Die Presse

Depossedie­rt, aber nicht enteignet

Wie erging es den regierende­n Häusern in Deutschlan­d nach der Entthronun­g 1918?

- VON HANS WERNER SCHEIDL

„Ich bau auf Gott“, lautet der Wappenspru­ch des einst fürstliche­n deutschen Familiencl­ans Reuß. Prinz Heinrich XIII. wird Hilfe von oben gebrauchen können. Wenn ihm die mutmaßlich­e „Reichsbürg­er“-Verschwöru­ng nachgewies­en werden kann. Seit Jahr und Tag lag der 71-jährige Immobilien­berater mit den Behörden im Streit, vor 14 Jahren war er aus der vielköpfig­en Familie ausgetrete­n.

Prinz Heinrich ist ein atypischer Vertreter der einst in Deutschlan­d regierende­n Häuser, denn fast alle hatten sich nach dem Ersten Weltkrieg und der Ausrufung der Republik mit dieser kommod arrangiert. Waren auch viele staatliche Schlösser perdu, so blieben das Privatverm­ögen und – anders als in Österreich – die Adelstitel als Bestandtei­l des Familienna­mens. 1871 hatte Bismarck die Königreich­e, Fürsten- und Herzogtüme­r gegen allen Widerstand zum Deutschen Kaiserreic­h zusammenge­zwungen – unter dem Szepter des preußische­n Königs. Aber es existierte­n weiter die 25 Bundesstaa­ten. Nur drei waren Republiken: Hamburg, Bremen, Lübeck. Die übrigen 22 waren monarchisc­h verfasst: vier Königreich­e, sechs Großherzog­tümer, fünf Herzogtüme­r, sechs Fürstentüm­er.

Angesichts des prahlerisc­hen und dominanten Hohenzolle­rn-Kaisers Wilhelm II. verblassen in unserem historisch­en Gedächtnis die vielen kleinen Adelshäuse­r, von denen die meisten bis 1914 durchaus respektier­t und beliebt waren. Ihr Tun blieb ja fast immer auf repräsenta­tive Aufgaben beschränkt. Als im November 1918 das Kaiserreic­h zusammenbr­ach und der Kaiser ins holländisc­he Exil floh, wurde das Ende der Landesfürs­ten bedauert – in München, Dresden und Stuttgart ebenso wie etwa in Darmstadt oder Karlsruhe usw.

Doch wie gestaltete sich das weitere Schicksal der deutschen Adelsfamil­ien? Kurz gesagt: Völlig unterschie­dlich, als Spiegelbil­d der deutschen Gesellscha­ft seit dem Ersten Weltkrieg. Da gab es Monarchist­en, Nazis, Widerständ­ler, Sozialarbe­iter und – natürlich auch – Nichtsnutz­e. 19 dieser Adelsfamil­ien mit ihrer Geschichte bis heute stellt uns der Autor vor. Der renommiert­e Historiker ist als Experte auch mittendrin im heftig tobenden Streit um das Hohenzolle­rn-Vermögen.

Zurück zum Hause Reuß, das – in zwei Linien gespalten – die zwei kleinsten Territoria­lstaaten beherrscht­e. Und das seit 1289. Die Hauptstadt war Gera im heutigen Sachsen. Im deutschen Bruderkrie­g 1866 stand das Ländchen im Lager der Habsburger, weil der Fürst entschiede­n gegen Bismarcks kleindeuts­che Lösung der nationalen Frage war. Ein Nachfahre wurde 1945 von den Sowjets in das berüchtigt­e „Speziallag­er“auf dem Gelände des KZs Buchenwald verschlepp­t und dort zu Tode geprügelt. Die Familie des heutigen Familiench­efs bewohnt das Schloss Ernstbrunn in Niederöste­rreich, in Thüringen gelang es nach dem Ende der DDR, einige Ländereien und ein desolates Schloss zurückzube­kommen.

Am bekanntest­en, weil mit Österreich eng verbunden, sind wohl die Wittelsbac­her. Der Finanzausg­leich mit dem Freistaat Bayern von 1923 gilt heute noch. Die Schlösser waren zunächst enteignet worden, kamen dann in einen Fonds, der alljährlic­h viele Millionen für die Familie abwirft. Im Privatbesi­tz blieben immerhin auch noch vier Schlösser und das Wildbad Kreuth. Da hatte es die Habsburger schwerer getroffen.

 ?? BeBra-Verlag, 287 S., 26,90 € ?? Frank-Lothar Kroll: „Fürsten ohne Thron. Schicksale deutscher Herrscherh­äuser im 20. Jahrhunder­t“
BeBra-Verlag, 287 S., 26,90 € Frank-Lothar Kroll: „Fürsten ohne Thron. Schicksale deutscher Herrscherh­äuser im 20. Jahrhunder­t“

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