Polens Stunde der Aufrüstung
An der Nato-Ostflanke wollen sie sich nicht auf ihre Partner verlassen. Polen will selbst militärische Großmacht sein. Demnächst sollen fünf Prozent des BIPs in die Verteidigung fließen.
Mit ernsten Gesichtern haben sich 400 Männer der 16. Mechanisierten Division im leichten Schneetreiben auf einem Appellplatz in Olsztyn (Allenstein) aufgestellt. Es handelt sich um „Freiwillige Zeitsoldaten des Polnischen Heeres“, keine Berufssoldaten. 15.000 Ausbildungsplätze wurden 2022 für diese neue polnische Truppe zusätzlich geschaffen; 25.000 weitere sollen 2023 dazukommen. Einen Monat Grundausbildung und elf Monate Fachausbildung sollen die neuen Zeitsoldaten erhalten. Der Sold beträgt 850 Euro im Monat.
Verteidigungsminister Mariusz Błaszczak ist an diesem Tag angereist: „Wir bilden euch aus, weil wir das Heer vergrößern wollen, damit Polen sicherer wird“, sagt der rechtsnationale Ressortchef. Er lässt durchblicken, dass er auf den freiwilligen Eintritt vieler Zeitsoldaten ins Berufsheer hofft. Laut Verteidigungsministerium in Warschau sollen dies in Olsztyn drei Viertel der Vereidigten erwägen, ein Viertel will weiterhin seinem zivilen Beruf nachgehen, jedoch der nach dem Wahlsieg der Rechtskonservativen neu geschaffenen „Territorialverteidigung“(WOT) als Reservisten zur Verfügung stehen.
Der wie ein langweiliger Bürokrat wirkende Błaszczak ist Polens
Gesicht für die beispiellose Aufrüstung und Umgestaltung des heute 115.000 Berufssoldaten zählenden Heeres.
Bis 2035 soll dieses auf 300.000 Mann ausgebaut werden – im Vergleich dazu zählt die deutsche Bundeswehr 180.000 Mann – und sodann die größte Truppe eines Nato-Mitglieds nach den USA stellen. Vorgesehen sind 250.000 Berufs- und 50.000 WOTSoldaten. Polen reagiert damit auf die russische Invasion im Nachbarland Ukraine.
Seit 1999 Nato-Mitglied
Wobei Russland in Warschau nicht erst seit dem Ukraine-Krieg als tendenzielle Gefahr angesehen. wird. Nach der Wende 1989 setzte Warschau alles daran, NatoMitglied zu werden. Dies gelang 1999.
Bis zum 25. Jahrestag der NatoMitgliedschaft will Polen mindestens drei Prozent des BIPs für die Verteidigung ausgeben, in den darauffolgenden Jahren sollen es nach dem Willen von Regierungsparteichef Jarosław Kaczyn´ski fünf Prozent werden.
Wann diese enorme Summe erreicht wird, ist indes unklar, denn Polen kämpft im Moment mit einer hohen Inflationsrate von gut 17 Prozent und muss sich immer mehr verschulden, um die Armee auf Vordermann zu bringen und die Wähler mit Sozialleistungen
bei der Stange zu halten. Denn im Herbst 2023 will Kaczyn´skis Partei „Recht und Gerechtigkeit“(PiS) zum dritten Mal als stärkste Kraft wiedergewählt werden.
Und so betreibt Kaczyn´skis Verteidigungsminister eben auch Wahlkampf, wenn er – wie vor drei Wochen – neue Waffenlieferungen aus Südkorea am Containerterminal im Ostseehafen Gdynia (Gdingen) in Empfang nimmt.
Riesige Investitionen geplant
Błaszczaks Einkaufsliste ist lang und teuer: 150 bis 210 Milliarden Euro sollen bis 2035 für neue Waffensysteme ausgegeben werden. In Seoul hat man bei einer HyundaiTochter rund 1000 Panzer, 672 Panzerhaubitzen und 48 FA-50-Kampfjets bestellt. In den USA wurden 250 neue und 116 gebrauchte „Abrams“-Panzer kontraktiert, dazu 500 Himars-Raketenwerfer und F-35-„Stealth“Kampfjets. Dazu kommen Helikopter aus Italien, Jeeps aus Großbritannien und 1400 „Borsuk“-Radpanzer aus eigener Produktion. Auch 3500 Einmannraketenwerfer möchte man noch. Und natürlich die amerikanischen „Patriot“-Raketenwerfer, 16 Staffeln bis zum Jahr 2026, für die man laut polnischen Berichten doppelt soviel bezahlt wie Rumänien.
Mit diesem Waffenarsenal in den Händen eines mindestens doppelt so großen Berufsheeres beabsichtigt Polen, Deutschland den Rang als wichtigster Verbündeter der USA abzulaufen. Warschau will sich nicht auf die NatoPartner verlassen, schon gar nicht auf die als zaudernd wahrgenommenen Deutschen, sondern die Initiative selbst in die Hand nehmen.
Historische Traumata
Grund dafür sind tragische historische Erfahrungen Polens, das jahrhundertelang zwischen zwei aggressiven Nachbarn eingezwängt war – Deutschland und Russland. 1939 wurde das Land dazu in den geheimen Zusatzprotokollen zum Hitler-Stalin-Pakt zwischen NaziDeutschland und der UdSSR aufgeteilt; Großbritannien und Frankreich hatten Warschau zwar Waffenhilfe für den Kriegsfall zugesichert, doch den Polen nach dem Überfall keine Truppen geschickt.
Polen hielt damals der deutsch-russischen Übermacht nur 36 Tage stand und verlor bis Mai 1945 ein Drittel seiner Bevölkerung.
Dies darf sich nicht wiederholen, da sind sich alle Polen einig. Das polnische Staatsradio kommentierte Mitte Dezember die neusten Waffenkäufe so: „Bei der Ratlosigkeit Frankreichs und Deutschlands fällt die Verantwortung der Verteidigung der NatoOstflanke und der Grenzziehung für das neo-sowjetische Imperium uns zu.“