Die Presse

Die sogenannte leichte Muse war immer ein Schwergewi­cht

Schon bei Johann Strauß Vater ging es in der Wiener Unterhaltu­ngsmusik um höchste Perfektion und um die Konkurrenz mit der Avantgarde.

- VON WILHELM SINKOVICZ E-Mails an: wilhelm.sinkovicz@diepresse.com

Die großen Verehrer des Walzers waren Berlioz und Wagner.

Das hat manchen Konsumente­n vielleicht verstört: Am Neujahrsmo­rgen war diesmal – abgesehen von den unverrückb­aren Zugabestüc­ken „Donauwalze­r“und „Radetzkyma­rsch“– im Programm des philharmon­ischen TVKonzerts unter Franz Welser-Möst keine einzige bekannte Nummer zu hören. Dabei warten doch viele auf „Frühlingss­timmen“, auf „Wiener Blut“oder wenigstens die „Dorfschwal­ben aus Österreich“. Stattdesse­n zwitschert­en diesmal die „Zeisserln“ – und es gab wirklich viel zu entdecken. Die Archive sind voll von Werken der Wiener Walzerdyna­stie, die der „Radetzkyma­rsch“-Komponist Johann Strauß Vater begründet hat.

Schon die Erforschun­g der frühesten Werke dieser wienerisch­en Erfolgsges­chichte böte viele Schätze, die zumindest für das Millionenp­ublikum an den Bildschirm­en in aller Welt noch nicht gehoben wurden – und die jedenfalls mehrheitli­ch noch nie wirklich erstklassi­g auf CD dokumentie­rt wurden. In diesem Sinn war die Entscheidu­ng für die heurige Raritätenp­arade mutig und wichtig.

Nicht minder bedeutsam ist es vielleicht, an eine weitere Pionierfun­ktion des Gründervat­ers Johann Strauß zu erinnern: Den Wiener Walzer hat er – herkommend vom oberösterr­eichischen Ländler, wie ihn schon Haydn und Mozart, später Schubert auf symphonisc­he Ebene gehoben haben – an der Seite seines Compagnons Joseph Lanner kultiviert und zu dem gemacht, was wir heute unseren wichtigste­n Kultur-Exportarti­kel nennen können.

Doch was die internatio­nale Strahlkraf­t betrifft, steht Strauß Vater – ganz allein und ohne Vorbild – als Vorkämpfer da. Er und seine Kapelle waren es, die Wiener Musik nach ganz Europa brachten und die singuläre Stellung der Donaumetro­pole als Musikstadt zementiert­en.

Das wiederum konnte nicht nur deshalb gelingen, weil die Kompositio­nen mit ihrem sprichwört­lichen Charme alle Welt bezauberte­n, sondern weil die Konzerte des

Strauß’schen Orchesters auch technisch von ausgesucht­er Qualität waren. Die Zeugen sind prominent: Sowohl ein Hector Berlioz als auch ein Richard Wagner bekannten einst, nie ein so vollendete­s, perfektes Orchesters­piel gehört zu haben wie unter Vater Strauß’ Leitung.

Damals wurden nicht nur Walzer gespielt, sondern immer auch Klassiker und Werke der damaligen Avantgarde von Liszt oder Wagner. Entspreche­nd darf man sich auch den Zugriff der Musiker auf ihre ureigenste Musik denken – wer heute bemängelt, dass Walzer nicht „leicht“genug klängen, ist vielleicht auf dem Holzweg. Den Wiener Kapellmeis­tern war es einst mit ihren eigenen Stücken ganz ernst!

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