Der Energie-Hub an der Adria
Kroatien hat sich unabhängig von russischen Gaslieferungen gemacht – und mausert sich zum Energieknotenpunkt für die ganze Region. Auch in Mitteleuropa stößt das auf Interesse.
Ein eisiger Winterwind kräuselt die graublauen Wellen am steinigen Gestade im Industriegebiet des kroatischen Küstenfleckens Omisˇalj. Dumpf ertönt ein Dauerbrausen aus den mächtigen Rohren, die von Bord des treibenden Flüssiggasterminals im Westen der Insel Krk zum Beginn der Gaspipeline am Kai des Betriebsgeländes von „LNG Hrvatska“führen.
Trotz der düsteren Wolken, die über der Kvarner Bucht in den schneebedeckten Gipfeln des Učka-Massivs hängen, blickt Betriebsdirektor Hrvoje Krhen optimistisch in die Zukunft von Kroatiens neuem Schlüsselunternehmen – und in die seines Landes. Dank des LNG-Terminals sei Kroatiens Gasversorgung „völlig gesichert“, berichtet der Ingenieur für Erdöl- und Erdgastechnik: „Ohne das Terminal wäre unsere Lage in der Energiekrise wesentlich schwieriger.“
Seit seiner Eröffnung im Februar 2021 steuern Flüssiggasfrachter aus aller Welt den einzigen LNG-Terminal an der Ostküste der Adria an. „Bevor wir unsere Arbeit aufnahmen, gab es für Kroatien nur zwei Möglichkeiten – entweder Gas aus heimischer Produktion oder aus Russland“, sagt Krhen. „Nun hat sich das Spektrum der Staaten, aus denen wir Gas einführen, erheblich vergrößert.“
Lang geplantes Projekt
LNG-Anlagen machen den Seetransport von Gas auch ohne Pipelines möglich. Durch Abkühlung auf minus 161 Grad wird Erdgas im Förderland verflüssigt. Nach der gleichzeitigen Verringerung des ursprünglichen Volumens um das 600-Fache wird das Flüssiggas (Liquified Natural Gas = LNG) tiefgekühlt per Tankschiff in alle Welt exportiert. In den LNG-Terminals wird es mithilfe von Meereswasser und Glykol erwärmt und „regasifiziert“. Nach der erneuten Vergrößerung seines Volumens um 600 Prozent wird das in seinen ursprünglichen Zustand versetzte Erdgas in das Pipelinesystem eingespeist.
Lang hätten die bereits seit den 1990er-Jahren diskutierten Pläne zum Bau eines LNG-Terminals das Leben eines „Vampirs“geführt, so Krhen: „Das Projekt starb regelmäßig – und stand immer wieder auf.“Die „Diversifizierung der Energiequellen“sei immer die Strategie Kroatiens gewesen, beteuert in Zagreb Zdenko Lucić, der für Wirtschaftsfragen zuständige Staatssekretär im Außenministerium. Doch erst als Kroatien 2013 der EU beitrat, hätten sich für das Projekt „neue Finanzierungsmöglichkeiten“eröffnet.
Gut 100 Mio. Euro von der EU
101,4 Millionen Euro der Gesamtkosten von 234 Millionen Euro für den Bau des LNG-Terminals wurden durch EU-Zuschüsse gedeckt. 100 Millionen Euro schoss der kroatische Staat direkt zu. Den Rest übernahmen als Eigentümer des neuen Terminals die staatlichen Energiefirmen HEP und Plinacro.
Die Investition sollte sich für den Adriastaat schon vor der durch den Ukraine-Krieg ausgelösten Energiekrise auszahlen. Fast zwei Drittel des heimischen Bedarfs von insgesamt rund 2,9 Milliarden Kubikmeter (BCM) Erdgas pro Jahr deckt Kroatien inzwischen mit dem in Omisˇalj verarbeiteten Flüssigas ab, den Rest durch Gas aus heimischer Förderung. Von russischen Gaslieferungen ist Kroatien völlig unabhängig.
