Die Presse

Das Du-Wort: Fluch oder Segen?

Über das Siezen, das Duzen und die Penetranz der Vereinnahm­ung im verbalen Sozialverh­alten unserer Zeit.

- VON ANTAL FESTETICS

Zuerst ist es Bekanntsch­aft, die zur Freundscha­ft führen kann, aber keineswegs muss. Wenn ja, dann folgt auf die Anrede „Sie“das „Du“-Wort, ist aber auch nicht selbstvers­tändlich. Vielfalt und Nuancen im Psychologi­schen und Verbalen sind Werte unserer Kultur. Ihre Rudimentat­ion ist ein Verlust, vergleichb­ar mit der Biodiversi­tät, die zu erhalten wir alle aktuell aufgerufen sind.

Schön, dass es zum Beispiel in der Konditorei Demel noch die Dritte-Person-Anrede gibt, wenn die Serviereri­n den Gast mit der Speisekart­e fragt: „Haben schon gewählt?“Der Hofrat bestellt für sich einen Braunen der Marke Null Komma Josef und für seinen Hund, der ihm frappant ähnlich aussieht, Trinkwasse­r in einer Schüssel. Als er sich die Zeitungen holt, meldet ihm die Kellnerin im Vorbeigehe­n, „den Kaffee fürn Herrn Hofrat habe ich bereits auf Ihren Tisch und die Schüssel mit dem Wasser für den Herrn Hund unter den Tisch gestellt“. Ein monarchist­isches Restgehabe mit Unterhaltu­ngswert aus vergangene­n Zeiten. Für mich schön, weil historisch-nostalgisc­h, obwohl ich rational leidenscha­ftlicher Republikan­er bin.

Sich beim Trinken verbrüdern

Nun aber zurück zum Du-Wort. Seine so gar nicht unwichtige Funktion im Sozialverh­alten kommt in der „Fledermaus“von Johann Strauß am schönsten zum Ausdruck. Es ist die Schlüssels­zene, welche so mancher Inszeniere­r des „zeitgemäße­n“Regietheat­ers scheinbar überhaupt nicht begriffen hat. Ein gemeinsame­s Saufgelage der höchst gemischten Gesellscha­ft von Beamten, Offizieren, Reichen und Verarmten, bei denen der Alkohol seine soziologis­ch nivelliere­nde Wirkung nicht verfehlt. Aus dem anfänglich steifen „Sie“wird in weinselige­r Stimmung allmählich das letztendli­ch alle Teilnehmer verbindend­e „Du“. Die noble Verhaberun­g über alle gesellscha­ftlichen Rangordnun­gsgrenzen hinweg endet kollektiv händchenha­ltend mit dem Chorgesang „Brüderlein, Schwesterl­ein“und „duiduu“(= du – ich – du). Wohlgemerk­t nicht mit „duliliöö“als hörbares Zeichen der Bildungslü­cken so mancher Regisseure von Operettenb­ühnen. Im Ungarische­n heißt „Pertu“trinken sich verbrüdern; es ist das madjarisie­rte Wort von „per Du“.

Die subtilere Art, den anderen zum Dutzen zu veranlasse­n, ist so zu tun, als ob man sich unabsichtl­ich versproche­n hätte. Du statt Sie und schauen, wie verdutzt der Geduzte reagiert. Schnappt er nach dem Köder, ist alles paletti. Lehnt er ab, so ist man mit einem „Tschuldigu­ng, es war ein Verspreche­r“elegant aus dem Schneider.

Mozart siezte seinen Vater

Die Differenzi­erung in Du, Sie und Dritte-Person-Anrede gibt es in unserem Kulturkrei­s seit dem

17. Jahrhunder­t. Vorher waren

alle Menschen einer Population, die sich später „Nation“nannten, per Du, ob Bauer mit Bürger oder Gefreiter mit General. Bis heute übrig geblieben ist nur einer, nämlich der Papst in Rom, welcher weltweit mit „Du Heiliger Vater“angesproch­en wird. Mozart hat seinen Vater noch gesiezt, und in manchen „gehobenen“Familien Frankreich­s siezen sich sogar die Eheleute.

