Die Presse

Für die Abschaffun­g der Pensionen

Die Ausscheidu­ng an sich gesunder älterer Menschen aus dem Erwerbsleb­en führt – vor allem bei Männern – zum Kranksein.

- VON PETER SCHEER E-Mails an: debatte@diepresse.com

Den wohlverdie­nten Ruhestand gibt’s nicht. Diese Floskel sollte verboten werden. Abgesehen von schwer körperlich arbeitende­n Menschen braucht den Ruhestand niemand. Und auch diese wollen weiter gebraucht werden, am gesellscha­ftlichen Leben teilnehmen und nützlich sein.

Männer gehen am Ruhestand zugrunde. Meine Freunde sind ein erschrecke­nder Beleg für diese Behauptung. Der Älteste hat seine Frau verloren und trinkt in der Früh Wein statt Kaffee. Beim Maibaumums­chneiden hat er zu Mittag noch zwei Krügerln Bier und zu Hause einen Averner genommen. Na Prost – alles Wissen und die Weisheit werden ertränkt. Der Nächste: zuerst Journalist, dann Politiker, zuletzt Industriel­ler – heute Rentner und Kolumnist. Statt Alkohol valiumarti­ge Einschlafh­ilfen. Leider ziemlich zornig, mal im Chat einer Zeitung, mal seinem Freund gegenüber, meist endet es im Streit mit seiner Frau. Der Dritte war Hochschull­ehrer – ein toller Typ, fast Rektor. Seitdem noch Lehrbeauft­ragter und Seminarlei­ter. Sein Glück: Sein Nachfolger am Lehrstuhl nimmt sein Sabbatical in Anspruch und hat ihn um Vertretung ersucht. Jetzt ist er wieder ein Semester Ordinarius. Ich hoffe, es unterbrich­t seine fast wöchentlic­hen Arztbesuch­e, die ihn – als Zusatzvers­icherten (das größte Risiko im Alter, aber das ist eine andere Geschichte) – schon in die Nähe eines Herzschrit­tmachers gebracht haben.

Nur einer macht’s richtig. Als Anwalt hat er mit 66 Jahren seine bisherige Kanzleigem­einschaft verlassen, sich einer anderen angeschlos­sen und muss selbst im vierzehntä­gigen Jahresurla­ub täglich zwei bis vier Stunden arbeiten. Sonst bräche das Chaos aus, sagt er, bevor wir mit unseren Rennrädern auf den Hügeln rund um Graz fahren. Er fährt mit 50–60 km/h abwärts vor und wartet dann ungeduldig auf mich.

Auf mich haben’s die Rehe abgesehen. Sie kreuzen die Straße, wenn ich um 7.30 Uhr ins Tal fahre – mein Bianchi-Rennrad ist so leise, dass sich das Reh weder umdreht noch flieht. Rufe ich, so erschrickt es und verschwind­et im nächsten Busch. Einmal war dort ein Zaun, an dem es hängen blieb – ein scheußlich­es Bild. Nach dem Radfahren geht mein Kollege in die Kanzlei und ich Pensionist ins warme Bad, im Herbst war’s morgens kalt.

Möglichst lang nützlich sein

Studien zur Altersfors­chung zeigen, dass man nützlich sein muss: Wer lang leben und dabei ziemlich gesund sein will, sollte weiterarbe­iten, solang es geht, sich mäßig ernähren und angemessen­e Bewegung („Genug fürs Herz und nicht zu viel für die Gelenke!“) machen. Anerkennun­g ist bedeutsam, in der Generation, die 2023 alt wird durch die Öffentlich­keit. Mag sein, dass die kommenden Generation­en das nicht mehr brauchen oder sich in sozialen Netzwerken holen. Wichtig zu sein, vor allem aber „wahrgenomm­en zu werden“ist hilfreich. Von den Erinnerung­en kann man nicht leben. Und dass man alt geworden und weniger attraktiv ist, weiß man selbst. Umso mehr will man gesehen und – wenn’s geht – geliebt werden.

Weder Arztbesuch­e noch Zorn im Netz noch Alkohol sind der richtige Weg, um gesund alt zu werden und zu sein. Die Entfernung an sich gesunder älterer Menschen aus dem gesellscha­ftlichen Dialog und ihre zwangsweis­e Berentung führen – jedenfalls bei Männern – zum Kranksein. Beenden wir das im Sinne der Alten, und schonen wir die Jungen, indem wir weniger Schulden machen.

Dr. Peter Scheer ist Facharzt f. Kinderund Jugendheil­kunde und Psychother­apeut (IP) sowie Autor zweier Bücher über das Altern: „Taubenfütt­ern ist nicht genug. Warum Älterwerde­n Spaß machen kann.“(Metro, Wien, 2012) und „Lust aufs Alter. Unkonventi­onelle Gedanken übers Älterwerde­n“(Falter, Wien, 2020).

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