Demografie bringt Schuldendruck
Ohne Reformen wird der Schuldenstand bereits in wenigen Jahren wieder stark zu steigen beginnen, so die Prognose des Finanzministeriums. Hauptgrund dafür ist die Überalterung.
Wien. Alle drei Jahre erstellt das Finanzministerium eine langfristige Budgetprognose für die kommenden 30 bis 40 Jahre. Und meist wird dabei ein konstantes Sinken der relativen Schulden (in Prozent des Bruttoinlandsprodukts) vorhergesagt. So war es zumindest 2016 und 2019 der Fall, als man davon ausging, dass sich die Verschuldung des Staates gemächlich in Richtung von 50 oder 65 Prozent des BIPs entwickeln werde.
Anders sieht das jedoch bei der aktuellen Prognose aus, die vom Ministerium kurz vor Weihnachten erstellt wurde. Auch hier sollen die Schulden vorerst zwar noch leicht zurückgehen. Doch bereits gegen Ende dieses Jahrzehnts wird sich der Trend drehen. Dann folgt ein starker Anstieg, der 2060 bereits über 120 Prozent des BIPs erreichen soll.
Die Entwicklung
„Die fiskalische Prognose ergibt, dass sich der Maastricht-Saldo ab dem Jahr 2027 kontinuierlich verschlechtert und im Jahr 2033 die Maastricht-Regelgrenze von drei Prozent des BIPs übersteigt“, heißt es in der Prognose wörtlich. Angesichts der jüngsten Ausgabenexzesse in Folge von Coronapandemie und Energiekrise mag das viele Österreicherinnen und Österreicher nicht mehr sonderlich schrecken. Die Annahme hinter dieser Prognose ist jedoch keine Ausnahmesituation, wie sie die letzten drei Jahre geherrscht hat – es sind „normale“Konjunkturzyklen.
Und dieses somit strukturell größer werdende Budgetdefizit hat laut Prognose naturgemäß auch deutliche Auswirkungen auf die Staatsverschuldung. So heißt es weiter: „Die Schuldenquote steht 2028, also relativ früh im Prognosezeitraum, bereits an ihrem tiefsten Punkt bei 72,6 Prozent des BIPs, steigt ab dann bis 2040 auf 81,8 Prozent, bis 2050 auf 99,6 Prozent und bis 2060 auf 120,8 Prozent des BIPs an.“Besonders stark steigen in diesem Zusammenhang die demografieabhängigen Ausgaben an: von 29,8 Prozent des BIPs im Jahr 2019 auf 34,8 im Jahr 2060. Somit werden in knapp vierzig Jahren bereits über 62 Prozent der gesamten
Staatsausgaben für Pensionen, Pflege, Gesundheit oder Bildung ausgegeben werden.
Die Gründe
Haupttreiber der steigenden Staatsausgaben ist der demografische Wandel. So wird die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter zwischen 15 und 64 bis 2060 bei 5,9 Millionen Menschen stagnieren. Die Gesamtbevölkerung Österreichs wird im selben Zeitraum aber von heute rund neun Millionen auf mehr als zehn Millionen anwachsen.
Was das für die Staatsfinanzen bedeutet, liegt auf der Hand: Die Zahl der Leistungsempfänger wächst im Verhältnis zur Erwerbsbevölkerung. Kamen 2022 noch 51,1 Personen im nicht erwerbsfähigen Alter auf 100 Erwerbsfähige, so steigt diese Zahl bis 2060 auf 71,2. Ein Viertel der Gesamtbevölkerung wird dann bereits älter als 64 sein. Heute sind dies 19 Prozent der Menschen.
Teurer für den Staat werden dabei naturgemäß die Pensionen. Die Kosten steigen von 13,4 Prozent der Wirtschaftsleistung – nicht des Haushalts, wohlgemerkt – auf 15,1 Prozent des BIPs im Jahr 2060. Grund ist der Rückzug der geburtenstarken Babyboomer aus dem Erwerbsleben gepaart mit einer steigenden Lebenserwartung, die die Bezugsdauer tendenziell erhöht und sich laut Prognose auch deutlich stärker als das faktische Pensionsantrittsalter erhöht.
Die guten Nachrichten für das Gesundheits- und Pflegewesen sind, dass auch die Lebensjahre mit subjektiv sehr gutem Gesundheitszustand zunehmen sollen. Pflegeund Gesundheitsleistungen werden deshalb zum Teil verzögert in Anspruch genommen. Dennoch wachsen die Ausgaben in diesen Bereichen beträchtlich. So werden sich die
Pflegeausgaben des Staates von 1,3 Prozent des BIPs auf 3,1 Prozent des BIPs mehr als verdoppeln.
Nicht demografieabhängig, dennoch ungünstig für den Staatshaushalt ist auch die prognostizierte Zinsentwicklung. Zuletzt sind die Zinsausgaben des Staates auf einen historischen Tiefststand von knapp weniger als einem Prozent des BIPs gesunken. Perspektivisch steigen die Zinsen aber, auch wegen der zuletzt stark gestiegenen Inflation. 2032 wird demnach die Marke von zwei Prozent des BIPs überschritten. Bis 2060 sollen die Zinsausgaben auf 4,7 Prozent des BIPssteigen.
Um die Ausgaben in Relation zur Wirtschaftsleistung zu setzen, muss freilich auch jene geschätzt werden. Die Wifo-Experten nehmen für den Prognosezeitraum ein durchschnittliches reales Wirtschaftswachstum von 1,2 Prozent pro Jahr.
Die Maßnahmen
So drastisch die Prognose kling t – sie muss nicht eintreten. Denn das Finanzministerium verweist darauf, dass dabei die Annahmen getroffen wurde, wonach die aktuelle Polit ik unverändert fortgeführt wird. Die Prognose liefere somit „eine Projektion des Status quo“und diene „als Frühwarnsystem“für nötige Reformen. Welche das wären, ist weitgehend bekannt. So brauche es etwa eine Anpassung des faktischen Pensionsantrittsalters an die steigende Lebenserwartung oder eine Finanzierungslösung für die immer größere Pflegeproblematik.
Die Ergebnisse würden „verdeutlichen, dass der demografische Wandel in Österreich eine zentrale budget- und sozialpolitische Herausforderung der nächsten Jahre und Jahrzehnte sein wird“, heißt es auf Anfrage aus dem Büro von Finanzminister Magnus Brunner. „Die Prognose ist ein RealityCheck für alle, die meinen, dass man sich aktuell nicht mehr fragen muss, woher das Steuergeld kommt, das in immer neue Gießkannenförderungen oder bestehende teure Strukturen fließt“, meint dazu Lukas Sustala vom Neos-Lab, der in einer Analyse auf die neue Langfristprognose verwiesen hat.