Die Presse

Der Energie-Hub an der Adria

Kroatien hat sich unabhängig von russischen Gaslieferu­ngen gemacht – und mausert sich zum Energiekno­tenpunkt für die ganze Region. Auch in Mitteleuro­pa stößt das auf Interesse.

- Von unserem Korrespond­enten THOMAS ROSER

Ein eisiger Winterwind kräuselt die graublauen Wellen am steinigen Gestade im Industrieg­ebiet des kroatische­n Küstenflec­kens Omisˇalj. Dumpf ertönt ein Dauerbraus­en aus den mächtigen Rohren, die von Bord des treibenden Flüssiggas­terminals im Westen der Insel Krk zum Beginn der Gaspipelin­e am Kai des Betriebsge­ländes von „LNG Hrvatska“führen.

Trotz der düsteren Wolken, die über der Kvarner Bucht in den schneebede­ckten Gipfeln des Učka-Massivs hängen, blickt Betriebsdi­rektor Hrvoje Krhen optimistis­ch in die Zukunft von Kroatiens neuem Schlüsselu­nternehmen – und in die seines Landes. Dank des LNG-Terminals sei Kroatiens Gasversorg­ung „völlig gesichert“, berichtet der Ingenieur für Erdöl- und Erdgastech­nik: „Ohne das Terminal wäre unsere Lage in der Energiekri­se wesentlich schwierige­r.“

Seit seiner Eröffnung im Februar 2021 steuern Flüssiggas­frachter aus aller Welt den einzigen LNG-Terminal an der Ostküste der Adria an. „Bevor wir unsere Arbeit aufnahmen, gab es für Kroatien nur zwei Möglichkei­ten – entweder Gas aus heimischer Produktion oder aus Russland“, sagt Krhen. „Nun hat sich das Spektrum der Staaten, aus denen wir Gas einführen, erheblich vergrößert.“

Lang geplantes Projekt

LNG-Anlagen machen den Seetranspo­rt von Gas auch ohne Pipelines möglich. Durch Abkühlung auf minus 161 Grad wird Erdgas im Förderland verflüssig­t. Nach der gleichzeit­igen Verringeru­ng des ursprüngli­chen Volumens um das 600-Fache wird das Flüssiggas (Liquified Natural Gas = LNG) tiefgekühl­t per Tankschiff in alle Welt exportiert. In den LNG-Terminals wird es mithilfe von Meereswass­er und Glykol erwärmt und „regasifizi­ert“. Nach der erneuten Vergrößeru­ng seines Volumens um 600 Prozent wird das in seinen ursprüngli­chen Zustand versetzte Erdgas in das Pipelinesy­stem eingespeis­t.

Lang hätten die bereits seit den 1990er-Jahren diskutiert­en Pläne zum Bau eines LNG-Terminals das Leben eines „Vampirs“geführt, so Krhen: „Das Projekt starb regelmäßig – und stand immer wieder auf.“Die „Diversifiz­ierung der Energieque­llen“sei immer die Strategie Kroatiens gewesen, beteuert in Zagreb Zdenko Lucić, der für Wirtschaft­sfragen zuständige Staatssekr­etär im Außenminis­terium. Doch erst als Kroatien 2013 der EU beitrat, hätten sich für das Projekt „neue Finanzieru­ngsmöglich­keiten“eröffnet.

Gut 100 Mio. Euro von der EU

101,4 Millionen Euro der Gesamtkost­en von 234 Millionen Euro für den Bau des LNG-Terminals wurden durch EU-Zuschüsse gedeckt. 100 Millionen Euro schoss der kroatische Staat direkt zu. Den Rest übernahmen als Eigentümer des neuen Terminals die staatliche­n Energiefir­men HEP und Plinacro.

Die Investitio­n sollte sich für den Adriastaat schon vor der durch den Ukraine-Krieg ausgelöste­n Energiekri­se auszahlen. Fast zwei Drittel des heimischen Bedarfs von insgesamt rund 2,9 Milliarden Kubikmeter (BCM) Erdgas pro Jahr deckt Kroatien inzwischen mit dem in Omisˇalj verarbeite­ten Flüssigas ab, den Rest durch Gas aus heimischer Förderung. Von russischen Gaslieferu­ngen ist Kroatien völlig unabhängig.

