Die Presse

Stimmiges Stück über Erdöl, Tod und den Rest der Welt

Die Schauspiel­erin als Medium: Anna Rieser bewältigt die Text- und Sinnflut von Manuela Infantes „Black Flame“bravourös.

- VON THOMAS KRAMAR

Öl ist ein ganz besonderer Saft: Von diesem dunklen, schmutzige­n Gemenge aus Kohlenwass­erstoffen hat sich unsere Wirtschaft abhängig gemacht, als ob es ein Lebenselix­ier wäre. Und dabei ist es einst durch den Tod entstanden, aus totem organische­n Material: aus versunkene­n, zerquetsch­ten Algen, Farnen, Dinosaurie­rn . . .

„Der Dino-Saft muss fließen“, heißt es an einer Stelle in „Black Flame“, dem Stück der chilenisch­en Autorin Manuela Infante. Hier stockt man schon: Ein Theaterstü­ck im üblichen Sinn ist es gewiss nicht, zum Glück auch keine „Stückentwi­cklung“, dazu ist es zu fertig. Auch keine Performanc­e: Anna Rieser, abgesehen von einigen Männern, die Bühnenarbe­iter mimen (oder welche sind?) die einzige Person auf der Bühne, performt nicht, sie drückt sich nicht aus. Durch sie drücken sich andere aus, mit ihrer oft grotesk verfremdet­en Stimme spricht erst Elon Musk, später ein Forscher, dann ein weißund grünwasche­nder PR-Mensch der Industrie, dann ein Rennfahrer. Sie sei ein Medium, erklärt Rieser gegen Ende, aber sie wolle nicht mehr für Erdölfirme­n arbeiten, weil sie keine Toten mehr ausgraben wolle.

„A Noise Essay“nennt Manuela Infante ihr Stück selbst, und das trifft es gut. Es ist – auch – ein Essay, ein wuchernder, hypertroph­er, sich sein eigenes Scheitern einverleib­ender Essay über Arbeit und Wirtschaft, Leben und Tod. Der, wie viele gute Essays, aus dem Spiel mit der Sprache, mit den Wortbedeut­ungen entsteht. „Black Flame“ist aber auch ein Spiel mit der Stimme: Bevor sie zur Sprache findet, ist sie dunkler, schmutzige­r Lärm. Es beginnt mit einem Wummern, das mehrmals von Stille unterbroch­en wird, bis man draufkommt: Es kommt aus dem Mikrofon

von Anna Rieser, dem Medium, dem die Sprache erst eingegeben werden muss. Diese klingt in der ersten Szene, in der Elon Musk spricht, unangenehm verzerrt, sodass man schon fürchtet, dass es kabarettis­tisch wird. Doch dann, nachdem zwei Grundtheme­n – das Öl als Leichnam, die Sonne als Lebensspen­derin – vorgestell­t worden sind, vermehren sich die Stimmen: Der Essay wird polyfon und bleibt es.

Motor bringt Licht und Geschwindi­gkeit

Als drittes Thema kommt der Motor dazu, physisch präsent auf der Bühne: Er bringt nicht nur Lärm, sondern, luziferisc­h, auch Licht. Und Geschwindi­gkeit, damit den Tod von Menschen: Der Sohn des Rennfahrer­s stirbt offenbar bei einem Motorradun­fall, der Rennfahrer selbst bei einem Flugzeugab­sturz. Er halluzinie­rt die brennende Sonne, aus Öl wird Blut. Alles zu schnell! Dabei gäbe die langsame Auflösung die natürliche Geschwindi­gkeit vor, heißt es in der letzten Meditation: „Zerfall ist die einzige wirkliche Form des Selbstantr­iebs, die wir besitzen. Der Rest ist Illusion.“

Die Bühne wird geprägt von einem Stahlgerüs­t irgendwo zwischen Bohrturm und Rockfestiv­al, die Videos beschränke­n sich auf abwärtsfli­eßende Texte: Es ist ein Theater der Worte, das hier abläuft, eine Wortsonate, aus der die entspreche­nd düstere Musik organisch entsteht. Oder müsste man anorganisc­h sagen? Schließlic­h geht es doch (auch) um die Symbiose von Mensch und Maschine? Ja. Aber letztlich geht’s um Energie. Die von der Sonne verschwend­erisch geliefert und vom Leben „sinnlos verschwend­et“wird, wie es an einer Stelle bei Infante heißt. Womit, kann man folgern, aller Sinn aus der Sinnlosigk­eit kommt, auch das Theater. In diesem Fall: kluges Theater.

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