Anatoliens echter Geschmack
Ay¸se Bayer bietet in Wien biologische Produkte aus der Türkei an – von Frauenkooperativen wie Soma, die aus einer Not heraus entstanden ist.
Das sei noch nie vorgekommen. Dass jemand die Walnussmarmelade gekostet – und anschließend nicht gekauft hätte. Ays¸e Bayer holt ein großes Glas aus dem Verkaufsregal und schwenkt den zähflüssigen Inhalt, dunkel, fast schwarz. Darin bewegen sich träge die ganzen Walnüsse samt ihrer Schale, denn so werden sie in Gewürzsirup eingelegt. Selbst in der Türkei, wo diese anspruchsvolle Delikatesse eher verbreitet ist, muss man lang nach guten Produkten suchen.
Bayer bezieht ihre Marmelade von einer kleinen Manufaktur an der türkischen Ägäisküste. Biologische Landwirtschaft, keine Pestizide, kleine Betriebe – alle Produkte, die sie in ihrem Wiener Geschäft Ecorla Artisan anbietet, würden diese strengen Kriterien erfüllen, da gebe es keine Kompromisse. Gerade in der Türkei, wo im Lebensmittelhandel grundsätzlich konventionelle industrielle Produkte den Markt dominieren, würden kleine Betriebe Außergewöhnliches herstellen. Und diese Produkte hat Bayer in ihrem Geschäft im siebenten Gemeindebezirk gesammelt; eröffnet während der Coronapandemie, sei Ecorla Artisan mittlerweile im Grätzel – und darüber hinaus – endlich angekommen.
Die Mitte des Geschäfts nimmt ein rustikaler Tisch ein, in den Regalen stehen Gläser und Flaschen, zu jedem
Produkt kann Bayer eine Geschichte erzählen. Und viele dieser Geschichten haben mit Frauen zu tun, denn vorzugsweise beziehe sie Lebensmittel von Frauenkooperativen quer durch die Türkei, insbesondere vom SomaFrauenatelier. Das Kollektiv gründete sich nach dem Grubenunglück 2014 in Soma (Westtürkei), als mehr als 300 Arbeiter eines Braunkohlebergwerks nach einem Brand verstarben. Auf sich allein gestellt, begannen die Frauen der verunglückten Kumpel, Lebensmittel herzustellen: Marmelade, Oliven, Granatapfelsirup, Tomatenpaste.
Sie sei sehr stolz, sagt Bayer, dass das Soma-Kollektiv auch durch ihr eigenes Geschäft habe wachsen können. Mittlerweile produziert das Frauenatelier eigene Produkte nur für Ecorla Artisan, beispielsweise gefüllte Weinblätter oder fertiges Shakshuka. „Sie haben ihre Kooperative unter schwierigen Umständen eröffnet“, so Bayer, „ihr Erfolg motiviert mich.“Mittlerweile
werde sie von zahlreichen Frauenkooperativen angeschrieben, im neuen Jahr wolle sie ihr Angebot auch erweitern – so es die strengen Importregeln der EU erlaubten. Denn bei Produkten wie Käse und Honig sei der Aufwand einfach zu hoch.
Kürbis und Oliven
Schon als Ays¸e Bayer zum Studium nach Österreich kam, habe es keine Möglichkeiten gegeben, an Oliven aus ihrer Heimatstadt Izmir zu kommen – an gute Oliven, wie sie betont, nicht die Massenware. Diese Leere habe sie in Österreich immer gespürt, würden doch türkische Supermärkte kaum biologische Lebensmittel anbieten. 2014 zog Familie Bayer für zwei Jahre in eine Kleinstadt nahe Izmir. „Wir haben uns auf die Suche nach sauberen Produkten gemacht“, erzählt sie, „und wir haben die Produzenten kennengelernt.“
Von diesen Kontakten zehre sie noch heute, zumal sie nach ihrer Rückkehr nach Wien genau diese Produkte durchaus vermisst habe. Artischocken von der Ägäisküste, Oliven aus C¸ anakkale, eingelegten Kürbis aus Hatay nahe der syrischen Grenze. Die Idee, ein Geschäft für den unverfälschten Geschmack Anatoliens zu eröffnen, gärte zu diesem Zeitpunkt bereits. Mittlerweile beziehen Lokale in der Umgebung Bayers Oliven aus der Ägäisküste. „Und die Kunden sind überrascht“, sagt sie, „wie gut türkische Oliven schmecken können.“