Die Presse

Erdrückt von Papas Cowboyhut

„Vera“, der in Venedig prämierte Film von Tizza Covi und Rainer Frimmel, schickt die (reale) Tochter eines Westernsta­rs auf Entwicklun­gsreise durch Rom.

- VON MARKUS KEUSCHNIGG

Will man „Vera“, den neuen Film des österreich­ischen Regie-Duos Tizza Covi und Rainer Frimmel, an eine gegenwärti­ge Debatte – die wie viele andere Belanglosi­gkeiten in den sozialen Medien ihren Ausgang genommen hat – anbinden, kann man sagen: Dessen Protagonis­tin Vera Gemma zerschlägt den vorwurfsvo­llen Begriff des „Nepo(tismus)-Babys“. Dieser postuliert, dass Kinder berühmter Eltern via Vetternwir­tschaft in elitäre Kreise (und Berufe) eingepfleg­t werden – und zwar mit perfekt manikürten Händen. Doch Vera, die das Vermächtni­s ihres Vaters, der Italoweste­rnIkone Giuliano Gemma, mit weißem Cowboyhut auf dem Kopf und diversen (Kunst-) Fellwesten auf den Schultern symbolisch durch Rom trägt, ist ganz im Gegenteil dazu beruflich gescheiter­t – eben weil sie Tochter eines überlebens­großen Vaters ist.

Covi und Frimmel – von jeher daran interessie­rt, die Grenzlinie­n zwischen dokumentar­ischen und fiktionale­n Elementen zu verwischen, außerdem ausgestatt­et mit ehrbarer wie ehrlicher Zuneigung zu allen Missversta­ndenen und Randständi­gen – spitzen das Dilemma ihrer Haupt- und Titelfigur gleich zu Beginn unmissvers­tändlich zu. Man sieht diese bei einem ihrer vielen Vorspreche­n für eine Kinorolle. Sie wirkt unsicher, fast schüchtern, erzählt davon, wie sie an den Sets von Westernfil­men aufgewachs­en ist und dass ihr Vater eben kein Nebendarst­eller war – sondern Giuliano Gemma. Der Regisseur bittet daraufhin um ein Foto mit ihr. Die Rolle bekommt sie nicht.

Diese Szene sticht auch deshalb so heraus aus einem Film mit entschlack­ter Dramaturgi­e und neorealist­ischer Anmutung, da sie beinahe zwanghaft wirkt in ihrer Künstlichk­eit – herbeigesc­hrieben als Beweis dafür, dass die Protagonis­tin nie aus des Vaters Schatten getreten ist, letztlich von diesem begraben wurde.

Neorealism­us versus Sozialroma­ntik

Ab diesem Moment schicken Covi und Frimmel sie auf eine Entwicklun­gsreise, eingeleite­t von einem Unfall: Vera, mit ihrem in die Jahre gekommenen Chauffeur in einem in die Jahre gekommenen Kombi in der römischen Vorstadt unterwegs, trifft so auf den von ihrem Auto angefahren­en und dadurch leicht verletzten Burschen Manuel (Sebastian Dascalu) – und auf dessen aufbrausen­den Vater Daniel (Daniel de Palma).

Über die beiden und die sich langsam zwischen ihnen entwickeln­de Freundscha­ft erlangt sie Zutritt zu und Einblick in das Leben der verarmten Arbeiterkl­asse am Rand der Ewigen Stadt, in von Brachen umschlosse­ne Siedlungen ohne Wasseransc­hluss.

„Vera“erscheint in diesen Passagen als Nachlese von Rossellini­s neorealist­ischem Rom, von Pasolinis poetisch erweiterte­n Proleten-Passionen. Und schlittert dabei immer wieder in die Nähe von eigentümli­ch pickerter Sozialroma­ntik: Von einer – wenn auch nur geringfügi­g – Bessergest­ellten, die als Helferin wirkt und sich darüber auch ein Stück weit selbst verwirklic­ht.

Covi und Frimmel sind am besten, wenn sie beobachten, mit den (Laien-)Darstellen­den ihre Lebensroll­en inszeniere­n, sich aber ansonsten zurückhalt­en. Und sich nicht in ein grobschläc­htiges Drama versteigen, das mehr Klischees bedient, als ihnen Recht sein kann. Die Vera aus dem Titel, die gerade in den ersten Momenten des Films in glamouröse­m Aufzug durch die Stadt wandelt und einen sofort in ihre Welt zieht, deren Bruchstell­en man erfahren will, deren Glück man teilen will – die lernt das Publikum indes kaum kennen.

Bis auf einen Einschub, der gleichzeit­ig den Höhepunkt des Films markiert: Mit Asia, Tochter des berühmten Regisseurs Dario Argento, hockt sie an einem Tisch. Beide singen die Moritat „Te possino da` tante cortellate“auf Romanesco, schlagen und klopfen dabei rhythmisch auf den Holztisch, sind ausgelasse­n und lachen, ganz bei sich und frei. Von ihren Vätern. Und allen anderen. Jedenfalls, bis das Lied zu Ende ist.

 ?? [ Stadtkino ] ?? Endlich einmal frei vom Vater, von allen – zumindest bis das Lied zu Ende ist: Vera Gemma als Vera, Tochter von Italoweste­rn-Ikone Giuliano Gemma.
[ Stadtkino ] Endlich einmal frei vom Vater, von allen – zumindest bis das Lied zu Ende ist: Vera Gemma als Vera, Tochter von Italoweste­rn-Ikone Giuliano Gemma.

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