Für eine wirksame Reform des Europaparlaments
Ein unglaublicher Korruptionsfall erschüttert das EUParlament. Es stellt sich die Frage: Sind 705 Abgeordnete wirklich nötig?
Das Europäische Parlament ist eine der vier zentralen Institutionen der EU. Auch wenn es eine der zentralen Aufgaben eines Parlaments – das Initiativrecht für Gesetzesvorschläge – noch immer nicht wahrnehmen kann, spielt es in Brüssel eine wichtige Rolle. Denn vor allem im EU-Parlament können weiterreichende Ideen und Vorschläge zur Sprache gebracht werden als in Rat und Kommission, die durch politische Realitäten und Zwänge beschränkt sind. So wurde das Europaparlament zu einem Vorreiter für die immer wieder notwendige Besinnung auf die Grundwerte der Union.
Aus dieser Sicht ist es unerlässlich sich Gedanken über Folgerungen aus dem vor Kurzem bekannt gewordenen, unglaublichen Korruptionsvorfall in diesem Parlament zu machen. Eine Vizepräsidentin des Parlaments wurde von Katar bestochen, um Einfluss auf seine Entscheidungen zu erlangen. Auf diesen Vorfall gab es bereits Reaktionen und Vorschläge. Die beschuldigte Abgeordnete wurde vom Parlament entlassen, die EUPräsidentin versprach strenge Untersuchungen und die Einrichtung eines Ethikrats. Ob dieser viel helfen würde, darf bezweifelt werden. Der EU-Abgeordnete Othmar Karas schlug vor, ein Charakterscreening neuer Abgeordneter durchzuführen. Diese Idee ist interessant, aber politisch nicht umsetzbar und sogar ethisch fragwürdig.
Es gibt jedoch einen Vorschlag, der die Entsendung von moralisch nicht integren Abgeordneten in das EU-Parlament eindämmen und darüber hinaus seiner Effizienz und dem Image der EU insgesamt zugutekommen würde.
Gähnende Leere
Der Reformvorschlag lautet, die Zahl der Abgeordneten im EU-Parlament signifikant zu reduzieren. Derzeit sitzen 705 Abgeordnete in Brüssel bzw. Straßburg. Zum Vergleich:
Der US-Kongress, der weit mehr Macht hat, besteht aus 435 Abgeordneten. Bei einer Exkursion mit Studierenden nach Brüssel waren wir fast schockiert von der Tatsache, dass bei einer Rede im Plenum nur ca. 40 bis 50 Abgeordnete anwesend waren – offenkundig nur jene, die als Nächste an die Reihe für ein kurzes Statement kamen. In keinem Parlament der Welt sind alle Abgeordneten immer anwesend, aber selbst bei Reden von Staatsoberhäuptern sind in den großen EUSitzungssälen Reihen oft gähnend leer. Offenkundig erscheinen die meisten Debatten den EU-Parlamentariern als unwichtig. Warum ist es dennoch so attraktiv, einen EU-Parlamentssitz zu erlangen?
Hier müssen die finanziellen Remunerationen und administrativen Ausstattungen eines EU-Parlamentariers genannt werden. Dem ist vorauszuschicken, dass ein angemessenes, mit anderen Spitzenpositionen vergleichbares Gehalt auch für Politiker
voll gerechtfertigt ist. Wie man der Website der deutschen Grün-Abgeordneten Ska Keller entnehmen kann, beträgt das monatliche Bruttogehalt eines EU-Abgeordneten 9386 Euro brutto (netto sind das immerhin 7316 Euro); dazu kommen eine pauschale monatliche Spesenvergütung von 4576 sowie Sitzungsgelder von 338 Euro pro Arbeitstag im Parlament. Die ersten beiden Posten zusammen machen also pro Monat rund 12.000 Euro netto aus. Dazu werden zwei Drittel anfallender medizinischer Kosten ersetzt. Den Abgeordneten zur Verfügung stehen weiters ein Personalbudget für fünf Assistenten und Assistentinnen von monatlich 27.437 Euro (also 320.808 jährlich) sowie pro Jahr eine Kostenvergütung für das Büro von 39.525 und für Öffentlichkeitsarbeit von 28.020 Euro. In Summe ergibt das etwa eine halbe Million an Kosten pro EU-Abgeordneten.
