Selbstzerfleischung der Republikaner
Das Machtdrama in Washington ging in die nächste Runde. Keine Seite zeigte Bereitschaft zum Einlenken. Fraktionsführer McCarthy gewann aber einen wichtigen Fürsprecher: Donald Trump.
Kevin McCarthy war gezeichnet von einer zermürbenden Abstimmungsschlacht, die nach drei gescheiterten Versuchen und fünf Stunden im Kongress im Chaos endete. Mit Kampfgeist und der Parole, bis zum Ende durchzuhalten, war der republikanische Fraktionsführer am Dienstag in die Wahl zum Vorsitzenden der zweiten Parlamentskammer gezogen. In voreiliger Siegesgewissheit hatte er sogar schon die Umzugskisten vor das Büro des „Speaker“schaffen lassen. Am Ende aber versagten ihm 20 Abgeordnete aus den eigenen Reihen die Gefolgschaft – 20 „Taliban“, wie einer seiner Parteigänger sarkastisch anmerkte.
„Ein trauriger Tag für das Repräsentantenhaus als Institution, für die Demokratie und das amerikanische Volk“, erklärte Hakeem Jeffries, McCarthys demokratischer Gegenkandidat. Darin schwang neben einer gewissen Schadenfreude auch eine Bestürzung über den bitteren Machtkampf der Grand Old Party auf offener Bühne mit.
Symbolischer Sieg
Vor den 434 anwesenden Abgeordneten – einer war nach der Wahl im November gestorben – hatte die Wahlleiterin einen Namen nach dem anderen aufgerufen, und für die republikanische Führungscrew war rasch klar, dass ihr Kandidat durchfallen würde. Es kam geradezu einer Demütigung für den 57-Jährigen gleich.
Der Tag des vermeintlichen Triumphs geriet zum Debakel für die Mehrheitsfraktion. Dass Jeffries mehr Stimmen – alle der 212 Demokraten – auf sich vereinte als McCarthy, verlieh dem republikanischen Drama eine ironische Pointe. Für die Demokraten markierte es freilich nur einen symbolischen Sieg. Zu einer absoluten Mehrheit von 218 Stimme für Jeffries würde es wohl nicht reichen. Doch nicht einmal das erschien gewiss angesichts der Selbstzerfleischung der Republikaner. Nur der Rekord von 133 Wahlgängen für die Wahl des „Speaker“in der Mitte des 19. Jahrhunderts, die sich über
zwei Monate hingezogen hat, entzieht sich der aktuellen Dimension.
Für die Abstimmung am Mittwoch bahnte sich ein ähnliches Schauspiel wie am Dienstag an, eine Nervenschlacht zwischen den Lagern der tief gespaltenen Partei. Die Fronten zwischen Establishment auf der einen und radikalen Rebellen, Tea-Party-Fundamentalisten und Trumpisten auf der anderen Seite sind festgefahren. Keine Seite ließ Bereitschaft durchblicken, von ihrer Justament-Position abzurücken. Er werde nicht aufgeben, signalisierte McCarthy: „Ich bleibe, bis ich gewinne.“Er wusste aber, das die Zeit gegen ihn läuft.
Ein Kompromiss zeichnete sich zunächst nicht ab. Fast bis zur Selbstverleugung hatte der Fraktionschef im Vorfeld Deals angeboten und Konzessionen gemacht – so weit, dass sie seine Position schwächten. So gestand er den Abtrünnigen eine Klausel zu, wonach fünf Abgeordnete ein Misstrauensvotum gegen ihn einleiten könnten – eine Anleitung zu seinem Sturz.
Die Wahlempfehlung eines prominenten McCarthy-Fürsprechers könnte indes die Dynamik ändern. „Verwandelt einen großartigen Triumph nicht in eine riesige, peinliche Niederlage“, appellierte Donald Trump. „Kevin McCarthy wird einen guten Job machen – vielleicht sogar einen großartigen. Wartet nur ab!“Ob der Ex-Präsident noch die Überzeugungskraft hatte, die Rädelsführer – glühende Anhänger wie Matt Gaetz – zur Räson zu rufen und umzustimmen?
Nicht erpressen lassen
Im Lager der Pragmatiker herrschte der Tenor: Man werde sich von nicht einmal zehn Prozent der Fraktion nicht erpressen lassen. Zuletzt hatten die Gemäßigten die Demontage ihres Führungspersonals durch radikale Parteifreunde erlebt. Erst traf es 2015 John Boehner, danach McCarthy, als er sich erstmals daranmachte, die Spitzenposition zu erringen, und schließlich Paul Ryan, der entnervt auf eine Wiederwahl verzichtete.
Selbst Jim Jordan, ein früherer Widersacher McCarthys und Chef des Hardliner-Flügels, schwor die Fraktion ein: „Wir müssen uns hinter McCarthy scharen. Er ist der Richtige, uns zu führen.“Die Brandrede des früheren Ringers aus Ohio und Trump-Mitstreiters verstanden viele indessen als Bewerbungsrede: „Wir haben eine Grenze, die keine Grenze mehr ist. Wir haben eine schlechte Energieund Bildungspolitik, Rekordausgaben, eine Rekordverschuldung und eine Regierung, die sich mit Waffengewalt gegen die Menschen richtet, die wir vertreten.“
Mit ähnlichem Furor sprach kurz zuvor in Floridas Hauptstadt Tallahassee Gouverneur Ron DeSantis bei seiner Angelobung zu seinen Anhängern. Es sind die Verve und das Feuer, das die Hardliner im Repräsentantenhaus in Washington beim Karrierepolitiker McCarthy vermissen. Darum nominierten sie Jim Jordan zu ihrem Kandidaten – und verhinderten ihn so wohl als Kompromissfigur.