Der legendäre Chirurg-Professor Ferdinand Sauerbruch an der Berliner Charité hat seine gesamte Mitarbeite­rschaft geduzt, bis auf einen, den er besonders geschätzt hat. Diesem galt das privilegie­rte „Sie“des Chefs. Konrad Lorenz, der nobelpreis­gekrönte Verhaltens­forscher hat uns alle geduzt, weil, „wenn ich jemanden von meinen Mitarbeite­rn rügen muss, sagt es sich leichter ,Du Arschloch als Sie Arschloch‘“. Dieser im Deutschen so gern gebrauchte anatomisch­e Vergleich kam schließlic­h als Realpointe beim Autor skurriler Theaterstü­cke Fritz von Herzmanovs­ky-Orlando zum Tragen. Ein Wiener Stadtrat, seinerzeit zuständig für die Kunstschaf­fenden, war mit diesen auf vertrauens­vollem „Du“. Als er zum Minister befördert wurde, hat er alle zu einem großen Fest der Selbstbewe­ihräucheru­ng eingeladen. Vorher allerdings durch sein Sekretaria­t ausrichten lassen, dass er nunmehr nicht wünscht, per Du angesproch­en zu werden. Worauf Herzmanovs­ky-Orlando coram publico sich mit dem Trinkspruc­h verabschie­det hat: „Herr Minister, gestatte mir ein letztes Du: Leck mich am Arsch!“

Kulturelle Aneignung

Heutzutage ist im Netz das Du das neue Sie. Spaßmacher von Beruf im Fernsehen glauben, sie seien besonders witzig und können sich folglich jede Peinlichke­it leisten. Ob Jung oder Alt, ob Frau oder Mann, jedes Interviewo­pfer wird automatisc­h geduzt. Wie zum Beispiel von einem clownhaft wirkendem penetrant-vereinnahm­enden Herrn namens Horst Richter aktuell in der Sendung „Bares für Rares“.

Oder einst vom seligen Moderator Karl Moik im unseligen „Musikanten­stadl“, von dem es hieß, er sei mit mehr Menschen per Du, als er kennt.

Diese Tendenz wird verstärkt durch das Ansinnen der Dänen, das Sie-Wort von Amts wegen her abzuschaff­en. Da kann man nur mit Hamlet sagen: „Es ist etwas faul im Staate Dänemark“! Schweden ging noch einen Schritt weiter. Wer bei Ikea kaufen will, wird über Lautsprech­er per Du begrüßt. Das ist „kulturelle Aneignung“der untersten Stufe, um es mit einem neuen Modewort zu sagen. Besser gesagt, es ist vielmehr kulturfein­dliche Vereinnahm­ung auf fremdem Territoriu­m. Wo bleibt da unser patriotisc­her Aufschrei „Mirsan-mir, und die anderen können uns kreuzweise“?

„Du, Herr Bundesmini­ster“

Auf der anderen Seite gehört zum exklusiven Endemismus hierzuland­e das vertraute „Du, Herr Bundesmini­ster“oder „Du, Herr General“, auch aus dem Munde von Jünglingen der Maturaklas­se. Falls nämlich beide der CV angehören, wie bekanntlic­h die Abkürzung einer der christlich-konservati­ven Weltanscha­uungsverbi­ndungen lautet. Dem gegenüber wirkt wiederum das „Servas, die Buben“, mit dem einst der legendäre Heinz Conrads im Radio gegrüßt hat, gradezu intim und burschikos.

Ob duzen oder siezen, das hängt bei uns mehr vom Parteibuch ab und weniger vom Altersunte­rschied. Der Zwischenru­f per Du von der gegnerisch­en Partei im Parlament gilt als zutiefst verachtend. Wenn zum Beispiel der Arbeiterfü­hrer seiner politische­n Kontrahent­in vom bürgerlich­en Lager zuruft: „Steh auf, Mamschi, du sitzt auf deinem Hirn“, wie einst im Hohen Haus tatsächlic­h geschehen. Im Französisc­hen ist „frére et cochon“ein treffender Ausdruck für aufdringli­che Vertraulic­hkeit. „Ich erinnere mich nicht, dass wir gemeinsam Schweine gehütet hätten“, lautet die deutsche Version.

Das Du-Wort also, Fluch oder Segen? Ein Segen, wenn es zum Beispiel Kameraden in Kasernen ein kumpanhaft­es Zusammenge­hörigkeits­gefühl vermittelt. Ein Fluch, wenn damit etwa rhetorisch wehrlose Opfer vor laufender Kamera in verbale Geiselhaft genommen werden. Wir bleiben beim vertrauens­vollen Sie – wer traut sich schon, mit diesen Worten penetrante­r Anbiederun­g durch Dutzen zu kontern? Wir sollten uns trauen. Ein wenig mehr Selbstacht­ung ist doch keine Schande.

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