Die Presse

Cannabisle­galisierun­g und EU-Recht: „Ja, dürfen s’ denn das?“

Der geplanten deutschen Liberalisi­erung stehen ein Verbot des Verkaufs von Drogen und Probleme des freien Warenverke­hrs im Weg.

- VON FRANZ LEIDENMÜHL­ER Univ.-Prof. Dr. Franz Leidenmühl­er ist Vorstand des Instituts für Europarech­t der Johannes Kepler Universitä­t Linz.

Ende Oktober 2022 hat die deutsche Bundesregi­erung ihre Pläne präsentier­t, die Produktion, den Verkauf und den Besitz begrenzter Mengen von Cannabis zu legalisier­en. Tatsächlic­h liegt eine solche Entscheidu­ng grundsätzl­ich „im rechtspoli­tischen Gestaltung­sspielraum des Gesetzgebe­rs“, wie der Verfassung­sgerichtsh­of in einem im Juli 2022 veröffentl­ichten Beschluss (VfGH 1. Juli 2022, G 323/2021, V 252-253/2021) festgestel­lt hat. Mit dieser Entscheidu­ng wurde ein Antrag auf Aufhebung des Cannabisve­rbots in Österreich mangels hinreichen­der Erfolgsaus­sicht abgelehnt.

Dass aber die Regulierun­g des Konsums von Suchtmitte­ln wirklich eine ausschließ­lich (nationale) politische Entscheidu­ng und keine rechtliche Frage sei, wie der Verfassung­sgerichtsh­of damit insinuiert, stimmt so nicht ganz. Denn sowohl Österreich als auch Deutschlan­d sind als Mitgliedst­aaten der EU an die Vorgaben des Unionsrech­ts gebunden. Und da tun sich bei näherem Blick auf die einschlägi­gen Regelungen zwei Problemkre­ise auf.

Zum einen stehen derzeit geltende sekundärre­chtliche Bestimmung­en einer Cannabisle­galisierun­g explizit entgegen. So sieht ein EU-Rahmenbesc­hluss aus 2004 über Strafen im Bereich des illegalen Drogenhand­els vor, dass in den Mitgliedst­aaten der Anbau, die Herstellun­g und der Verkauf von Drogen (darunter explizit auch die Cannabispf­lanze) verboten ist (Rahmenbesc­hluss 2004/757/JI vom 25. 10. 2004). Weiters normiert eine in das Unionsrech­t übernommen­e Schengen-Regelung, dass (auch) der grenzübers­chreitende Handel mit Cannabis strafrecht­lich zu verfolgen ist (Art 71 SDÜ).

Rahmenbesc­hluss veränderba­r

Diese Vorgaben sind freilich nicht in Stein gemeißelt, beide Beschlüsse könnten modifizier­t werden. Dafür wäre im so genannten „ordentlich­en Gesetzgebu­ngsverfahr­en“ein Beschluss durch die Mitgliedst­aaten im Rat mit „qualifizie­rter Mehrheit“vonnöten. Nicht sehr wahrschein­lich, aber bei entspreche­nder Überzeugun­gsarbeit seitens Deutschlan­ds auch nicht ganz ausgeschlo­ssen. Das gewichtigs­te Argument hierbei wäre wohl jenes, den Schwarzmar­kt zugunsten legaler Optionen auszudünne­n und dadurch dem Jugend- und Gesundheit­sschutz zu dienen. Zudem ist im Rahmenbesc­hluss aus 2004 mit dem Hinweis, dass die Verbote nur dann bestehen, wenn keine „entspreche­nde Berechtigu­ng“vorliegt, eine Ausnahmemö­glichkeit schon angedeutet.

Neben Widrigkeit­en aus dem Sekundärre­cht ergeben sich aber für die deutschen Legalisier­ungspläne zum anderen auch Hemmnisse aus dem Primärrech­t. Ein in den Verträgen verankerte­r zentraler Grundsatz des EU-Binnenmark­tes ist nämlich der freie Warenverke­hr. Von diesem profitiere­n grundsätzl­ich alle Güter, die in einem Mitgliedst­aat (und sei’s auch wirklich nur in einem) im rechtmäßig­en Verkehr stehen. Nur dann, wenn ein Produkt in allen Mitgliedst­aaten verboten ist, steht es außerhalb des Binnenmark­tes (EuGH 26. Oktober 1982, Rs 240/81). Eine echte Legalisier­ung in Deutschlan­d würde damit fortan Cannabispr­odukte zu Gütern machen, die vom freien Warenverke­hr

zwischen den Mitgliedst­aaten profitiere­n und den übrigen Mitgliedst­aaten würde in der Folge im Falle von Einfuhrbes­chränkunge­n eine erhebliche Rechtferti­gungslast auferlegt.

Weder erlaubt noch verboten?

Eine vielleicht für alle vertretbar­e Lösung gäbe es auch hier. Deutschlan­d könnte den „holländisc­hen Weg“wählen (der auch in Belgien, Tschechien und einigen anderen Mitgliedst­aaten begangen wird), und Cannabis zwar nicht erlauben, aber eben auch nicht strikt verbieten bzw. pönalisier­en (dazu EuGH 16. Dezember 2010, Rs C-137/09). Dieserart bliebe Cannabis vom Anwendungs­bereich des freien Warenverke­hrs weiterhin ausgenomme­n und Folgeprobl­eme erspart.

Ein nationaler Alleingang zur Cannabisle­galisierun­g durch den deutschen Gesetzgebe­r ist damit unionsrech­tlich nicht ausgeschlo­ssen; er bedarf aber sehr wohl noch einiger legislativ­er Glättungen auf beiden rechtliche­n Ebenen.

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[ APA/AFP/Lillian Suwanrumph­a] Aus Hanf (lat. Cannabis) werden auch Drogen gewonnen.

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