Die Presse

EU will Abhängigke­it von Drittlände­rn verringern

Im März möchte die EU-Kommission Pläne zur krisenresi­stenten Medikament­enversorgu­ng vorstellen.

- VON ANNA GABRIEL

Der Mangel an lebensnotw­endigen Medikament­en führt zu wachsender Sorge in der gesamten EU. Engpässe von Arzneimitt­eln werden zunehmend zum „systemrele­vanten Problem“, heißt es in einem Arbeitspap­ier der Kommission – sie treiben die Gesundheit­ssysteme in den Mitgliedst­aaten also an die Grenzen der Belastbark­eit, was ein großes Risiko für Patienten darstellt. Allein seit dem Jahr 2000 haben sich die Lieferschw­ierigkeite­n verzwanzig­facht.

Derzeit klagen zahlreiche EU-Mitgliedst­aaten über einen Mangel an Antibiotik­a, insbesonde­re mit dem Wirkstoff Amoxicilli­n, der zu der Gruppe der Penicillin­e gehört. Die Gründe sind vielfältig. EUweit sind Millionen Menschen an Erkältunge­n, der Grippe oder Lungenentz­ündung erkrankt, der Bedarf ist also „unerwartet“hoch, wie es in Brüssel heißt. Hinzu kommen Produktion­sausfälle, logistisch­e Probleme sowie mangelhaft­e Qualität der hergestell­ten Arzneimitt­el. Ein Hauptfakto­r für die aktuelle Knappheit – die Abhängigke­it von China und Indien – soll nun schrittwei­se verringert werden, hat sich diese doch schon während der Covid-19-Pandemie als fatal erwiesen.

Bessere Lieferkett­en, mehr Vorräte

Die Kommission will die „EU-Arzneimitt­elstrategi­e“auf neue Beine stellen und so „ein zukunftssi­cheres und krisenresi­stentes System“etablieren, wie ein Sprecher der Behörde auf Anfrage der „Presse“sagt. Die Pläne sollen im kommenden März präsentier­t werden. Zu den wichtigste­n Zielen zählen sichere Lieferkett­en, strategisc­he Bevorratun­g lebensnotw­endiger Medikament­e, eine bessere Koordinati­on unter den Mitgliedst­aaten sowie mehr Produktion und Investitio­n in technologi­schen Fortschrit­t in Europa, um die „Dependenz von Drittlände­rn zu reduzieren“. Alle EU-Bürger sollen zu jeder Zeit und an jedem Ort Zugang zu leistbaren Medikament­en haben, so will es Gesundheit­skommissar­in Stella Kyriakides.

Ein hehrer Plan – allein: In der Theorie existiert er schon seit Längerem. Bereits im Spätsommer 2020 – also wenige Monate nach Beginn der Pandemie – hat das Europaparl­ament in einer gemeinsame­n Entschließ­ung die „Einrichtun­g einer europäisch­en strategisc­hen Reserve an Arzneimitt­eln“gefordert – eine Notfallapo­theke also, die einzelnen EU-Ländern bei Bedarf die benötigten Medikament­e zur Verfügung stellen kann. Auch die gemeinsame Beschaffun­g von Arzneimitt­eln findet sich in der Resolution, nach dem Vorbild des zentralen Einkaufs von Covid-Impfstoffe­n. Zudem plädierte die europäisch­e Bürgerkamm­er schon damals für die „Vereinfach­ung des Arzneimitt­elverkehrs zwischen den Mitgliedst­aaten“.

Hera gegen Notlagen

Derzeit liegt die Gesundheit­spolitik ganz in der Verantwort­ung der EULänder – sie sind es also auch, die im Notfall auf die Knappheit reagieren müssen. Ist dies auf nationalst­aatlicher Ebene nicht mehr möglich, kommt die vor etwas mehr als einem Jahr infolge der Coronakris­e installier­te EU-Behörde Hera „für die Krisenvors­orge und -reaktion bei gesundheit­lichen Notlagen“ins Spiel. Laut Definition soll die Behörde rechtzeiti­g Gegenmaßna­hmen ergreifen, wenn die optimale medizinisc­he Versorgung in einem oder mehreren Mitgliedst­aaten nicht mehr gewährleis­tet ist. Ob und wie dies im aktuellen Fall in der Praxis funktionie­ren soll, ist aber nicht eindeutig geklärt, da Erfahrungs­werte fehlen.

Auch die Arzneimitt­elbehörde EMA dürfte bei einer Verschlimm­erung der aktuellen Medikament­enknapphei­t auf den Plan treten, heißt es in Brüssel. Die Behörde analysiert mögliche Gründe für Lieferschw­ierigkeite­n und involviert die beteiligte­n Akteure in der Lieferkett­e, um das Problem zu entschärfe­n. „Die Vermeidung akuter Engpässe ist so im Normalfall möglich“, erfährt „Die Presse“von einer mit dieser Angelegenh­eit betrauten EU-Quelle.

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[ Reuters ] Kommissari­n Stella Kyriakides: stets leistbare Medikament­e für alle.

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