„Wir bieten Filmfans eine konsumfreie Zone“
Michael Loebenstein leitet seit fünf Jahren das Österreichische Filmmuseum. Wie er mit Publikumsschwund umgeht, was das neue „Laboratorium“des ÖFM können wird – und warum Covid der Amateurfilmforschung geholfen hat.
Die Presse: Sie sind seit 2017 Direktor des Österreichischen Filmmuseums. Im Juni wurde Ihr Vertrag auf weitere fünf Jahre verlängert. Haben Sie schon die Nase voll?
Ganz im Gegenteil!
Dabei waren die vergangenen Jahre sicher nicht einfach für Sie: 2020 gab es coronabedingt einen großen Publikumseinbruch, die Besucherzahlen fielen von ca. 40.000 im Jahr auf knapp 14.000. 2021 sanken sie noch weiter. Hält der Abwärtstrend an?
Corona war eine Zäsur, doch der Besucherschwund hat uns schon vorher zu denken gegeben. Unsere Mitgliederzahl ist konstant geblieben, aber seit 2016 kommt weniger Gelegenheitspublikum. Zum einen liegt das am geänderten Konsumverhalten: Je dominanter Streaming im Alltag wird, desto seltener gehen Menschen ins Kino. Zum anderen ist unsere Stammkundschaft älter, nach Corona sind viele zu Hause geblieben. Dass 2022 wieder mehr Publikum gekommen ist, verdanken wir vor allem jungen Leuten, die wir künftig noch direkter ansprechen wollen.
Was schaut die Jugend im Filmmuseum?
Einerseits Klassiker: Martin Scorsese ging im September und Oktober sehr gut. Aber auch Paarungen von bekannten mit weniger bekannten Namen machen sich bezahlt. Scorsese zeigten wir parallel zur Ungarin Márta Mészáros: Da saßen bei den Wiederholungen mehr Menschen als bei den Erstvorführungen, weil sich die Qualität der Filme erst mit der Zeit herumgesprochen hat.
Reicht Mundpropaganda als Werbemittel?
Man muss heute viel mehr Arbeit in die Kommunikation des Programms legen. Die Kernfrage ist: Wie kann man Leute abholen? Oft sind spezielle Interessenlagen absehbar. Bei unserer Ulrike-Ottinger-Schau im Juni war das Publikum etwa überwiegend weiblich sowie an queerem Kino interessiert, da wussten wir schon seit Jahren, dass es einen Bedarf gibt. Ähnlich ist es bei Programmen mit Bezug zur österreichischen Zeitgeschichte. Aber ich hege keine Illusionen, Menschen zum Kino zu bekehren, die sich überhaupt nicht dafür interessieren.
Oft hört man, junge Menschen suchen den Eventcharakter. Wirkt das ernste Ambiente im „unsichtbaren Kino“des Filmmuseums für diese nicht zu lustfeindlich?
Unsere Architektur hat sicher gewisse Einschränkungen. Ich war unlängst in der Kinemathek in Kopenhagen: Da gibt es drei Kinos, hinten ein Restaurant, vorn eine Bar, unten legen DJs auf. Das können wir allein schon räumlich nicht leisten. Andererseits ist unser Museumscharakter auch unsere große Qualität: Wir bieten dem Publikum eine konsumfreie Zone, in der es sich in Filme versenken kann.
Retrospektiven zu Regisseurinnen haben unter Ihrer Intendanz zugenommen. Beruht das auf Eigeninitiative, oder folgen Sie dem globalen Trend?
Es stimmt, dass manche Filmemacherinnen jetzt weltweit kanonisiert werden. Und es gibt sicherlich Institutionen, die Filme von Frauen nur zeigen, um nicht aus der Zeit zu fallen – aber letztlich profitieren alle von der erhöhten Sichtbarkeit. Für uns ist der Fokus langfristig, er übersetzt sich ja auch in Ankäufe für die Sammlung, im Hinblick auf eine inklusivere Zukunft der Filmgeschichte. Grundsätzlich wollen wir die Ausweitung programmatischer Grenzen vorantreiben, die in Wien historisch bedingt bestehen – etwa, indem wir mehr osteuropäisches, asiatisches und arabisches Kino zeigen. Unser Ziel ist größere kulturelle Diversität.
Im Juni wurde verkündet, dass das Filmmuseum ein neues Depot samt digitalem Forschungszentrum im Wiener Arsenal bekommt – Bund und Staat tragen dabei einen Teil der Kosten.
Wir schließen gerade die Vorplanung ab, 2024 soll eröffnet werden.
