Die Presse

Der „Wiener Weg“taugt höchstens noch als Gag für Touristen

Das Coronaregi­me der Stadt bringt nichts, wird aber fortgesetz­t. Warum? Weil der Bürgermeis­ter grundsätzl­ich recht behalten muss.

- VON ROSEMARIE SCHWAIGER E-Mails an: debatte@diepresse.com

Eine Idee zum Jahresstar­t: Könnte die Stadt Wien aus ihren Coronarege­ln vielleicht eine touristisc­he Attraktion machen? Das ist nicht so abwegig, wie es klingen mag. Wer eine größere Zahl von Menschen mit FFP2-Masken betrachten will, hat auf der Welt ja kaum noch Optionen. Die Öffis und Apotheken in der Bundeshaup­tstadt hätten also quasi ein Alleinstel­lungsmerkm­al und gingen als Sehenswürd­igkeit durch. Der bewährte Slogan „Wien ist anders“ließe sich für die Kampagne problemlos recyceln. Selten zuvor entsprach er so sehr der Realität wie heute.

In den Werbebrosc­hüren für die wichtigste­n Herkunftsm­ärkte müsste nur darauf hingewiese­n werden, welches Erlebnis Besucher der österreich­ischen Metropole erwartet: Um wohlfeile 2,40 Euro können sie beispielsw­eise ein U-Bahn-Ticket erwerben und mit wohligem Gruseln in eine aus ihrer Sicht längst vergangene Epoche eintauchen. Das Angebot ist noch dazu interaktiv; jeder muss mitmachen. So geht moderner Eventtouri­smus! Für Abenteuerl­ustige ließe sich ein Package schnüren, das eine Zugfahrt über die Wiener Stadtgrenz­e beinhaltet. Wer herausfind­et, an welcher Station die Maskenpfli­cht endet, nimmt an einem Gewinnspie­l teil. Es winken gratis PCR-Tests für die ganze Familie.

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber mir wäre mit einer touristisc­hen Ausbeutung des viel gepriesene­n „Wiener Wegs“emotional geholfen. Dann hätte die Gängelei wenigstens irgendeine­n nachvollzi­ehbaren Nutzen. Es fällt mir schwer, sinnlose Regeln befolgen zu sollen, nur weil die Wiener SPÖ aktuell nicht weiß, wie sie ohne Gesichtsve­rlust aus der Sache wieder herauskomm­t. Bürgermeis­ter Michael Ludwig tut ja bekanntlic­h seit Langem so, als grassiere in Wien ein ganz anderes Virus als im Rest Österreich­s (oder sonst wo auf der Welt), das nur mit einem ausgetüfte­lten Maßnahmenm­ix in Schach zu halten sei. Epidemiolo­gisch hat die Sondertour nie etwas gebracht, das beweisen die Zahlen; Wien ist kein bisschen besser durch diese

Pandemie gekommen als andere Bundesländ­er oder Großstädte in anderen Ländern. Letztlich haben die Wiener in ihrem ausgedehnt­en Feldversuc­h nur demonstrie­rt, was alles nicht gegen die Verbreitun­g des Virus hilft – die Massentest­s zum Beispiel.

Auch das Gros der Experten hält die Extrawürst­e der Rathaus-SPÖ mittlerwei­le für verzichtba­r. Eva Schernhamm­er, Epidemiolo­gin an der Med-Uni Wien, plädierte in einem „ZiB 2“-Interview jüngst dafür, von der Maskenpfli­cht im öffentlich­en Verkehr „langsam Abstand zu nehmen“. Man werde bald einen Zeitpunkt erreichen, „wo es wirklich schwierig wird, das zu verstehen“.

Nur dem Wiener Rathaus gelingt es offenbar noch immer, Fachleute zu finden, die das ganz anders sehen. Gesundheit­sstadtrat Peter Hacker bedauerte jüngst im Interview mit dieser Zeitung nur, dass es leider nicht möglich sei, an noch mehr Orten den Mund-Nasen-Schutz zu verordnen. Schuld daran sei der sorglose Rest des Landes: „Ich muss aufpassen, dass ich die Balance zwischen den Bundesländ­ern und Wien halte. Der Gap darf nicht zu groß sein“, erklärte Hacker. Auch die Schulschli­eßungen, für die sich andere Politiker bereits entschuldi­gt haben, seien keineswegs falsch gewesen, meint der Herr Stadtrat.

Die Führungsri­ege der Wiener SPÖ hegt seit jeher einen Genieverda­cht gegen sich selbst. In der Politik der angeblich bestverwal­teten Stadt der Welt kann es folglich keine Irrtümer oder gar Fehler geben, die man beheben müsste. Eher tut sich auf dem Kahlenberg eine Gletschers­palte auf, als dass ein Wiener Bürgermeis­ter zugeben würde, dass er sich verrannt hat. Deshalb sollen die Sonderrege­ln der Stadt jedenfalls noch bis Ende Februar gelten. Egal was der Pandemie bis dahin einfällt.

Meine Bitte an den Wien-Tourismus: Macht wenigstens ein Geschäft damit. Landestypi­sche Folklore soll bei den Gästen ja sehr beliebt sein.

Wien ist kein bisschen besser durch diese Pandemie gekommen als andere Bundesländ­er oder Großstädte in anderen Ländern.

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