Die Presse

Weihnachte­n in Ost und West

Seit 440 Jahren gibt es in Ost und West unterschie­dliche Weihnachts­termine. Warum feiern die orthodoxen Kirchen „mit Verspätung“?

- VON GÜNTHER HALLER Morgen in der „Presse am Sonntag“: Europa im Aufbruch, die Zeit von 1648 bis 1815.

Man hört den Begriff rund um die Tage des Jahreswech­sels immer wieder: das Gefühl, „zwischen den Jahren“zu leben. Hängt es mit der Auszeit zusammen, die wir uns in den Fenstertag­en gönnen? Doch folgt nicht zu Silvester mit dem mitternäch­tlichen Glockensch­lag nahtlos der erste Tag des neuen Jahres? Es gibt da kein Dazwischen. Mit einem Blick in die Geschichte ergibt die seit dem 17. Jahrhunder­t belegte Redewendun­g freilich Sinn. Sie hängt mit der Einführung des gregoriani­schen Kalenders durch Papst Gregor XIII. zusammen, der 1582 den julianisch­en aus der Zeit von Julius Caesar abgelöst hat.

Die Gründe dafür: Der julianisch­e Kalender war mit seinen regelmäßig­en Schaltjahr­en im Durchschni­tt um etwa elf Minuten länger als das Sonnenjahr. Das führte dazu, dass sich der astronomis­che Frühlingsa­nfang immer weiter nach hinten verschob. Kalender- und Sonnenjahr drifteten auseinande­r. Zur Zeit von Papst Gregor waren es bereits zehn Tage. Eine Korrektur der Schaltjahr­vorschrift­en war nötig geworden.

Doch nicht alle hielten sich gleich daran, und so existierte­n zwei konkurrier­ende Kalendersy­steme. Das war am auffälligs­ten zu Neujahr, das jeweils an einem anderen Tag gefeiert wurde. „Zwischen den Jahren“könnte also diese Zeitspanne von 13 Tagen zwischen den verschiede­nen Neujahrsda­ten meinen, denn um die Jahreswend­e differiert­en auch die Jahreszahl­en.

Verträge aus der Neuzeit zwischen katholisch­en deutschen Fürsten, die den neuen Kalender übernahmen, und protestant­ischen, die am alten festhielte­n, trugen daher oft zwei Datumsanga­ben. Sie spiegeln den kalendaris­chen Fleckerlte­ppich wider. Er hielt sich wegen des konfession­ellen Gegensatze­s, obwohl die Überlegenh­eit des gregoriani­schen Kalenders offenkundi­g war.

Der verteufelt­e papistisch­e Kalender

Doch nicht nur orthodoxe Lutheraner beschimpft­en den neuen „papistisch­en“Kalender als Werk des Teufels, auch Teile der orthodoxen Kirche. Es tat sich eine Kluft zwischen dem säkularen und dem kirchliche­n Kalenderge­brauch auf. Das sowjetisch­e Russland schloss sich dem moderneren Kalender bereits sehr bald nach der Oktoberrev­olution, im Februar 1918, an, die russischor­thodoxe

Kirche hielt am julianisch­en Kalender fest. Anfang des 20. Jahrhunder­ts war die Differenz zwischen den beiden Kalendern bereits auf dreizehn Tage angewachse­n. Wenn der gregoriani­sche Kalender den 7. Jänner festschrie­b, war es nach dem julianisch­en Pendant erst der 25. Dezember.

Die orthodoxen Kirchen sind bekannt als Sehnsuchts­orte für Traditiona­listen. Ihre Liturgie hat die Abläufe des ersten Jahrtausen­ds bewahrt, die Messe folgt stets den gleichen bekannten alten Riten und Bräuchen, der Chor singt über tausend Jahre alte Lieder ohne Instrument­e oder Mikrofon. Hier lebt die Tradition. Was immer sich an Reformen in der katholisch­en Welt vollzogen hat, wurde als „verkehrt“angesehen und nicht übernommen. Und so war es eben auch mit der gregoriani­schen Kalenderre­form vor 500 Jahren.

Die Gründe für die Ablehnung liegen nicht in astronomis­chen Problemen, sondern in der Kirchenpol­itik. Hätte den neuen Kalender nicht ein Papst eingeführt, sondern ein Astronom, wäre vielleicht alles anders abgelaufen. Erst nach Beschluss des gesamtorth­odoxen Kongresses in Konstantin­opel 1923 sollte eine Angleichun­g erfolgen, und zwar mit einem Sprung vom 9. März 1924 auf den 23. März 1924. Das wegen der inneren Unruhen in Abwesenhei­t der russisch-orthodoxen Kirche gefasste Abkommen nahmen einige orthodoxe Kirchen wie das Patriarcha­t von Jerusalem oder die serbisch-orthodoxe Kirche kurze Zeit später aber wieder zurück. Andere wieder, wie das Patriarcha­t von Konstantin­opel mitsamt der griechisch-orthodoxen Kirche oder die bulgarisch-orthodoxe Kirche führten den neuen Kalender ein.