„Nachbarländer mitversorgen“
„Zum Glück“sei das LNG-Terminal in Omisˇalj „rechtzeitig“angelegt worden, sagt Staatssekretär Lucić: „Und jetzt investieren wir in die Ausweitung der Kapazität, um
auch die Staaten in unserer Nachbarschaft versorgen zu können.“
Schon jetzt übertrifft die nach Ausbruch des Ukraine-Kriegs von 2,6 auf 2,9 BCM pro Jahr erhöhte Jahreskapazität des LNG-Terminals Kroatiens Eigenbedarf. Seit der Ankündigung Zagrebs im August, weitere 180 Millionen Euro in die Verdoppelung der Jahreskapazität auf 6,1 BCM zu investieren, drücken sich in Omisˇalj die Auslandsgäste die Klinke in die Hand: Nicht nur die Nachbarn Bosnien, Slowenien und Ungarn, sondern auch Österreich und Bayern signalisieren am alternativen EnergieHub an der Adria verstärktes Interesse.
Vom Bittsteller zum Helfer
Wird in Kroatien angelandetes Gas auch bald nach Mitteleuropa fließen? Er halte „Krk für sehr bedeutend“, beteuerte der österreichische
Bundeskanzler Karl Nehammer bei seinem Besuch des Terminals im November. Wien werde sich in Brüssel für eine Förderung einsetzen: „Es liegt im europäischen Interesse, dass das Terminal ausgebaut wird.“Trotz des kürzlich eröffneten, ersten deutschen LNG-Terminals in Wilhelmshaven plädierte auch Bayerns Ministerpräsident Söder in Omisˇlaj dafür, „nicht nur den Norden im Blick zu haben, sondern auch die Potenziale des Südens zu sehen“.
Eine Möwe kreist im Tiefseehafen Omisˇalj über den Tanks der Janaf-Ölpipeline. Nicht nur mit dem Ausbau des LNG-Terminals, sondern auch mit dem der sogenannten Adriapipeline mausert sich Kroatien mehr und mehr zum Energieknotenpunkt für die ganze Region: Die 1974 angelegte Pipeline versorgt nicht nur die Nachbarn Bosnien, Serbien, Slowenien und Ungarn, sondern auch die Slowakei und Tschechien mit dem auf Krk umgeschlagenen Erdöl.
Der EU-Neuling Kroatien könnte „aus der europäischen Energiekrise als Gewinner hervorgehen“, orakelt bereits die „Financial Times“. Der Rollentausch vom EU-Bittsteller zum Energiehelfer in der Not scheint Zagreb tatsächlich zu behagen. „Es ist immer besser, anderen helfen zu können, als auf die Hilfe anderer angewiesen zu sein“, sagt Staatssekretär Lucić – und schließt weitere Kapazitätserhöhungen nicht aus: „Unsere einzige Grenze ist der Bedarf.“
Bis Ende 2023 sind die Kapazitäten des LNG-Terminals zu 100 Prozent ausverkauft.“
Hrvoje Krhen, Betriebsdirektor LNG Hrvatska
Bis Ende 2023 seien die Kapazitäten des LNG-Terminals „zu 100 Prozent ausverkauft“, berichtet zufrieden Betriebsdirektor Krhen.
Pipelines sind „Flaschenhals“
Doch ihm zufolge setzen weniger Umweltschutzauflagen als das europäische Pipelinenetz der Ausweitung der Kapazitäten auch Grenzen: „Wir könnten hier langfristig noch viel mehr Flüssiggas verarbeiten, aber die Pipelines sind der Flaschenhals.“
Ein Blick auf Europas Pipelinekarte zeige, dass die Gasröhren
wegen der jahrzehntelangen Ausrichtung nach Russland fast alle „von Osten nach Westen verlaufen“, sagt Krhen. Für neue Verbindungen gebe es sicher das „Potenzial“und die Kundennachfrage, aber letztendlich sei es „eine politische Entscheidung, ob neue Pipelines angelegt werden – oder nicht“.
Wenn sich die Lage in der Ukraine beruhige, werde die EU auch wieder Gas aus Russland beziehen, ist Krhen überzeugt: „Aber es ist immer gut, eine Alternative zu haben.“