Politische Machtverhältnisse
Es ist klar, dass so hohe Vergütungen einen starken Anreiz für die Erlangung eines EU-Parlamentsmandats darstellen, insbesondere in Ländern, in denen das Durchschnittsgehalt weit unter jenem in Mitteleuropa liegt. In Polen und Rumänien verdienen EU-Abgeordnete dreimal so viel wie der Staatspräsident. Angesichts solcher Diskrepanzen stellt sich die Frage, wie die Nominierung von Kandidaten in solchen Ländern erfolgt. Wie überall werden nicht nur finanzielle Überlegungen, sondern auch politische Machtverhältnisse eine Rolle spielen. So musste der von Viktor Orbán in das EU-Parlament entsandte (es hieß auch: entsorgte) Abgeordnete József Szájer im Dezember 2020 zurücktreten, nachdem bekannt wurde, dass er zur Zeit des Corona-Lockdowns in seiner Wohnung in Brüssel Sexpartys organisiert hatte.
Möglichkeiten für Klientelismus bis hin zu Korruption bieten vor allem die üppigen Ausgaben für die Assistentinnen und Assistenten der Abgeordneten. Ein Abgeordneter benötigt zweifellos ein Büro und Mitarbeiter. Dass dies aber fünf oder mehr Personen sind, ladet zu Missbrauch ein, etwa Anstellung von Verwandten und Freunden.
Unzahl von Resolutionen
Es gibt aber noch einen weiteren negativen Effekt der großen Zahl der Abgeordneten. So wurde festgestellt, dass die Unzahl an Resolutionen, Stellungnahmen und Empfehlungen des EU-Parlaments nicht zuletzt deshalb zustande kommt, weil doch die meisten dieser Abgeordneten auch etwas leisten wollen. Die große Zahl an MitarbeiterInnen verstärkt das Problem der Massenproduktion an Resolutionen und Papieren. Warum braucht das EU-Parlament 14 Vizepräsidenten und -präsidentinnen?
Eine Verkleinerung des EUParlaments wäre wohl nur möglich, wenn es eine EU-Volksabstimmung dazu gäbe. Dafür gibt es bereits ein Vorbild. In Italien wurde Im September 2020 ein Referendum über die Verkleinerung von Abgeordnetenkammer und Senat durchgeführt. Der Vorschlag lautete: Reduzierung von 630 auf 400 bzw. von 315 auf 200 Personen. Das Resultat des Referendums: 70 Prozent der Abstimmenden waren dafür, nur 30 Prozent dagegen. Es ist zu vermuten, dass die ebenfalls verhafteten italienischen Bezugspartner der EU-Abgeordneten Eva Kaili, ihr Lebenspartner Francesco Giorgi, Pier Antonio Panzeri und Luca Visentini entscheidend bei ihrer Kooperation mit Katar mitgewirkt haben.
Wie stehen die Chancen?
Das EU-Parlament und die Europäische Union müssen damit leben, dass in nicht wenigen ihrer Mitgliedstaaten immer wieder ethisch-moralische und demokratische Grundprinzipien verletzt werden. Sie verliert damit nicht ihre Existenzberechtigung – im Gegenteil. Aber sie sollte wirklich effektive Schritte unternehmen, um zu verhindern, dass solche Praktiken auf die EU überschwappen. Aber: Wie stehen die Chancen für eine Verkleinerung des EUParlaments? Würde man die Bürgerinnen und Bürger in einem Referendum fragen, dürfte das Ergebnis eindeutig ausfallen. Die politische Elite selbst ist dazu wohl kaum bereit. In Deutschland hat der Bundestag aufgrund des Verteilungsschlüssels der Mandate fast 600 Abgeordnete, was schon lang als eine zu hohe Anzahl gesehen wird. Selbst in diesem Land waren die Politiker bislang nicht fähig, eine entsprechend effiziente Reform durchzuführen.