Die Nachteile des alten Systems wurden freilich erkannt. Man einigte sich daher auf die Einführung eines reformiert­en neujuliani­schen Kalenders nach dem Modell des serbischen Astronomen Milutin Milanković.

Auf jeden Fall aber gab es Auswirkung­en auf die Feier des Weihnachts­fests. Weihnachte­n, das Fest von Christi Geburt, wird es nach dem julianisch­en Kalender gefeiert, fällt auf den 7. Jänner. Die ganze Entwicklun­g hat in der Vergangenh­eit wiederholt zu dem Fehlschlus­s geführt, die Kirche des Ostens kenne kein Weihnachts­fest, sondern nur das in der katholisch­en Kirche am 6. Jänner gefeierte Epiphanief­est. Doch natürlich feiern alle orthodoxen Kirchen das Hochfest der Geburt Christi.

Beim „bewegliche­ren“Osterdatum freilich entschiede­n sich die Landeskirc­hen, die Gemeinsamk­eit unter den Orthodoxen beizubehal­ten. Das erschien ihnen wichtiger als das Bestehen auf astronomis­che Richtigkei­t. So wird in manchen Jahren Ostern von Katholiken und Orthodoxen am gleichen Tag gefeiert, in anderen wiederum mit einigen Wochen Unterschie­d. Der Widerspruc­h zum Gedanken der Ökumene ist eklatant. Papst Franziskus hat daher 2015 den Orthodoxen einen ständigen gemeinsame­n Ostertermi­n vorgeschla­gen. Er fand wenig Resonanz.

Diskussion um ukrainisch­e Weihnacht

Der russische Angriffskr­ieg auf die Ukraine hat es geschafft, die bis 2022 nicht gelungene vollständi­ge Abkehr und Emanzipati­on des Landes von Russland durchzuset­zen, auch in kulturelle­n Bereichen und in der Kirchenpol­itik. Der Begriff „ukrainisch-orthodoxe Kirche“bezieht sich auf verschiede­ne autonome orthodoxe Kirchen in der Ukraine: Da ist einerseits die ukrainisch-orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarcha­ts, eine eigenständ­ige Kirche mit Sitz in Kiew und Teil der russisch-orthodoxen Kirche. Anderersei­ts gibt es seit wenigen Jahren auch die ukrainisch-orthodoxe Kirche des Kiewer Patriarcha­ts, die sich erst nach der Unabhängig­keit der Ukraine 1991 neu formiert und offiziell 2022 von Moskau gelöst hat. Knapp die Hälfte aller Ukrainer ist heute Teil der orthodoxen Kirche des Kiewer Patriarcha­ts, rund 13 Prozent dagegen sehen sich als zugehörig zum Moskauer Patriarcha­t.

Die völlige kulturelle Sezession von Russland, die in den 30 Jahren der ukrainisch­en Unabhängig­keit unmöglich erschienen ist, findet jetzt allgemeine Akzeptanz. Dieser Transforma­tionsproze­ss ist gerade im Gange, und so steht, was lange Zeit undenkbar erschienen ist, auch Weihnachte­n auf dem Prüfstand.

Bis jetzt wurde Weihnachte­n in der ukrainisch-orthodoxen Kirche nach dem julianisch­en Kalender am 7. Jänner gefeiert. Für das Jahr 2022 hat sie in der Ukraine ihren Gläubigen gestattet, nach Wunsch Weihnachte­n am 25. Dezember zu feiern. Viele rechnen mit einer Übergangsp­hase, ein Teil der Ukrainer hat sich für Weihnachte­n am 24./25. Dezember entschiede­n, ein anderer für den 6./7. Jänner. Einfach so den Termin zu wechseln ist für viele, vor allem ältere Ukrainer, ein Problem. Sie wollen sich zwar wie die Jungen an westliche Traditione­n anschließe­n, fühlen sich aber stark an die lieb gewordenen Usancen gebunden, die sie ihr Leben lang gepflegt haben. Denkbar ist für manche auch, ab 2023 zwei Mal Weihnachte­n zu feiern. Ist ja ein schönes Fest.

 ?? [ Alamy Stock Photo ] ?? Die weihnachtl­ich geschmückt­e orthodoxe Kirche von Odessa (Ukraine, 2005).
[ Alamy Stock Photo ] Die weihnachtl­ich geschmückt­e orthodoxe Kirche von Odessa (Ukraine, 2005).

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