Warum gab es da Bedarf?
Der neue Standort dient der Nachhaltigkeit: Er schafft bessere Rahmenbedingungen für die sichere Verwahrung unserer analogen und digitalen Sammlungen. Im alten Archiv ist die Bausubstanz an ihren Grenzen angelangt, das Geld wäre dort nicht gut investiert.
Und was kann man sich unter dem angeschlossenen „Laboratorium“vorstellen?
Es geht um eine Ausweitung der gruppenspezifischen Vermittlung, die wir jetzt schon betreiben: Universitäre Lehrveranstaltungen, künstlerische Forschung, Konservierungsund Restaurierungskurse. Auch technische Angebote für Filmemacher, die mit Analogfilm arbeiten. Das Labor eröffnet hier noch mehr Kooperationsmöglichkeiten.
2017 hatte der damalige Kulturminister Thomas Drozda noch die Errichtung eines „Film Preservation Center“in Laxenburg unter Einbindung von Filmmuseum und Filmarchiv Austria angekündigt, immer wieder wurde der Bau aufgeschoben. Sind diese Pläne jetzt endgültig vom Tisch?
Ich sehe kaum Zeichen dafür, dass es für das Projekt in der damals angekündigten Form eine Realisierungschance gibt. Zudem halte ich die Idee eines voll funktionsfähigen analogen Filmlabors für sämtliche Formate in Österreich für eine wenig sinnvolle Investition öffentlicher Mittel. Wem kommt das zugute? Dieses Geld sollte verwendet werden für die gezielte Förderung des analogen Avantgardefilms und für eine anständige Mittelbedeckung digitaler Archivierung. Die Idee eines großen Zentrallagers für Bestände des Filmarchivs, des ORF und von Teilen unserer Bestände steht aber nach wie vor im Raum – und wird auch von uns unterstützt.
Ein jüngerer Archivzuwachs ist die Sammlung des US-Filmhistorikers Richard Koszarski zum österreichisch-amerikanischen Schauspieler und Regisseur Erich von Stroheim.
Wir standen seit 2006 mit Koszarski in Kontakt, ab 2019 verhandelten wir die Konditionen der Übernahme. Der Preis lag letztlich deutlich unter dem Marktwert. Am kniffligsten war die Frage, wie man die Sammlung unter Pandemiebedingungen evaluiert und nach Wien bringt: Reisen in die USA waren ja lang unmöglich. Richard bot an, selbst ein Inventar zu machen, was circa ein Jahr dauerte. Ein weiteres nahmen dann die Verpackung und Überstellung in Anspruch.
Und wie steht es mit dem österreichischen Amateurfilm – haben die Lockdowns hier viele Funde befördert?
Es gab fraglos einen Corona-Aufräumboom: Menschen hatten Zeit, sich ihren Schätzen zu widmen – und sich in Ruhe von ihnen zu trennen. Zugleich hatten unsere Mitarbeiter öfter Gelegenheit, mit Familien, Verbänden und Klubs Kontakt aufzunehmen, für deren Filme sie sich schon länger interessierten. So konnten wir Wissen vertiefen und Bestände ergänzen. Im Übrigen feierten die ersten Schmalfilmformate, mit denen Film in die Heime des Klein- und Großbürgertums Einzug hielt, 2022 ihr 100-Jahr-Jubiläum: Private und institutionelle Archive zeichnen ein entsprechend faszinierendes Bild, wie Film als Kulturtechnik in den heimischen Alltag eingebettet war.
Ist es nicht viel zu teuer und aufwendig, so viele Amateurfilme zu archivieren?
Bei analogen Kinofilmen geht es uns primär um Projektionsfähigkeit: Unsere Schau- und Lehrsammlung lebt davon, dass sie auf die Leinwand kommt. Bei Amateurfilmen liegt die Zukunftssicherung eher in der Digitalisierung, fortwährende Umkopierung macht hier wenig Sinn. Digitalisate ermöglichen Menschen, die sich mit diesen Filmen beschäftigen wollen – Familien, Forscherinnen oder der breiten Öffentlichkeit – bessere Zugänglichkeit. Natürlich sind wir weit davon entfernt, alles zu digitalisieren, was verfügbar ist, wir hegen auch keine Ambitionen in diese Richtung. Sinnvoller scheint uns, eine repräsentative Filmauswahl zu treffen und diese ordentlich aufzubereiten, sodass man damit arbeiten kann. Wir sind ja kein Archiv, sondern ein Museum: Unsere Sammlung ist vorrangig von Forschungs- und Erschließungsinteressen getragen.