Der „Wiener Weg“taugt höchstens noch als Gag für Touristen
Das Coronaregime der Stadt bringt nichts, wird aber fortgesetzt. Warum? Weil der Bürgermeister grundsätzlich recht behalten muss.
Eine Idee zum Jahresstart: Könnte die Stadt Wien aus ihren Coronaregeln vielleicht eine touristische Attraktion machen? Das ist nicht so abwegig, wie es klingen mag. Wer eine größere Zahl von Menschen mit FFP2-Masken betrachten will, hat auf der Welt ja kaum noch Optionen. Die Öffis und Apotheken in der Bundeshauptstadt hätten also quasi ein Alleinstellungsmerkmal und gingen als Sehenswürdigkeit durch. Der bewährte Slogan „Wien ist anders“ließe sich für die Kampagne problemlos recyceln. Selten zuvor entsprach er so sehr der Realität wie heute.
In den Werbebroschüren für die wichtigsten Herkunftsmärkte müsste nur darauf hingewiesen werden, welches Erlebnis Besucher der österreichischen Metropole erwartet: Um wohlfeile 2,40 Euro können sie beispielsweise ein U-Bahn-Ticket erwerben und mit wohligem Gruseln in eine aus ihrer Sicht längst vergangene Epoche eintauchen. Das Angebot ist noch dazu interaktiv; jeder muss mitmachen. So geht moderner Eventtourismus! Für Abenteuerlustige ließe sich ein Package schnüren, das eine Zugfahrt über die Wiener Stadtgrenze beinhaltet. Wer herausfindet, an welcher Station die Maskenpflicht endet, nimmt an einem Gewinnspiel teil. Es winken gratis PCR-Tests für die ganze Familie.
Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber mir wäre mit einer touristischen Ausbeutung des viel gepriesenen „Wiener Wegs“emotional geholfen. Dann hätte die Gängelei wenigstens irgendeinen nachvollziehbaren Nutzen. Es fällt mir schwer, sinnlose Regeln befolgen zu sollen, nur weil die Wiener SPÖ aktuell nicht weiß, wie sie ohne Gesichtsverlust aus der Sache wieder herauskommt. Bürgermeister Michael Ludwig tut ja bekanntlich seit Langem so, als grassiere in Wien ein ganz anderes Virus als im Rest Österreichs (oder sonst wo auf der Welt), das nur mit einem ausgetüftelten Maßnahmenmix in Schach zu halten sei. Epidemiologisch hat die Sondertour nie etwas gebracht, das beweisen die Zahlen; Wien ist kein bisschen besser durch diese
Pandemie gekommen als andere Bundesländer oder Großstädte in anderen Ländern. Letztlich haben die Wiener in ihrem ausgedehnten Feldversuch nur demonstriert, was alles nicht gegen die Verbreitung des Virus hilft – die Massentests zum Beispiel.
Auch das Gros der Experten hält die Extrawürste der Rathaus-SPÖ mittlerweile für verzichtbar. Eva Schernhammer, Epidemiologin an der Med-Uni Wien, plädierte in einem „ZiB 2“-Interview jüngst dafür, von der Maskenpflicht im öffentlichen Verkehr „langsam Abstand zu nehmen“. Man werde bald einen Zeitpunkt erreichen, „wo es wirklich schwierig wird, das zu verstehen“.
Nur dem Wiener Rathaus gelingt es offenbar noch immer, Fachleute zu finden, die das ganz anders sehen. Gesundheitsstadtrat Peter Hacker bedauerte jüngst im Interview mit dieser Zeitung nur, dass es leider nicht möglich sei, an noch mehr Orten den Mund-Nasen-Schutz zu verordnen. Schuld daran sei der sorglose Rest des Landes: „Ich muss aufpassen, dass ich die Balance zwischen den Bundesländern und Wien halte. Der Gap darf nicht zu groß sein“, erklärte Hacker. Auch die Schulschließungen, für die sich andere Politiker bereits entschuldigt haben, seien keineswegs falsch gewesen, meint der Herr Stadtrat.
Die Führungsriege der Wiener SPÖ hegt seit jeher einen Genieverdacht gegen sich selbst. In der Politik der angeblich bestverwalteten Stadt der Welt kann es folglich keine Irrtümer oder gar Fehler geben, die man beheben müsste. Eher tut sich auf dem Kahlenberg eine Gletscherspalte auf, als dass ein Wiener Bürgermeister zugeben würde, dass er sich verrannt hat. Deshalb sollen die Sonderregeln der Stadt jedenfalls noch bis Ende Februar gelten. Egal was der Pandemie bis dahin einfällt.
Meine Bitte an den Wien-Tourismus: Macht wenigstens ein Geschäft damit. Landestypische Folklore soll bei den Gästen ja sehr beliebt sein.
Wien ist kein bisschen besser durch diese Pandemie gekommen als andere Bundesländer oder Großstädte in anderen Ländern.