Drachenbändigen mit Holzgabeln
Komodo mit seinen berühmten Waranen sollte 2020 für mindestens ein Jahr geschlossen werden. Corona machte das Verbot dann überflüssig und schenkte der Insel eine noch viel längere Ruhepause.
Alle sagen auf Komodo leben Drachen. Richtig wäre Waran oder Riesenechse, lateinisch Varanus komodoensis. Doch Echsen gibt’s fast überall in den Tropen. Und „Drachen – das klingt doch viel aufregender“. Es ist ja nicht so, dass Marketing eine gute Flugstunde östlich von Bali ein Fremdwort ist. Im Gegenteil: „Fast alle hier leben von den Drachen. Ohne sie würde kein Hahn nach uns krähen!“Auch nicht die vierköpfige Gruppe, die Gonsa in den Busch von Komodo führt.
Zu teuer für Einheimische
Komodo und vier Schwesterinseln sind die einzigen Orte auf der Welt, wo die größten Echsen der Erde noch in freier Wildbahn leben, streng geschützt natürlich. Jede Exkursion beginnt in Labuan Bajo, einem Städtchen auf der Nachbarinsel zum Nationalpark. Die Einheimischen dort kennen Warane nur vom Hörensagen. Es würde sie einen halben bis ganzen Monatslohn kosten, denn mindestens 200 Euro muss man pro Kopf investieren, um einen der Drachen zu sehen: Bootsfahrt, Nationalparkseintritt, geführte Tour. Individualtouren sind verboten und wären wohl auch eher selbstmörderisch. Die Drachen fressen bei Hunger alles, was ihnen so in den Weg kommt: Büffel, Schweine, Wild, sogar ihre eigenen Jungen. 50 Kilogramm Fleisch brauchen die Kerle alle zwei Tage.
Gonsa führt die Gruppe im Entenmarsch an. Hamad lernt von ihm, sichert den Tross nach hinten ab. Beide haben keine Machete oder Betäubungspistole, sondern einen mannshohen massiven
Stock aus Tamarindenholz, der sich am Ende zu einem V gabelt.
„Und damit wollt ihr einen Drachen in Schach halten?“, fragt der Amerikaner, der als Schutz offensichtlich schwerere Kaliber erwartet hat. „Ja! Unseren Kukun kennen die Drachen. Sie haben Respekt davor, besonders, wenn wir die Gabel vor ihnen in den Boden rammen.“Rumms! „Wenn ich das so mache, verharrt jeder Drache. Er faucht zwar, greift aber nicht an.
Eine Pistole müsste ich benutzen, weil der Drache eine Pistole nicht kennt. Und mit einem Messer – und sei es noch so groß – hätte ich keine Chance.“Jeder, der in den Busch geht, führt also einen Kukun mit sich – seit Generationen. „Es gibt immer wieder mal Konflikte, aber in der Regel gehen sich Drache und Mensch aus dem Weg. Einen toten Einheimischen gab es auf der Insel in den letzten 40 Jahren nicht. So lang lebe ich. Verletzungen? Ja. Aber nie mehr.“
Besser bei der Gruppe bleiben
Der letzte Todesfall wird in der Statistik tatsächlich 1974 geführt: ein Schweizer, der sich absonderte.
Die Gruppe ist seit gut 30 Minuten auf der Pirsch. Von den auf Komodo lebenden rund 1100 Drachen hat sich noch keiner blicken lassen. Auf den anderen vier Inseln leben noch einmal 2100 Exemplare der bis zu drei Meter langen und um die hundert Kilogramm schweren Echsen; drei Inseln dürfen nicht betreten werden. „Wir werden mindestens einen sehen“, verspricht Gonsa. Die Drachen seien tagaktiv, nachts werde in Höhlen geschlafen. „Sogar alle Kreuzfahrer
sehen mindestens vier Drachen.“Gonsa schmunzelt. „Bei einem großen Kreuzfahrtschiff haben wir 2000 Gäste an einem Tag. Wenn die alle in 25-Personen-Gruppen durch den Busch trampeln, zeigt sich keiner der Drachen. Also treiben wir mit unseren Kukun vier, fünf, manchmal sechs Drachen zu einem großen runden Platz und kesseln sie dort ein, bis die Kreuzfahrer kommen.“
Im Kreisinneren wissen die Drachen dann nicht, was mit ihnen gerade geschieht, denn ungefähr ein Dutzend Insulaner haben sie umzingelt, schauen sie an und haben ihren Kukun den Tieren zugewandt in den Boden gerammt. Die Kreuzfahrer – sie stellen die Mehrzahl der jährlich 60.000 Komodo-Besucher – dürfen fotografieren und eine Runde drehen – wie beim Defiliermarsch.
Da die Anzahl der Besucher in den letzten Jahren stetig gewachsen ist, wollte man 2020 einen Besucherstopp für ein Jahr erlassen. Um den Waranen Zeit zur Erholung zu geben, aber auch, um neue Bäume anzupflanzen. Am 1. Jänner war der Erlass noch nicht fertig, und die Entscheidung wurde
auf den 1. Juli vertagt. Dann war sie allerdings nicht mehr nötig: Wegen Corona kamen keine Besucher mehr, und Indonesien hielt seine Grenzen – von Bali abgesehen – bis Jänner 2022 geschlossen.
Bakterien erledigen die Beute
Gonsa hält inne: „Schaut dort hinten: Das ist ein Wasserbüffel, die Lieblingsspeise der Drachen! Kann gut sein, dass wir gleich einen sehen.“Der Büffel ist ein mächtiger Kerl. Gonsa flüstert: „Drachen können mit dem Wind sechs Kilometer weit riechen. Und wenn sie einen Büffel ausfindig gemacht haben, dann müssen sie ihn nur verletzen. Den Rest machen die Bakterien der Drachen. In fünf, spätestens sechs Tagen ist der Büffel tot. Dann ist angerichtet.“
Plötzlich rammt hinter uns Hamad seinen Kukun in den Boden, hat sich doch hinter der Gruppe ein Drachen angeschlichen. Monströs, schuppig und mit gespaltener Zunge, irgendwie halb Krokodil, halb Rest aus Dinosaurierzeiten. Er faucht missmutig und verschwindet mit schwankendem Gang schließlich wirklich im Busch.