Die Presse

Was das Ende der Ära Daniel Barenboim für Wien bedeutet

Barenboim zieht sich aus Berlin zurück: Wien blüht nichts Gutes, sollte Thielemann auf den einstigen Posten Wilhelm Furtwängle­rs wechseln.

- VON WILHELM SINKOVICZ E-Mails an: wilhelm.sinkovicz@diepresse.com

Wenn Berlin Thielemann ruft, wird er für Wien wohl noch weniger Zeit haben als bisher.

Daniel Barenboim zieht sich zurück. Zwar ist der Maestro zum Jahreswech­sel 2022/23 noch einmal ans Pult seiner Berliner Staatskape­lle in der Lindenoper zurückgeke­hrt, um Beethovens Neunte zu dirigieren – doch nun zieht sich der nach wie vor von seiner Krankheit gezeichnet­e Künstler als Musikdirek­tor des Orchesters zurück. Sein Gesundheit­szustand erlaubt es ihm nicht, die verantwort­ungsvolle Position weiter zu bekleiden.

Schon die jüngste Berliner Neuinszeni­erung von Wagners „Ring des Nibelungen“hat Barenboim nicht, wie vorgesehen, selbst dirigieren können. Die drei Aufführung­sserien teilten sich

Christian Thielemann (Zyklus I & III) und der frisch gebackene Frankfurte­r Generalmus­ikdirektor Thomas Guggeis. Ihn wollte Barenboim sukzessive als möglichen Nachfolger in Berlin aufbauen. Der demonstrat­ive Erfolg, den Christian Thielemann anlässlich der „Ring“-Premiere errang, hat die Karten aber neu gemischt: Publikum, aber auch die Orchesterm­usiker feierten den Heimkehrer mit Ovationen. Thielemann, geborener Berliner und viele Jahre lang auch musikalisc­her Leiter der Konkurrenz­bühne im Westen der Stadt, der Deutschen Oper Berlin, wird von den Berliner Musikfreun­den jetzt deutlich favorisier­t – im Gegensatz zur Kulturpoli­tik, der Thielemann als zu konservati­v gilt. Ob die Vernunft schlussend­lich über solch unkünstler­ische Überlegung­en siegen wird, werden die kommenden Tage und Wochen zeigen.

Was bedeutet das für Wien?

Sollte Thielemann auf den einstigen Posten Wilhelm Furtwängle­rs unter den Linden wechseln, bedeutet das für Wien nichts Gutes. Der deklariert­e Favorit der Wiener Philharmon­iker steht zwar am Neujahrsta­g 2024 am Pult im Musikverei­n und realisiert mit dem Orchester einen Brucknerzy­klus, ist aber auch Fixstarter bei anderen philharmon­ischen Programmen, nicht zuletzt bei den Salzburger Festspiele­n. Aber sein lang ersehntes Comeback an die Wiener Staatsoper – er soll kommende Spielzeit die Übernahme der „Lohengrin“-Produktion von den Osterfests­pielen 2021 dirigieren – könnte gleich auch wieder auf Jahre hinaus seine letzte Verpflicht­ung im Haus am Ring sein.

Zwar wurde gerüchtewe­ise über eine Produktion von Hans Pfitzners „Palestrina“diskutiert, ein Lieblingsw­erk Thielemann­s; auch Wiederaufn­ahmen von Richard Strauss’ „Frau ohne Schatten“oder „Arabella“stehen angeblich zur Diskussion. Doch der Dirigent, der nicht eben dafür bekannt ist, besonders viele Termine pro Saison wahrzunehm­en, ist 2024 und 2025 mit einem – ursprüngli­ch für Wien geplanten – neuen „Ring des Nibelungen“gebunden, den Ex-Direktor Dominique Meyer aus der Staatsoper an sein neues Haus, die Mailänder Scala, „mitgenomme­n“hat. Die Verpflicht­ungen als Chefdirige­nt der Staatskape­lle Dresden enden für Thielemann zwar bereits im kommenden Jahr, doch wenn Berlin ruft, wird für Wien wohl noch weniger Zeit bleiben als bisher. Seit dem Abgang Meyers ist Thielemann an der Staatsoper nicht wieder aufgetrete­n. Die einzige geplante Serie (Aufführung­en von Strauss’ „Ariadne auf Naxos“) hat die Covid-Pandemie vereitelt.

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