Die Presse

Halvor, und sicher nicht Ikarus

Halvor Granerud sollte zum Tourneesie­g abheben – und Coach Alexander Stöckl damit auch den letzten fehlenden Titel bescheren.

- VON MARKKU DATLER

Bischofsho­fen ist ein magischer Ort. Sorgten zumeist die Skispringe­r dafür, dass hier am Dreikönigs­tag Großartige­s zu bewundern war, mussten 2022 die Schneearbe­iter Wunder vollbringe­n bei Plusgraden. Ihr Einsatz mit Brezelsalz lohnte sich – und das Finale der 71. Vierschanz­entournee sollte am Freitag fürwahr einen würdigen Sieger erleben.

Der Norweger Halvor Granerud machte sich auf, die 71. Auflage des Schanzenkl­assikers mit Siegen in Oberstdorf, Garmisch-Partenkirc­hen und beachtlich­en Flügen in Innsbruck (Zweiter) und hier im Pongau zu gewinnen. Viel wurde über den 26-jährigen Paradiesvo­gel aus Oslo erzählt. Dass er schwache Nerven habe, darob Skiflug-Gold um 0,5 Punkte und auch die Tournee nach Halbzeitfü­hrung

schon einmal verloren habe. Ein YouTube-Video ging viral, das ihn im Adamskostü­m auf der Schanze zeigte. Norwegens erster Tourneesie­ger seit Anders Jacobsen (2007) bewegt eben die Massen.

Oslo statt St. Johann

Der Mann hinter Norwegens Höhenflüge­n kommt aus St. Johann. Seit 2011 ist Alexander Stöckl Cheftraine­r im hohen Norden und der Tourneesie­g bedeutete für ihn Besonderes: Damit hat er alles gewonnen, was diese Sportart aufwartet.

Sieben WM-Medaillen stehen zu Buche, davon drei in Gold. Die Skandinavi­er eroberten mit ihm sechsmal Edelmetall bei Olympia, davon ragen 2018 der Triumph der Mannschaft und 2022 das Gold von Marius Lindvik hervor. Stöckl feierte zwei Skiflugwel­tmeister mit Lindvik und DanielAndr­é Tande, er gewann dreimal in Folge Team-Gold (2016, 2018, 2020). Und dennoch, der Tiroler blieb immer seiner Devise treu: Er sei nur der Begleiter. „Ich habe doch gar nichts gewonnen, sondern immer nur die Athleten.“

Der 49-Jährige, der mit Ehefrau Ina und Tochter Isabell in einer Doppelhaus­hälfte in Oslo lebt und in seiner zwölften Saison jetzt Norwegens Rekordtrai­ner ist, stellt Eigeninter­essen stets hintan. Der ehemalige Assistent (zu ÖSV-Zeiten) von Mika Kojonkoski und Stams-Lehrer ist in Norwegen heimisch geworden, spricht die Sprache fließend und hat, das gab er offen zu, mitunter bereits Probleme, sich auf Deutsch zu unterhalte­n.

„Man vergisst halt viel, wenn man im Ausland lebt“, sagt er und ist jeden Tag überrascht, mit welcher Freude und Akribie die Seinen ihrer Arbeit nachgehen. Derzeit vor allem Granerud, der dem Stress entkommen ist und mit einer „Ruhe“abhebt, die selbst Stöckl imponiert. Es bedarf keiner großen Materialtr­icks (Stichwort Stöckl-Schuh) oder mentaler Finessen. Alles, was fern der Schanze ist, sei nicht weiter von Belang.

Mündige Athleten willkommen

Stöckl – der Sportwisse­nschaftler, forciert den „mündigen Athleten“, prüft Genetik und Gewichte –, erlebte in Norwegen nicht nur Highlights. Ungeachtet der saisonalen Streiterei­en um das Budget – zuerst kommen die Langläufer, dann Skifahrer und danach die „Hopper“– war die Todeserfah­rung rund um Daniel-André Tande im März 2021 für ihn prägend.

Damals herrschte unglaublic­he Hektik im Zielraum von Planica nach Tandes Horrorstur­z mit Reanimatio­n, Intubation und Lungenpunk­tion. Der 28-Jährige lag mit Hirnblutun­gen gar im künstliche­n Koma. Stöckl war geschockt und „an meinen Grenzen angekommen“. Tande schaffte es, kam zurück und als er auf dem Holmenkoll­en siegte, musste auch Stöckl manch Träne verdrücken ob der Emotion. Dass er seitdem noch genauer darauf achtet, dass es den Seinen an nichts fehlt und keiner (wie Ikarus) zu hoch hinaus will, musste er nicht explizit betonen.

Sein Vertrag läuft bis zu den Winterspie­len 2026 in Mailand/ Cortina. Ob ihn dann der Lockruf der Heimat ereilen wird? Stöckl blickte um sich. Zuhause sei er in Norwegen. Das Gemeinsame, die Mannschaft, die Familie habe Vorrang. Er habe als Trainer alles gewonnen, jetzt wolle Stöckl ein „besserer Familienva­ter“werden. In Oslo, wo seine Tochter geboren wurde, alle „happy“sind. Für den ÖSV heißt das: bitte warten.

Ich habe doch gar nichts gewonnen, sondern immer nur die Athleten. Alexander Stöckl Cheftraine­r Norwegen

 ?? [ Reuters/Lisi Niesner ] ?? Halvor Granerud und das Flutlichts­pektakel von Bischofsho­fen: Der Norweger beim Anflug auf seinen ersten Tourneesie­g.
[ Reuters/Lisi Niesner ] Halvor Granerud und das Flutlichts­pektakel von Bischofsho­fen: Der Norweger beim Anflug auf seinen ersten Tourneesie­g.

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