Es gibt kein Zurück in die Natur – und das ist gut so
Ein nachträglicher Neujahrswunsch: Umwelt- und Klimaschützer sollen sich nicht einer antihumanistischen Ideologie verschreiben.
Von der „Bewahrung der Schöpfung“ist dieser Tage in vielen Predigten, eher geistlichen und eher weltlichen, die Rede. Wer würde nicht zustimmen? Es scheint heute ein breiter Konsens zu sein: Wir Menschen schädigen die Natur, wir beuten sie aus, ja: missbrauchen sie. Kein Wunder, dass sie zurückschlägt, uns straft wie eine gekränkte Mutter.
Diese Denkfigur beruht auf der Vorstellung, dass die Natur – in der theologischen Variante: die Schöpfung – ohne uns in einem harmonischen Gleichgewicht wäre. Und nach uns sein wird. Michel Houellebecq hat diese Vorstellung am Ende seines Romans „Karte und Gebiet“verdichtet: „Wenn die Bilder der Menschen verwittern“, dann werde „alles ruhig, und zurück bleiben nur im Wind wiegende Gräser. Die Vegetation trägt den endgültigen Sieg davon.“
Doch das Idyll trügt. Es gibt im Leben kein dauerhaftes Gleichgewicht, ein solches wäre der Tod. Die Wölfe weiden nicht neben den Lämmern. Die Evolution, in der sich alles Leben entwickelt hat, wurde durch Katastrophen geprägt und getrieben, die größten markieren die Grenzen zwischen den Erdzeitaltern. Und die Natur ist, wie Darwin gesagt hat, „blutig an Klauen und Zähnen“. Unsere Moral finden wir nicht in ihr. Nur ein Beispiel: Vergewaltigung ist bei vielen Tierarten eine gängige Sexualstrategie, wir Menschen ächten sie und strafen sie zu Recht.
Wir fügen uns der Natur nicht, wir machen unsere eigenen Gesetze. Wir können uns „als einzige Lebewesen auf der Erde gegen die Tyrannei der egoistischen Replikatoren (= der Gene, Anm.) auflehnen“, hat der Biologe Richard Dawkins formuliert. Das ist – auch – gemeint mit dem so martialisch klingenden biblischen Imperativ „Macht euch die Erde untertan!“. Wer ihn aus der Genesis streichen will, leugnet einen wesentlichen Zug des Judentums und des aus ihm erwachsenen Christentums: Es sind keine Naturreligionen, sie sind weit davon entfernt, die Natur zu vergöttern. Sie stehen, pathetisch gesagt, auf der Seite der Kultur.
Und, so kontraintuitiv das klingen mag, auf der Seite der Aufklärung. Deren Denken habe „bewusst oder unbewusst eine christlich-theologische Tradition fortgeschrieben“, erklärte der Historiker und Philosoph Philipp Blom in seiner antihumanistischen Schrift „Die Unterwerfung“, die das „Ende der menschlichen Herrschaft über die Natur“proklamiert. Homo sapiens sei „kein besonders wichtiger Organismus“, sagt er, sondern „ein unwesentlicher Teil in einem System von Systemen, das in der westlichen Tradition als ,Natur‘ bezeichnet wird“.
Es ist zu befürchten, dass ein beträchtlicher Teil der Umwelt- und Klimaschutzbewegung ähnlich denkt. Und auch wenn es nicht so gemeint sein sollte: Wenn Proponenten der „Letzten Generation“Kunstwerke beschütten, dann wirkt das wie zur Schau gestellte Verachtung der Kunst, wie eine Illustration der Ideologie, dass Kultur im Vergleich zur Natur wertlos sei.
Dabei haben sie – naturgemäß, möchte man sagen – in der Sache nicht unrecht. Es stimmt: Die seit Beginn der Industrialisierung fortschreitende Erderwärmung ist gefährlich, sie ist von Menschen gemacht, und diese sollten danach trachten, sie zu bremsen. Das tun sie auch schon. Das können sie tun, weil sie eben nicht blinde, willenlose Teile der Natur sind. Wie andere Lebewesen, die ihre Lebensgrundlage gedankenlos auffressen. Und verschmutzen. Wie, um ein archaisches Beispiel anzuführen, die Blaualgen, die vor 3,5 Milliarden Jahren begannen, die Atmosphäre mit Sauerstoff zu füllen, der damals für alle giftig war.
Das ist er längst nicht mehr. Wir atmen Sauerstoff. Wir wissen, wozu wir das tun und wie das funktioniert. Wir können seine Eigenschaften aus Formeln berechnen, die wir aufgestellt haben. Wir wissen sehr genau um die Gefahr, die es bedeutet, wenn er knapp wird. Oder wenn das Kohlendioxid überhandnimmt. Wir verstehen das und viel, viel mehr – als einzige Lebewesen auf der Erde. Als einzige können wir auch andere Lebewesen bewusst und gezielt schützen. Und damit uns selbst. Damit die Vegetation gedeiht – aber nicht den endgültigen Sieg davonträgt.