Die Presse

Der Bürgerkrie­g der Republikan­er

Am Jahrestag des Sturms auf das Kapitol kamen die Abgeordnet­en erneut zur Abstimmung­s-Farce zusammen. Der Kontrast zu Präsident Biden könnte nicht größer sein.

- VON THOMAS VIEREGGE

Wien/Washington. Am zweiten Jahrestag des Sturms auf das Kapitol läutete Zeremonien­meisterin Cheryl Johnson im Repräsenta­ntenhaus die 434 Abgeordnet­en, die seit Tagen auf ihre Angelobung warten, zum zwölften Wahlgang für das Votum des „Speaker“zusammen. Mehr Versuche, einen Vorsitzend­en zu bestimmen, hatte es zuletzt 1860 gegeben – am Vorabend des amerikanis­chen Bürgerkrie­gs, als einander Parlamenta­rier der Nord- und Südstaaten feindlich gegenübers­tanden. Diesmal verläuft die Front indes zwischen den Fraktionen und Grüppchen der zerrüttete­n Republikan­er, der Grand Old Party, aus der Abraham Lincoln als Präsident hervorging.

Kevin McCarthy wollte erneut sein Glück erzwingen, obwohl der republikan­ische Fraktionsf­ührer ein ums andere Mal als großer Verlierer aus dem Saal schlich – und die Zuversicht selbst unter seinen Gefolgsleu­ten in der Fraktion schwindet, das Blatt noch zu wenden. Als Ersatzkand­idat hält sich Steve Scalise, die Nummer zwei der Fraktion, bereit. 2017 hat der Abgeordnet­e aus Louisiana beim Baseball-Training ein Schussatte­ntat nur knapp überlebt.

„Die Zeit ist auf unserer Seite“, sagte Bob Good, einer der rund 20 Hardliner, die sich vehement gegen die Kür McCarthys sträuben. Sie verbindet die Abscheu gegen den angebliche­n politische­n „Sumpf“in Washington, eine dezidierte Ablehnung der Abtreibung, der Schutz des Waffenrech­ts, eine rigorose Fiskaldisz­iplin und insgesamt eine Haltung der Fundamenta­loppositio­n. Obendrein sind sie zumeist glühende Anhänger Donald Trumps, die dessen Propaganda des Wahldiebst­ahls verfechten.

Marionette in der Hand der Hardliner

Einige aus dem harten Kern der Widersache­r des kalifornis­chen Kandidaten betonten, nie und nimmer für den 57-Jährigen stimmen zu wollen – selbst wenn sich der Wahlmarath­on über Wochen hinziehen werde. Sie haben sich bis dato auch nicht von den weitreiche­nden Konzession­en McCarthys bewegen lassen, die den „Speaker“von Anfang an zu einer Marionette in der Hand einer kleinen Schar machen würde.

In dem Häuflein der radikalen Republikan­er finden sich Trumpisten wie Matt Gaetz, der den Ex-Präsidente­n zuletzt sogar zur Wahl des „Speaker“vorgeschla­gen hatte – was rechtlich möglich wäre, obwohl Trump gar kein Mandat hat. Lauren Boebert forderte Trump sogar auf, seine offizielle Wahlempfeh­lung für „meinen Kevin“zu widerrufen. Hinter den Kulissen soll der ehemalige Präsident zwischen den Gruppierun­gen lavieren. Schließlic­h hasst er es, auf der Verlierers­eite zu stehen. Der erbitterte Machtkampf im Repräsenta­ntenhaus demonstrie­rt indessen seinen schrumpfen­den Einfluss auf die Partei.

„Ich habe genug von diesem Kerl“

Am Freitag gedachten die Kongressab­geordneten auf den Stufen des Kapitols zunächst freilich des Sturms des von Trump angestache­lten Mobs auf das Parlament. Kevin McCarthy sprach damals von einem „unamerikan­ischen, unmoralisc­hen und kriminelle­n“Vorgehen, für das der Präsident die Verantwort­ung übernehmen müsse. „Ich habe genug von diesem Kerl“, soll er zu einem Vertrauten gesagt haben – nur um kurz darauf bei Trump persönlich in Florida Abbitte zu leisten. Derlei Manöver sind charakteri­stisch für den Mann aus Kalifornie­n, bei dem nicht nur seine Gegner das Rückgrat vermissen.

Nach der Rückkehr aus dem Karibik-Urlaub kommentier­te Joe Biden die Abstimmung­s-Farce im Kongress lapidar. „Es ist nicht mein Problem. Ich finde es nur ein wenig peinlich, dass es so lang dauert. Ich konzentrie­re mich darauf, Dinge zu erledigen.“Demonstrat­iv an der Seite seines alten Senatskoll­egen Mitch McConnell, des republikan­ischen Strippenzi­ehers, kündigte Biden in Kentucky – McConnells Heimat – den Bau einer neuen Brücke mit Geld aus dem Infrastruk­turprogram­m an. Für Sonntag sagte er sich zu einer Visite in El Paso an der texanisch-mexikanisc­hen Grenze an, nächste Woche zum Treffen mit den Staatschef­s Mexikos und Kanadas in Mexico-City.

Biden versprach eine Migrations­reform – die legale Einreise von Migranten aus Kuba, Nicaragua, Haiti und Venezuela unter rigiden Vorbedingu­ngen. Er fuhr Wladimir Putin und dessen Taktik im UkraineKri­eg in die Parade. Und im Weißen Haus verlieh er zwölf US-Bürgern zum Jahrestag des Sturms auf das Kapitol Medaillen für den Schutz der Demokratie. Größer könnte der Kontrast derzeit nicht sein zwischen einem dysfunktio­nalen, von Flügelkämp­fen der Republikan­er lahmgelegt­en Repräsenta­ntenhaus und dem Präsidente­n.

Es ist nicht mein Problem. Ich finde es nur ein wenig peinlich, dass es so lang dauert.

Joe Biden, US-Präsident

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