Cannabislegalisierung und EU-Recht: „Ja, dürfen s’ denn das?“
Der geplanten deutschen Liberalisierung stehen ein Verbot des Verkaufs von Drogen und Probleme des freien Warenverkehrs im Weg.
Ende Oktober 2022 hat die deutsche Bundesregierung ihre Pläne präsentiert, die Produktion, den Verkauf und den Besitz begrenzter Mengen von Cannabis zu legalisieren. Tatsächlich liegt eine solche Entscheidung grundsätzlich „im rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers“, wie der Verfassungsgerichtshof in einem im Juli 2022 veröffentlichten Beschluss (VfGH 1. Juli 2022, G 323/2021, V 252-253/2021) festgestellt hat. Mit dieser Entscheidung wurde ein Antrag auf Aufhebung des Cannabisverbots in Österreich mangels hinreichender Erfolgsaussicht abgelehnt.
Dass aber die Regulierung des Konsums von Suchtmitteln wirklich eine ausschließlich (nationale) politische Entscheidung und keine rechtliche Frage sei, wie der Verfassungsgerichtshof damit insinuiert, stimmt so nicht ganz. Denn sowohl Österreich als auch Deutschland sind als Mitgliedstaaten der EU an die Vorgaben des Unionsrechts gebunden. Und da tun sich bei näherem Blick auf die einschlägigen Regelungen zwei Problemkreise auf.
Zum einen stehen derzeit geltende sekundärrechtliche Bestimmungen einer Cannabislegalisierung explizit entgegen. So sieht ein EU-Rahmenbeschluss aus 2004 über Strafen im Bereich des illegalen Drogenhandels vor, dass in den Mitgliedstaaten der Anbau, die Herstellung und der Verkauf von Drogen (darunter explizit auch die Cannabispflanze) verboten ist (Rahmenbeschluss 2004/757/JI vom 25. 10. 2004). Weiters normiert eine in das Unionsrecht übernommene Schengen-Regelung, dass (auch) der grenzüberschreitende Handel mit Cannabis strafrechtlich zu verfolgen ist (Art 71 SDÜ).
Rahmenbeschluss veränderbar
Diese Vorgaben sind freilich nicht in Stein gemeißelt, beide Beschlüsse könnten modifiziert werden. Dafür wäre im so genannten „ordentlichen Gesetzgebungsverfahren“ein Beschluss durch die Mitgliedstaaten im Rat mit „qualifizierter Mehrheit“vonnöten. Nicht sehr wahrscheinlich, aber bei entsprechender Überzeugungsarbeit seitens Deutschlands auch nicht ganz ausgeschlossen. Das gewichtigste Argument hierbei wäre wohl jenes, den Schwarzmarkt zugunsten legaler Optionen auszudünnen und dadurch dem Jugend- und Gesundheitsschutz zu dienen. Zudem ist im Rahmenbeschluss aus 2004 mit dem Hinweis, dass die Verbote nur dann bestehen, wenn keine „entsprechende Berechtigung“vorliegt, eine Ausnahmemöglichkeit schon angedeutet.
Neben Widrigkeiten aus dem Sekundärrecht ergeben sich aber für die deutschen Legalisierungspläne zum anderen auch Hemmnisse aus dem Primärrecht. Ein in den Verträgen verankerter zentraler Grundsatz des EU-Binnenmarktes ist nämlich der freie Warenverkehr. Von diesem profitieren grundsätzlich alle Güter, die in einem Mitgliedstaat (und sei’s auch wirklich nur in einem) im rechtmäßigen Verkehr stehen. Nur dann, wenn ein Produkt in allen Mitgliedstaaten verboten ist, steht es außerhalb des Binnenmarktes (EuGH 26. Oktober 1982, Rs 240/81). Eine echte Legalisierung in Deutschland würde damit fortan Cannabisprodukte zu Gütern machen, die vom freien Warenverkehr
zwischen den Mitgliedstaaten profitieren und den übrigen Mitgliedstaaten würde in der Folge im Falle von Einfuhrbeschränkungen eine erhebliche Rechtfertigungslast auferlegt.
Weder erlaubt noch verboten?
Eine vielleicht für alle vertretbare Lösung gäbe es auch hier. Deutschland könnte den „holländischen Weg“wählen (der auch in Belgien, Tschechien und einigen anderen Mitgliedstaaten begangen wird), und Cannabis zwar nicht erlauben, aber eben auch nicht strikt verbieten bzw. pönalisieren (dazu EuGH 16. Dezember 2010, Rs C-137/09). Dieserart bliebe Cannabis vom Anwendungsbereich des freien Warenverkehrs weiterhin ausgenommen und Folgeprobleme erspart.
Ein nationaler Alleingang zur Cannabislegalisierung durch den deutschen Gesetzgeber ist damit unionsrechtlich nicht ausgeschlossen; er bedarf aber sehr wohl noch einiger legislativer Glättungen auf beiden rechtlichen Ebenen.