Industrieller – heute Rentner und Kolumnist. Statt Alkohol valiumartige Einschlafhilfen. Leider ziemlich zornig, mal im Chat einer Zeitung, mal seinem Freund gegenüber, meist endet es im Streit mit seiner Frau. Der Dritte war Hochschullehrer – ein toller Typ, fast Rektor. Seitdem noch Lehrbeauftragter und Seminarleiter. Sein Glück: Sein Nachfolger am Lehrstuhl nimmt sein Sabbatical in Anspruch und hat ihn um Vertretung ersucht. Jetzt ist er wieder ein Semester Ordinarius. Ich hoffe, es unterbricht seine fast wöchentlichen Arztbesuche, die ihn – als Zusatzversicherten (das größte Risiko im Alter, aber das ist eine andere Geschichte) – schon in die Nähe eines Herzschrittmachers gebracht haben.
Nur einer macht’s richtig. Als Anwalt hat er mit 66 Jahren seine bisherige Kanzleigemeinschaft verlassen, sich einer anderen angeschlossen und muss selbst im vierzehntägigen Jahresurlaub täglich zwei bis vier Stunden arbeiten. Sonst bräche das Chaos aus, sagt er, bevor wir mit unseren Rennrädern auf den Hügeln rund um Graz fahren. Er fährt mit 50–60 km/h abwärts vor und wartet dann ungeduldig auf mich.
Auf mich haben’s die Rehe abgesehen. Sie kreuzen die Straße, wenn ich um 7.30 Uhr ins Tal fahre – mein Bianchi-Rennrad ist so leise, dass sich das Reh weder umdreht noch flieht. Rufe ich, so erschrickt es und verschwindet im nächsten Busch. Einmal war dort ein Zaun, an dem es hängen blieb – ein scheußliches Bild. Nach dem Radfahren geht mein Kollege in die Kanzlei und ich Pensionist ins warme Bad, im Herbst war’s morgens kalt.
Möglichst lang nützlich sein
Studien zur Altersforschung zeigen, dass man nützlich sein muss: Wer lang leben und dabei ziemlich gesund sein will, sollte weiterarbeiten, solang es geht, sich mäßig ernähren und angemessene Bewegung („Genug fürs Herz und nicht zu viel für die Gelenke!“) machen. Anerkennung ist bedeutsam, in der Generation, die 2023 alt wird durch die Öffentlichkeit. Mag sein, dass die kommenden Generationen das nicht mehr brauchen oder sich in sozialen Netzwerken holen. Wichtig zu sein, vor allem aber „wahrgenommen zu werden“ist hilfreich. Von den Erinnerungen kann man nicht leben. Und dass man alt geworden und weniger attraktiv ist, weiß man selbst. Umso mehr will man gesehen und – wenn’s geht – geliebt werden.
Weder Arztbesuche noch Zorn im Netz noch Alkohol sind der richtige Weg, um gesund alt zu werden und zu sein. Die Entfernung an sich gesunder älterer Menschen aus dem gesellschaftlichen Dialog und ihre zwangsweise Berentung führen – jedenfalls bei Männern – zum Kranksein. Beenden wir das im Sinne der Alten, und schonen wir die Jungen, indem wir weniger Schulden machen.
Dr. Peter Scheer ist Facharzt f. Kinderund Jugendheilkunde und Psychotherapeut (IP) sowie Autor zweier Bücher über das Altern: „Taubenfüttern ist nicht genug. Warum Älterwerden Spaß machen kann.“(Metro, Wien, 2012) und „Lust aufs Alter. Unkonventionelle Gedanken übers Älterwerden“(Falter, Wien, 2020).