Erdrückt von Papas Cowboyhut
„Vera“, der in Venedig prämierte Film von Tizza Covi und Rainer Frimmel, schickt die (reale) Tochter eines Westernstars auf Entwicklungsreise durch Rom.
Will man „Vera“, den neuen Film des österreichischen Regie-Duos Tizza Covi und Rainer Frimmel, an eine gegenwärtige Debatte – die wie viele andere Belanglosigkeiten in den sozialen Medien ihren Ausgang genommen hat – anbinden, kann man sagen: Dessen Protagonistin Vera Gemma zerschlägt den vorwurfsvollen Begriff des „Nepo(tismus)-Babys“. Dieser postuliert, dass Kinder berühmter Eltern via Vetternwirtschaft in elitäre Kreise (und Berufe) eingepflegt werden – und zwar mit perfekt manikürten Händen. Doch Vera, die das Vermächtnis ihres Vaters, der ItalowesternIkone Giuliano Gemma, mit weißem Cowboyhut auf dem Kopf und diversen (Kunst-) Fellwesten auf den Schultern symbolisch durch Rom trägt, ist ganz im Gegenteil dazu beruflich gescheitert – eben weil sie Tochter eines überlebensgroßen Vaters ist.
Covi und Frimmel – von jeher daran interessiert, die Grenzlinien zwischen dokumentarischen und fiktionalen Elementen zu verwischen, außerdem ausgestattet mit ehrbarer wie ehrlicher Zuneigung zu allen Missverstandenen und Randständigen – spitzen das Dilemma ihrer Haupt- und Titelfigur gleich zu Beginn unmissverständlich zu. Man sieht diese bei einem ihrer vielen Vorsprechen für eine Kinorolle. Sie wirkt unsicher, fast schüchtern, erzählt davon, wie sie an den Sets von Westernfilmen aufgewachsen ist und dass ihr Vater eben kein Nebendarsteller war – sondern Giuliano Gemma. Der Regisseur bittet daraufhin um ein Foto mit ihr. Die Rolle bekommt sie nicht.
Diese Szene sticht auch deshalb so heraus aus einem Film mit entschlackter Dramaturgie und neorealistischer Anmutung, da sie beinahe zwanghaft wirkt in ihrer Künstlichkeit – herbeigeschrieben als Beweis dafür, dass die Protagonistin nie aus des Vaters Schatten getreten ist, letztlich von diesem begraben wurde.
Neorealismus versus Sozialromantik
Ab diesem Moment schicken Covi und Frimmel sie auf eine Entwicklungsreise, eingeleitet von einem Unfall: Vera, mit ihrem in die Jahre gekommenen Chauffeur in einem in die Jahre gekommenen Kombi in der römischen Vorstadt unterwegs, trifft so auf den von ihrem Auto angefahrenen und dadurch leicht verletzten Burschen Manuel (Sebastian Dascalu) – und auf dessen aufbrausenden Vater Daniel (Daniel de Palma).
Über die beiden und die sich langsam zwischen ihnen entwickelnde Freundschaft erlangt sie Zutritt zu und Einblick in das Leben der verarmten Arbeiterklasse am Rand der Ewigen Stadt, in von Brachen umschlossene Siedlungen ohne Wasseranschluss.
„Vera“erscheint in diesen Passagen als Nachlese von Rossellinis neorealistischem Rom, von Pasolinis poetisch erweiterten Proleten-Passionen. Und schlittert dabei immer wieder in die Nähe von eigentümlich pickerter Sozialromantik: Von einer – wenn auch nur geringfügig – Bessergestellten, die als Helferin wirkt und sich darüber auch ein Stück weit selbst verwirklicht.
Covi und Frimmel sind am besten, wenn sie beobachten, mit den (Laien-)Darstellenden ihre Lebensrollen inszenieren, sich aber ansonsten zurückhalten. Und sich nicht in ein grobschlächtiges Drama versteigen, das mehr Klischees bedient, als ihnen Recht sein kann. Die Vera aus dem Titel, die gerade in den ersten Momenten des Films in glamourösem Aufzug durch die Stadt wandelt und einen sofort in ihre Welt zieht, deren Bruchstellen man erfahren will, deren Glück man teilen will – die lernt das Publikum indes kaum kennen.
Bis auf einen Einschub, der gleichzeitig den Höhepunkt des Films markiert: Mit Asia, Tochter des berühmten Regisseurs Dario Argento, hockt sie an einem Tisch. Beide singen die Moritat „Te possino da` tante cortellate“auf Romanesco, schlagen und klopfen dabei rhythmisch auf den Holztisch, sind ausgelassen und lachen, ganz bei sich und frei. Von ihren Vätern. Und allen anderen. Jedenfalls, bis das Lied zu Ende ist.