Der Winter der Engpasse Medikamente. Österreich und Europa fehlen Standardmittel wie etwa Paracetamol, Ibuprofen und Antibiotika. Eine Entspannung der Lage ist nicht in Sicht. Die Nachfrage ist schlichtweg zu groß. Und das weltweit.
Wovor Gesundheitsexperten seit Jahren warnen, ist Realität geworden. Die Lieferengpässe bei häufig verabreichten Medikamenten wie etwa Antibiotika haben ein Ausmaß erreicht, das die Versorgung der Bevölkerung in Österreich und Europa akut gefährdet.
Eine Entwicklung, die zahlreiche Ursachen hat und nicht so schnell rückgängig gemacht werden kann. Kurzfristige Maßnahmen sind ohnehin nur äußerst begrenzt möglich, die derzeitige Lage wird sich aller Voraussicht nach bis in das Frühjahr nicht entschärfen. Im Gegenteil, angesichts der anhaltend starken Erkältungssaison dürften sich die bestehenden Engpässe im Jänner und Februar noch verschlimmern.
1 Welche Medikament esindd erzeit nicht oder nur eingeschränkt erhältlich?
Unter den derzeit mehr als 500 Medikamenten, die in Österreich als nicht oder eingeschränkt verfügbar gemeldet worden sind, befinden sich neben Blutdrucksenkern, Magentabletten, Asthma-Sprays für Kinder und Psychopharmaka Standardwirkstoffe wie etwa Paracetamol (Neo Citran, Mexalen) und Ibuprofen (Thomapyrin), aber auch das Antibiotikum Penicillin. Letzterer Mangel bereitet Ärzten angesichts der unzähligen Anwendungsgebiete (Bronchitis, Angina, Scharlach, Harnwegsinfekte, Herzhaut-, Mittelohr-, Mandel-, Nasennebenhöhlen-, Lungen-, bakterielle Haut- und Zahnentzündungen) die größten Sorgen.
Verabreicht werden fast immer Präparate mit der Wirkstoffkombination Amoxicillin und Clavulansäure – wie etwa das Medikament Augmentin. Die Clavulansäure braucht es, um jene Enzyme zu eliminieren, die die Bakterien gegen das Amoxicillin schützen. Dem Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG) zufolge sind derzeit 85 Prozent der Medikamente mit dieser Kombination von Liefereinschränkungen betroffen, noch vor einer Woche waren es 72 Prozent. Ein Ausweichen auf andere noch lieferbare Antibiotika ist nur bedingt möglich, diese haben nämlich andere (schwächere) Wirkmechanismen und teilweise schwere Nebenwirkungen. Zudem sind auch diese Präpa rate ber eits weitgehend vergriffen, da sie üblicherweise selten zum Einsatz kommen und daher nur in geringen Mengen vorrätig gehalten werden.
Die gute Nachricht: Intravenös verabreichte Medikamente mit der Kombination Amoxicillin und Clavulansäure – also jene, die in Spitälern zum Einsatz kommen – sind noch ausreichend verfügbar. Niedergelassenen Ärzten bleibt daher häufig nichts anderes übrig, als ihre Patienten in Krankenhäuser einzuweisen und ungewollt dazu beizutragen, dass die Belastung dort zunimmt.
2 Worin liegen die Hauptgründe für die derzeitigen Lieferschwierigkeiten?
Die Hauptursache ist eine grobe Fehlkalkulation der wenigen globalen Hersteller, die nicht damit gerechnet haben, dass es nach dem Ende der Corona-Maßnahmen zu einer derart starken Erkältungssaison kommen wird. So leiden in Österreich derzeit mehrere Hunderttausend Menschen an der Grippe und anderen grippalen Infekten, Hausärzte werden laut Ärztekammer im Schnitt täglich 300- bis 400-m al konsul tiert, weswegen die Bevölkerung schon aufgerufen worden ist, zunächst die Möglichkeiten der Telemedizin (Anrufe, Mails) zu nutzen und Ordinationen nur dann aufzusuchen, wenn die Symptome stärker werden.
Hinzu kommen Probleme bei den Lieferketten infolge des Angriffskriegs in der Ukraine sowie Produktionsausfälle und Exportverbote in China, wo nach dem Abschied von der Null-Covid-Strategie Hunderte Millionen Menschen an Covid-19 erkrankt sind. In China und Indien wird wegen der günstigen Produktionsbedingungen der Großteil der Medikamente für den Weltmarkt hergestellt. Nun drängt sich natürlich die Frage auf, warum die Rückkehr der Krankheitserreger wie etwa Influenza, RSV und anderer Erkältungsviren unterschätzt wurde, hatten doch Mediziner stets darauf hingewiesen. Zudem fiel die Grippesaison auch in Australien und Neuseeland im dortigen Winter außergewöhnlich stark aus, was als verlässlicher Indikator für die Welle auf der Nordhalbkugel gilt. Die Antwort darauf ist in den grundlegenden Mechanismen der weltweiten Versorgung mit Arzneimitteln zu suchen.