Der Bürgerkrieg der Republikaner
Am Jahrestag des Sturms auf das Kapitol kamen die Abgeordneten erneut zur Abstimmungs-Farce zusammen. Der Kontrast zu Präsident Biden könnte nicht größer sein.
Wien/Washington. Am zweiten Jahrestag des Sturms auf das Kapitol läutete Zeremonienmeisterin Cheryl Johnson im Repräsentantenhaus die 434 Abgeordneten, die seit Tagen auf ihre Angelobung warten, zum zwölften Wahlgang für das Votum des „Speaker“zusammen. Mehr Versuche, einen Vorsitzenden zu bestimmen, hatte es zuletzt 1860 gegeben – am Vorabend des amerikanischen Bürgerkriegs, als einander Parlamentarier der Nord- und Südstaaten feindlich gegenüberstanden. Diesmal verläuft die Front indes zwischen den Fraktionen und Grüppchen der zerrütteten Republikaner, der Grand Old Party, aus der Abraham Lincoln als Präsident hervorging.
Kevin McCarthy wollte erneut sein Glück erzwingen, obwohl der republikanische Fraktionsführer ein ums andere Mal als großer Verlierer aus dem Saal schlich – und die Zuversicht selbst unter seinen Gefolgsleuten in der Fraktion schwindet, das Blatt noch zu wenden. Als Ersatzkandidat hält sich Steve Scalise, die Nummer zwei der Fraktion, bereit. 2017 hat der Abgeordnete aus Louisiana beim Baseball-Training ein Schussattentat nur knapp überlebt.
„Die Zeit ist auf unserer Seite“, sagte Bob Good, einer der rund 20 Hardliner, die sich vehement gegen die Kür McCarthys sträuben. Sie verbindet die Abscheu gegen den angeblichen politischen „Sumpf“in Washington, eine dezidierte Ablehnung der Abtreibung, der Schutz des Waffenrechts, eine rigorose Fiskaldisziplin und insgesamt eine Haltung der Fundamentalopposition. Obendrein sind sie zumeist glühende Anhänger Donald Trumps, die dessen Propaganda des Wahldiebstahls verfechten.
Marionette in der Hand der Hardliner
Einige aus dem harten Kern der Widersacher des kalifornischen Kandidaten betonten, nie und nimmer für den 57-Jährigen stimmen zu wollen – selbst wenn sich der Wahlmarathon über Wochen hinziehen werde. Sie haben sich bis dato auch nicht von den weitreichenden Konzessionen McCarthys bewegen lassen, die den „Speaker“von Anfang an zu einer Marionette in der Hand einer kleinen Schar machen würde.
In dem Häuflein der radikalen Republikaner finden sich Trumpisten wie Matt Gaetz, der den Ex-Präsidenten zuletzt sogar zur Wahl des „Speaker“vorgeschlagen hatte – was rechtlich möglich wäre, obwohl Trump gar kein Mandat hat. Lauren Boebert forderte Trump sogar auf, seine offizielle Wahlempfehlung für „meinen Kevin“zu widerrufen. Hinter den Kulissen soll der ehemalige Präsident zwischen den Gruppierungen lavieren. Schließlich hasst er es, auf der Verliererseite zu stehen. Der erbitterte Machtkampf im Repräsentantenhaus demonstriert indessen seinen schrumpfenden Einfluss auf die Partei.
„Ich habe genug von diesem Kerl“
Am Freitag gedachten die Kongressabgeordneten auf den Stufen des Kapitols zunächst freilich des Sturms des von Trump angestachelten Mobs auf das Parlament. Kevin McCarthy sprach damals von einem „unamerikanischen, unmoralischen und kriminellen“Vorgehen, für das der Präsident die Verantwortung übernehmen müsse. „Ich habe genug von diesem Kerl“, soll er zu einem Vertrauten gesagt haben – nur um kurz darauf bei Trump persönlich in Florida Abbitte zu leisten. Derlei Manöver sind charakteristisch für den Mann aus Kalifornien, bei dem nicht nur seine Gegner das Rückgrat vermissen.
Nach der Rückkehr aus dem Karibik-Urlaub kommentierte Joe Biden die Abstimmungs-Farce im Kongress lapidar. „Es ist nicht mein Problem. Ich finde es nur ein wenig peinlich, dass es so lang dauert. Ich konzentriere mich darauf, Dinge zu erledigen.“Demonstrativ an der Seite seines alten Senatskollegen Mitch McConnell, des republikanischen Strippenziehers, kündigte Biden in Kentucky – McConnells Heimat – den Bau einer neuen Brücke mit Geld aus dem Infrastrukturprogramm an. Für Sonntag sagte er sich zu einer Visite in El Paso an der texanisch-mexikanischen Grenze an, nächste Woche zum Treffen mit den Staatschefs Mexikos und Kanadas in Mexico-City.
Biden versprach eine Migrationsreform – die legale Einreise von Migranten aus Kuba, Nicaragua, Haiti und Venezuela unter rigiden Vorbedingungen. Er fuhr Wladimir Putin und dessen Taktik im UkraineKrieg in die Parade. Und im Weißen Haus verlieh er zwölf US-Bürgern zum Jahrestag des Sturms auf das Kapitol Medaillen für den Schutz der Demokratie. Größer könnte der Kontrast derzeit nicht sein zwischen einem dysfunktionalen, von Flügelkämpfen der Republikaner lahmgelegten Repräsentantenhaus und dem Präsidenten.
Es ist nicht mein Problem. Ich finde es nur ein wenig peinlich, dass es so lang dauert.
Joe Biden, US-Präsident