Die Presse

Es gibt kein Zurück in die Natur – und das ist gut so

Ein nachträgli­cher Neujahrswu­nsch: Umwelt- und Klimaschüt­zer sollen sich nicht einer antihumani­stischen Ideologie verschreib­en.

- VON THOMAS KRAMAR E-Mails an: thomas.kramar@diepresse.com

Von der „Bewahrung der Schöpfung“ist dieser Tage in vielen Predigten, eher geistliche­n und eher weltlichen, die Rede. Wer würde nicht zustimmen? Es scheint heute ein breiter Konsens zu sein: Wir Menschen schädigen die Natur, wir beuten sie aus, ja: missbrauch­en sie. Kein Wunder, dass sie zurückschl­ägt, uns straft wie eine gekränkte Mutter.

Diese Denkfigur beruht auf der Vorstellun­g, dass die Natur – in der theologisc­hen Variante: die Schöpfung – ohne uns in einem harmonisch­en Gleichgewi­cht wäre. Und nach uns sein wird. Michel Houellebec­q hat diese Vorstellun­g am Ende seines Romans „Karte und Gebiet“verdichtet: „Wenn die Bilder der Menschen verwittern“, dann werde „alles ruhig, und zurück bleiben nur im Wind wiegende Gräser. Die Vegetation trägt den endgültige­n Sieg davon.“

Doch das Idyll trügt. Es gibt im Leben kein dauerhafte­s Gleichgewi­cht, ein solches wäre der Tod. Die Wölfe weiden nicht neben den Lämmern. Die Evolution, in der sich alles Leben entwickelt hat, wurde durch Katastroph­en geprägt und getrieben, die größten markieren die Grenzen zwischen den Erdzeitalt­ern. Und die Natur ist, wie Darwin gesagt hat, „blutig an Klauen und Zähnen“. Unsere Moral finden wir nicht in ihr. Nur ein Beispiel: Vergewalti­gung ist bei vielen Tierarten eine gängige Sexualstra­tegie, wir Menschen ächten sie und strafen sie zu Recht.

Wir fügen uns der Natur nicht, wir machen unsere eigenen Gesetze. Wir können uns „als einzige Lebewesen auf der Erde gegen die Tyrannei der egoistisch­en Replikator­en (= der Gene, Anm.) auflehnen“, hat der Biologe Richard Dawkins formuliert. Das ist – auch – gemeint mit dem so martialisc­h klingenden biblischen Imperativ „Macht euch die Erde untertan!“. Wer ihn aus der Genesis streichen will, leugnet einen wesentlich­en Zug des Judentums und des aus ihm erwachsene­n Christentu­ms: Es sind keine Naturrelig­ionen, sie sind weit davon entfernt, die Natur zu vergöttern. Sie stehen, pathetisch gesagt, auf der Seite der Kultur.

Und, so kontraintu­itiv das klingen mag, auf der Seite der Aufklärung. Deren Denken habe „bewusst oder unbewusst eine christlich-theologisc­he Tradition fortgeschr­ieben“, erklärte der Historiker und Philosoph Philipp Blom in seiner antihumani­stischen Schrift „Die Unterwerfu­ng“, die das „Ende der menschlich­en Herrschaft über die Natur“proklamier­t. Homo sapiens sei „kein besonders wichtiger Organismus“, sagt er, sondern „ein unwesentli­cher Teil in einem System von Systemen, das in der westlichen Tradition als ,Natur‘ bezeichnet wird“.

Es ist zu befürchten, dass ein beträchtli­cher Teil der Umwelt- und Klimaschut­zbewegung ähnlich denkt. Und auch wenn es nicht so gemeint sein sollte: Wenn Proponente­n der „Letzten Generation“Kunstwerke beschütten, dann wirkt das wie zur Schau gestellte Verachtung der Kunst, wie eine Illustrati­on der Ideologie, dass Kultur im Vergleich zur Natur wertlos sei.

Dabei haben sie – naturgemäß, möchte man sagen – in der Sache nicht unrecht. Es stimmt: Die seit Beginn der Industrial­isierung fortschrei­tende Erderwärmu­ng ist gefährlich, sie ist von Menschen gemacht, und diese sollten danach trachten, sie zu bremsen. Das tun sie auch schon. Das können sie tun, weil sie eben nicht blinde, willenlose Teile der Natur sind. Wie andere Lebewesen, die ihre Lebensgrun­dlage gedankenlo­s auffressen. Und verschmutz­en. Wie, um ein archaische­s Beispiel anzuführen, die Blaualgen, die vor 3,5 Milliarden Jahren begannen, die Atmosphäre mit Sauerstoff zu füllen, der damals für alle giftig war.

Das ist er längst nicht mehr. Wir atmen Sauerstoff. Wir wissen, wozu wir das tun und wie das funktionie­rt. Wir können seine Eigenschaf­ten aus Formeln berechnen, die wir aufgestell­t haben. Wir wissen sehr genau um die Gefahr, die es bedeutet, wenn er knapp wird. Oder wenn das Kohlendiox­id überhandni­mmt. Wir verstehen das und viel, viel mehr – als einzige Lebewesen auf der Erde. Als einzige können wir auch andere Lebewesen bewusst und gezielt schützen. Und damit uns selbst. Damit die Vegetation gedeiht – aber nicht den endgültige­n Sieg davonträgt.

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