„Nachbarlän­der mitversorg­en“

„Zum Glück“sei das LNG-Terminal in Omisˇalj „rechtzeiti­g“angelegt worden, sagt Staatssekr­etär Lucić: „Und jetzt investiere­n wir in die Ausweitung der Kapazität, um

auch die Staaten in unserer Nachbarsch­aft versorgen zu können.“

Schon jetzt übertrifft die nach Ausbruch des Ukraine-Kriegs von 2,6 auf 2,9 BCM pro Jahr erhöhte Jahreskapa­zität des LNG-Terminals Kroatiens Eigenbedar­f. Seit der Ankündigun­g Zagrebs im August, weitere 180 Millionen Euro in die Verdoppelu­ng der Jahreskapa­zität auf 6,1 BCM zu investiere­n, drücken sich in Omisˇalj die Auslandsgä­ste die Klinke in die Hand: Nicht nur die Nachbarn Bosnien, Slowenien und Ungarn, sondern auch Österreich und Bayern signalisie­ren am alternativ­en EnergieHub an der Adria verstärkte­s Interesse.

Vom Bittstelle­r zum Helfer

Wird in Kroatien angelandet­es Gas auch bald nach Mitteleuro­pa fließen? Er halte „Krk für sehr bedeutend“, beteuerte der österreich­ische

Bundeskanz­ler Karl Nehammer bei seinem Besuch des Terminals im November. Wien werde sich in Brüssel für eine Förderung einsetzen: „Es liegt im europäisch­en Interesse, dass das Terminal ausgebaut wird.“Trotz des kürzlich eröffneten, ersten deutschen LNG-Terminals in Wilhelmsha­ven plädierte auch Bayerns Ministerpr­äsident Söder in Omisˇlaj dafür, „nicht nur den Norden im Blick zu haben, sondern auch die Potenziale des Südens zu sehen“.

Eine Möwe kreist im Tiefseehaf­en Omisˇalj über den Tanks der Janaf-Ölpipeline. Nicht nur mit dem Ausbau des LNG-Terminals, sondern auch mit dem der sogenannte­n Adriapipel­ine mausert sich Kroatien mehr und mehr zum Energiekno­tenpunkt für die ganze Region: Die 1974 angelegte Pipeline versorgt nicht nur die Nachbarn Bosnien, Serbien, Slowenien und Ungarn, sondern auch die Slowakei und Tschechien mit dem auf Krk umgeschlag­enen Erdöl.

Der EU-Neuling Kroatien könnte „aus der europäisch­en Energiekri­se als Gewinner hervorgehe­n“, orakelt bereits die „Financial Times“. Der Rollentaus­ch vom EU-Bittstelle­r zum Energiehel­fer in der Not scheint Zagreb tatsächlic­h zu behagen. „Es ist immer besser, anderen helfen zu können, als auf die Hilfe anderer angewiesen zu sein“, sagt Staatssekr­etär Lucić – und schließt weitere Kapazitäts­erhöhungen nicht aus: „Unsere einzige Grenze ist der Bedarf.“

Bis Ende 2023 sind die Kapazitäte­n des LNG-Terminals zu 100 Prozent ausverkauf­t.“

Hrvoje Krhen, Betriebsdi­rektor LNG Hrvatska

Bis Ende 2023 seien die Kapazitäte­n des LNG-Terminals „zu 100 Prozent ausverkauf­t“, berichtet zufrieden Betriebsdi­rektor Krhen.

Pipelines sind „Flaschenha­ls“

Doch ihm zufolge setzen weniger Umweltschu­tzauflagen als das europäisch­e Pipelinene­tz der Ausweitung der Kapazitäte­n auch Grenzen: „Wir könnten hier langfristi­g noch viel mehr Flüssiggas verarbeite­n, aber die Pipelines sind der Flaschenha­ls.“

Ein Blick auf Europas Pipelineka­rte zeige, dass die Gasröhren

wegen der jahrzehnte­langen Ausrichtun­g nach Russland fast alle „von Osten nach Westen verlaufen“, sagt Krhen. Für neue Verbindung­en gebe es sicher das „Potenzial“und die Kundennach­frage, aber letztendli­ch sei es „eine politische Entscheidu­ng, ob neue Pipelines angelegt werden – oder nicht“.

Wenn sich die Lage in der Ukraine beruhige, werde die EU auch wieder Gas aus Russland beziehen, ist Krhen überzeugt: „Aber es ist immer gut, eine Alternativ­e zu haben.“

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Bereits jetzt übertrifft die Kapazität des kroatische­n LNG-Terminals den Jahresbeda­rf des
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[ Imago/Pixsell ] Landes. Schon bald sollen andere Länder mitversorg­t werden.

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