EU will Abhängigkeit von Drittländern verringern
Im März möchte die EU-Kommission Pläne zur krisenresistenten Medikamentenversorgung vorstellen.
Der Mangel an lebensnotwendigen Medikamenten führt zu wachsender Sorge in der gesamten EU. Engpässe von Arzneimitteln werden zunehmend zum „systemrelevanten Problem“, heißt es in einem Arbeitspapier der Kommission – sie treiben die Gesundheitssysteme in den Mitgliedstaaten also an die Grenzen der Belastbarkeit, was ein großes Risiko für Patienten darstellt. Allein seit dem Jahr 2000 haben sich die Lieferschwierigkeiten verzwanzigfacht.
Derzeit klagen zahlreiche EU-Mitgliedstaaten über einen Mangel an Antibiotika, insbesondere mit dem Wirkstoff Amoxicillin, der zu der Gruppe der Penicilline gehört. Die Gründe sind vielfältig. EUweit sind Millionen Menschen an Erkältungen, der Grippe oder Lungenentzündung erkrankt, der Bedarf ist also „unerwartet“hoch, wie es in Brüssel heißt. Hinzu kommen Produktionsausfälle, logistische Probleme sowie mangelhafte Qualität der hergestellten Arzneimittel. Ein Hauptfaktor für die aktuelle Knappheit – die Abhängigkeit von China und Indien – soll nun schrittweise verringert werden, hat sich diese doch schon während der Covid-19-Pandemie als fatal erwiesen.
Bessere Lieferketten, mehr Vorräte
Die Kommission will die „EU-Arzneimittelstrategie“auf neue Beine stellen und so „ein zukunftssicheres und krisenresistentes System“etablieren, wie ein Sprecher der Behörde auf Anfrage der „Presse“sagt. Die Pläne sollen im kommenden März präsentiert werden. Zu den wichtigsten Zielen zählen sichere Lieferketten, strategische Bevorratung lebensnotwendiger Medikamente, eine bessere Koordination unter den Mitgliedstaaten sowie mehr Produktion und Investition in technologischen Fortschritt in Europa, um die „Dependenz von Drittländern zu reduzieren“. Alle EU-Bürger sollen zu jeder Zeit und an jedem Ort Zugang zu leistbaren Medikamenten haben, so will es Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides.
Ein hehrer Plan – allein: In der Theorie existiert er schon seit Längerem. Bereits im Spätsommer 2020 – also wenige Monate nach Beginn der Pandemie – hat das Europaparlament in einer gemeinsamen Entschließung die „Einrichtung einer europäischen strategischen Reserve an Arzneimitteln“gefordert – eine Notfallapotheke also, die einzelnen EU-Ländern bei Bedarf die benötigten Medikamente zur Verfügung stellen kann. Auch die gemeinsame Beschaffung von Arzneimitteln findet sich in der Resolution, nach dem Vorbild des zentralen Einkaufs von Covid-Impfstoffen. Zudem plädierte die europäische Bürgerkammer schon damals für die „Vereinfachung des Arzneimittelverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten“.
Hera gegen Notlagen
Derzeit liegt die Gesundheitspolitik ganz in der Verantwortung der EULänder – sie sind es also auch, die im Notfall auf die Knappheit reagieren müssen. Ist dies auf nationalstaatlicher Ebene nicht mehr möglich, kommt die vor etwas mehr als einem Jahr infolge der Coronakrise installierte EU-Behörde Hera „für die Krisenvorsorge und -reaktion bei gesundheitlichen Notlagen“ins Spiel. Laut Definition soll die Behörde rechtzeitig Gegenmaßnahmen ergreifen, wenn die optimale medizinische Versorgung in einem oder mehreren Mitgliedstaaten nicht mehr gewährleistet ist. Ob und wie dies im aktuellen Fall in der Praxis funktionieren soll, ist aber nicht eindeutig geklärt, da Erfahrungswerte fehlen.
Auch die Arzneimittelbehörde EMA dürfte bei einer Verschlimmerung der aktuellen Medikamentenknappheit auf den Plan treten, heißt es in Brüssel. Die Behörde analysiert mögliche Gründe für Lieferschwierigkeiten und involviert die beteiligten Akteure in der Lieferkette, um das Problem zu entschärfen. „Die Vermeidung akuter Engpässe ist so im Normalfall möglich“, erfährt „Die Presse“von einer mit dieser Angelegenheit betrauten EU-Quelle.