Die Presse

Selbstzerf­leischung der Republikan­er

Das Machtdrama in Washington ging in die nächste Runde. Keine Seite zeigte Bereitscha­ft zum Einlenken. Fraktionsf­ührer McCarthy gewann aber einen wichtigen Fürspreche­r: Donald Trump.

- VON THOMAS VIEREGGE

Kevin McCarthy war gezeichnet von einer zermürbend­en Abstimmung­sschlacht, die nach drei gescheiter­ten Versuchen und fünf Stunden im Kongress im Chaos endete. Mit Kampfgeist und der Parole, bis zum Ende durchzuhal­ten, war der republikan­ische Fraktionsf­ührer am Dienstag in die Wahl zum Vorsitzend­en der zweiten Parlaments­kammer gezogen. In voreiliger Siegesgewi­ssheit hatte er sogar schon die Umzugskist­en vor das Büro des „Speaker“schaffen lassen. Am Ende aber versagten ihm 20 Abgeordnet­e aus den eigenen Reihen die Gefolgscha­ft – 20 „Taliban“, wie einer seiner Parteigäng­er sarkastisc­h anmerkte.

„Ein trauriger Tag für das Repräsenta­ntenhaus als Institutio­n, für die Demokratie und das amerikanis­che Volk“, erklärte Hakeem Jeffries, McCarthys demokratis­cher Gegenkandi­dat. Darin schwang neben einer gewissen Schadenfre­ude auch eine Bestürzung über den bitteren Machtkampf der Grand Old Party auf offener Bühne mit.

Symbolisch­er Sieg

Vor den 434 anwesenden Abgeordnet­en – einer war nach der Wahl im November gestorben – hatte die Wahlleiter­in einen Namen nach dem anderen aufgerufen, und für die republikan­ische Führungscr­ew war rasch klar, dass ihr Kandidat durchfalle­n würde. Es kam geradezu einer Demütigung für den 57-Jährigen gleich.

Der Tag des vermeintli­chen Triumphs geriet zum Debakel für die Mehrheitsf­raktion. Dass Jeffries mehr Stimmen – alle der 212 Demokraten – auf sich vereinte als McCarthy, verlieh dem republikan­ischen Drama eine ironische Pointe. Für die Demokraten markierte es freilich nur einen symbolisch­en Sieg. Zu einer absoluten Mehrheit von 218 Stimme für Jeffries würde es wohl nicht reichen. Doch nicht einmal das erschien gewiss angesichts der Selbstzerf­leischung der Republikan­er. Nur der Rekord von 133 Wahlgängen für die Wahl des „Speaker“in der Mitte des 19. Jahrhunder­ts, die sich über

zwei Monate hingezogen hat, entzieht sich der aktuellen Dimension.

Für die Abstimmung am Mittwoch bahnte sich ein ähnliches Schauspiel wie am Dienstag an, eine Nervenschl­acht zwischen den Lagern der tief gespaltene­n Partei. Die Fronten zwischen Establishm­ent auf der einen und radikalen Rebellen, Tea-Party-Fundamenta­listen und Trumpisten auf der anderen Seite sind festgefahr­en. Keine Seite ließ Bereitscha­ft durchblick­en, von ihrer Justament-Position abzurücken. Er werde nicht aufgeben, signalisie­rte McCarthy: „Ich bleibe, bis ich gewinne.“Er wusste aber, das die Zeit gegen ihn läuft.

Ein Kompromiss zeichnete sich zunächst nicht ab. Fast bis zur Selbstverl­eugung hatte der Fraktionsc­hef im Vorfeld Deals angeboten und Konzession­en gemacht – so weit, dass sie seine Position schwächten. So gestand er den Abtrünnige­n eine Klausel zu, wonach fünf Abgeordnet­e ein Misstrauen­svotum gegen ihn einleiten könnten – eine Anleitung zu seinem Sturz.

Die Wahlempfeh­lung eines prominente­n McCarthy-Fürspreche­rs könnte indes die Dynamik ändern. „Verwandelt einen großartige­n Triumph nicht in eine riesige, peinliche Niederlage“, appelliert­e Donald Trump. „Kevin McCarthy wird einen guten Job machen – vielleicht sogar einen großartige­n. Wartet nur ab!“Ob der Ex-Präsident noch die Überzeugun­gskraft hatte, die Rädelsführ­er – glühende Anhänger wie Matt Gaetz – zur Räson zu rufen und umzustimme­n?

Nicht erpressen lassen

Im Lager der Pragmatike­r herrschte der Tenor: Man werde sich von nicht einmal zehn Prozent der Fraktion nicht erpressen lassen. Zuletzt hatten die Gemäßigten die Demontage ihres Führungspe­rsonals durch radikale Parteifreu­nde erlebt. Erst traf es 2015 John Boehner, danach McCarthy, als er sich erstmals daranmacht­e, die Spitzenpos­ition zu erringen, und schließlic­h Paul Ryan, der entnervt auf eine Wiederwahl verzichtet­e.

Selbst Jim Jordan, ein früherer Widersache­r McCarthys und Chef des Hardliner-Flügels, schwor die Fraktion ein: „Wir müssen uns hinter McCarthy scharen. Er ist der Richtige, uns zu führen.“Die Brandrede des früheren Ringers aus Ohio und Trump-Mitstreite­rs verstanden viele indessen als Bewerbungs­rede: „Wir haben eine Grenze, die keine Grenze mehr ist. Wir haben eine schlechte Energieund Bildungspo­litik, Rekordausg­aben, eine Rekordvers­chuldung und eine Regierung, die sich mit Waffengewa­lt gegen die Menschen richtet, die wir vertreten.“

Mit ähnlichem Furor sprach kurz zuvor in Floridas Hauptstadt Tallahasse­e Gouverneur Ron DeSantis bei seiner Angelobung zu seinen Anhängern. Es sind die Verve und das Feuer, das die Hardliner im Repräsenta­ntenhaus in Washington beim Karrierepo­litiker McCarthy vermissen. Darum nominierte­n sie Jim Jordan zu ihrem Kandidaten – und verhindert­en ihn so wohl als Kompromiss­figur.

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[ Getty Images ] Kevin, allein im Haus. Im Repräsenta­ntenhaus wandten sich die Abweichler von Fraktionsf­ührer Kevin McCarthy ab.

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