Ski fahren mit Retro-Charme und Apr`es-Tee
In Ostanatolien lockt feiner Schnee von November bis April deutsche Harley-Fahrer genau wie jene Skifahrer, die lieber auf einen Tee als auf Anton-aus-Tirol-Bespaßung einkehren. Und ein privates Skigebiet mit St.-Moritz-Programm.
Seit wir 2007 zum ersten Mal in Palandöken waren, fahren wir jedes Jahr zusammen hierher.“Fatih liegt auf dem Göbek Tas¸ı, dem Bauchnabelstein, des hoteleigenen Hamam am Rande des Skigebiets Palandöken bei Erzurum. Fatih und seine dreißig Freunde nennen sich PalandökenChaoten und fahren, vielmehr cruisen normalerweise mit ihren Harley Davidsons durchs Umland von Duisburg; im Winter ersetzen sie die Straßen durch Pisten und die Harleys durch Skier und Snowboards.
Trockene Kälte, feiner Schnee
Das ostanatolische Skigebiet Palandöken umfasst 43 Pistenkilometer, mit zwölf Kilometern die längste Abfahrt der Türkei und zudem die steilste Abfahrt aller türkischen Skigebiete. Ejder 3200 heißt die Liftgesellschaft, die die beiden in Palandöken liegenden Skigebiete Ejder und Konaklı mit insgesamt dreizehn Liften betreibt. 44 Prozent blaue und 16 Prozent rote Pisten locken Familien und auch Anfänger. „Ejder 32 bezeichnet zudem den höchstgelegenen Gipfel des Skigebiets, der auf 3176 Metern liegt. Ejder bedeutet Drachen, aber dieser Berg spuckt kein Feuer. Ganz im Gegenteil, die Nächte kühlen häufig auf minus 20 Grad ab, und auch tagsüber ist es zwar meist sonnig und klar, aber oft sehr kalt. Die trockene Kälte verleiht dem Schnee eine besonders feine Struktur und der ganzen Region eine Schneesicherheit von Ende November bis in den April.
Ski fahren auf verschneiten ostanatolischen Hügeln, eineinhalb Flugstunden östlich von Istanbul, ist auf jeden Fall anders. Die Liftanlagen und Hotels verstrahlen Retro-Charme. Kleine Gondeln fassen vier Personen und ziehen in gemütlicher Spaziergangsgeschwindigkeit den Berg hinauf. Manche Unterkünfte liegen direkt an der Piste, andere sind mit einem Transfer per Sessellift oder per Bus an die Talstation angebunden.
Anstatt in einer bräsigen Skihütte mit Anton-aus-Tirol-Bespaßung einzukehren, holen sich Skiund Snowboardfahrer hier einen schnellen C¸ay, einen Tee, beispielsweise im Café Güney, so der Name der schlichten Bar am Rande der langen Palandöken-Abfahrt. Auf der Terrasse sowie im Inneren des einfachen, kleinen Raums brodeln Holzöfen. Einer der Gäste öffnet dessen Klappen und zeigt auf die dampfenden Kartoffeln, die darin garen. Der Blick schweift über einige wild zusammengewürfelte hausähnliche Baracken unmittelbar unterhalb des Cafés Güney. Ohne eine Erläuterung des
Skilehrers Arif wären diese als kleines Bauerndorf, in dem Menschen und Tiere leben, nicht zu erkennen gewesen.
Nicht selten finden sich in der Türkei Gegensätze in unmittelbarer Nachbarschaft. So auch hier am Fuße des Palandöken. Eine Abfahrt und zwei Pisten weiter leistet sich das Hotel Sway sein hauseigenes privates Skigebiet, erreichbar, indem die Skier kurz abgeschnallt werden und man die Hotellobby passiert. Ein Sessellift befördert die Besucher zur etwa fünf Minuten höher liegenden Lounge 2400. Ein trendiges und mondänes Fleckchen, das einer Bühne gleicht, auf der sich Akteure, die sonst in Sankt Moritz performen, tummeln. Das Skifahren zu beherrschen ist hier definitiv zweitrangig. Auf der Terrasse der Lounge 2400 wird mit mehreren Holzöfen und von einem DJ, dessen Oberkörper als Werbefläche dient, eingeheizt. Was sein Mischpult für die Gäste bereithält, macht Laune. Während an einem der Bartische die Sektkorken knallen, leisten sich zwei junge Damen lieber gleich eine ganze Flasche Gin, und zwar Monkey 47, feinste Ware aus dem Südschwarzwald, statt sich mit nur einem Gläschen zufriedenzugeben. Mit steigender Promillezahl wird die Musik lauter und sorgt für musikalische Untermalung im gesamten kleinen Skigebiet. Auch vom benachbarten Hotel Polat klingt es loungig nach oben – und als gelte es, die Kakophonie dieses heidnischen Treibens zu übertönen, trägt der Wind den Gebetsruf des Muezzins von der Stadt hinauf auf die Pisten.
Erlebt der Mensch Neues, neigt er dazu zu vergleichen – was dabei hilft, die Orientierung zu behalten. Vergleichen verleitet leider auch dazu, auf- beziehungsweise abzuwerten. Beim Skifahren in der Türkei geschieht es schnell, die Alpen als Maßstab aller Skigebiete heranzuziehen. Gelingt es, nicht zu werten, findet zumeist ein tieferes Durchdringen des Erlebten statt. Dies geschieht etwa auf dem Ziehweg, der von der Bergstation Ejder 3200 aus um dessen Südseite führt. Die im Sommer rot, braun und ocker, bis ins Grauschwarze changierenden Sand- und Steinberge der ostanatolischen kargen Höhen haben sich in ein SchwarzWeiß-Bild verwandelt. Soweit das Auge reicht, reihen sich Gipfel an Hügel. Eine weiße Unendlichkeit wird durch einschneidende schwarze Furchen und Täler in Falten gelegt. Nur selten schlängelt sich ein Weg an den Bergflanken entlang.
Von der Uni auf die Piste
Mongolen und Seldschuken, später im Osmanischen Reich Armenier und Russen kämpften sich durch diese unwirtlichen Höhen und machten Erzurum zu einer geschichtsträchtigen Stadt. Lang bevor mit Atatürk 1919 der erste türkische Nationalkongress in Erzurum tagte. Trotz massiver Zerstörung durch Erdbeben zeugen noch heute zwei alte Universitäten von der Tradition, die Bildung in Erzurum hat. Heute studieren an der modernen Atatürk-Universität mehr als 10.000 Studenten und bilden einen jugendlichen Kontrast in der knapp 800.000 Einwohner zählenden Stadt, die einen schwer konservativen Ruf hat. Aber auch vielseitig und lebendig ist, Einkaufsmöglichkeiten, Teehäuser und Cafés hat – und nicht Restaurants, in denen sich die großartige türkische Küche erkunden lässt.