Weihnachten in Ost und West
Seit 440 Jahren gibt es in Ost und West unterschiedliche Weihnachtstermine. Warum feiern die orthodoxen Kirchen „mit Verspätung“?
Man hört den Begriff rund um die Tage des Jahreswechsels immer wieder: das Gefühl, „zwischen den Jahren“zu leben. Hängt es mit der Auszeit zusammen, die wir uns in den Fenstertagen gönnen? Doch folgt nicht zu Silvester mit dem mitternächtlichen Glockenschlag nahtlos der erste Tag des neuen Jahres? Es gibt da kein Dazwischen. Mit einem Blick in die Geschichte ergibt die seit dem 17. Jahrhundert belegte Redewendung freilich Sinn. Sie hängt mit der Einführung des gregorianischen Kalenders durch Papst Gregor XIII. zusammen, der 1582 den julianischen aus der Zeit von Julius Caesar abgelöst hat.
Die Gründe dafür: Der julianische Kalender war mit seinen regelmäßigen Schaltjahren im Durchschnitt um etwa elf Minuten länger als das Sonnenjahr. Das führte dazu, dass sich der astronomische Frühlingsanfang immer weiter nach hinten verschob. Kalender- und Sonnenjahr drifteten auseinander. Zur Zeit von Papst Gregor waren es bereits zehn Tage. Eine Korrektur der Schaltjahrvorschriften war nötig geworden.
Doch nicht alle hielten sich gleich daran, und so existierten zwei konkurrierende Kalendersysteme. Das war am auffälligsten zu Neujahr, das jeweils an einem anderen Tag gefeiert wurde. „Zwischen den Jahren“könnte also diese Zeitspanne von 13 Tagen zwischen den verschiedenen Neujahrsdaten meinen, denn um die Jahreswende differierten auch die Jahreszahlen.
Verträge aus der Neuzeit zwischen katholischen deutschen Fürsten, die den neuen Kalender übernahmen, und protestantischen, die am alten festhielten, trugen daher oft zwei Datumsangaben. Sie spiegeln den kalendarischen Fleckerlteppich wider. Er hielt sich wegen des konfessionellen Gegensatzes, obwohl die Überlegenheit des gregorianischen Kalenders offenkundig war.
Der verteufelte papistische Kalender
Doch nicht nur orthodoxe Lutheraner beschimpften den neuen „papistischen“Kalender als Werk des Teufels, auch Teile der orthodoxen Kirche. Es tat sich eine Kluft zwischen dem säkularen und dem kirchlichen Kalendergebrauch auf. Das sowjetische Russland schloss sich dem moderneren Kalender bereits sehr bald nach der Oktoberrevolution, im Februar 1918, an, die russischorthodoxe
Kirche hielt am julianischen Kalender fest. Anfang des 20. Jahrhunderts war die Differenz zwischen den beiden Kalendern bereits auf dreizehn Tage angewachsen. Wenn der gregorianische Kalender den 7. Jänner festschrieb, war es nach dem julianischen Pendant erst der 25. Dezember.
Die orthodoxen Kirchen sind bekannt als Sehnsuchtsorte für Traditionalisten. Ihre Liturgie hat die Abläufe des ersten Jahrtausends bewahrt, die Messe folgt stets den gleichen bekannten alten Riten und Bräuchen, der Chor singt über tausend Jahre alte Lieder ohne Instrumente oder Mikrofon. Hier lebt die Tradition. Was immer sich an Reformen in der katholischen Welt vollzogen hat, wurde als „verkehrt“angesehen und nicht übernommen. Und so war es eben auch mit der gregorianischen Kalenderreform vor 500 Jahren.
Die Gründe für die Ablehnung liegen nicht in astronomischen Problemen, sondern in der Kirchenpolitik. Hätte den neuen Kalender nicht ein Papst eingeführt, sondern ein Astronom, wäre vielleicht alles anders abgelaufen. Erst nach Beschluss des gesamtorthodoxen Kongresses in Konstantinopel 1923 sollte eine Angleichung erfolgen, und zwar mit einem Sprung vom 9. März 1924 auf den 23. März 1924. Das wegen der inneren Unruhen in Abwesenheit der russisch-orthodoxen Kirche gefasste Abkommen nahmen einige orthodoxe Kirchen wie das Patriarchat von Jerusalem oder die serbisch-orthodoxe Kirche kurze Zeit später aber wieder zurück. Andere wieder, wie das Patriarchat von Konstantinopel mitsamt der griechisch-orthodoxen Kirche oder die bulgarisch-orthodoxe Kirche führten den neuen Kalender ein.
Die Nachteile des alten Systems wurden freilich erkannt. Man einigte sich daher auf die Einführung eines reformierten neujulianischen Kalenders nach dem Modell des serbischen Astronomen Milutin Milanković.
Auf jeden Fall aber gab es Auswirkungen auf die Feier des Weihnachtsfests. Weihnachten, das Fest von Christi Geburt, wird es nach dem julianischen Kalender gefeiert, fällt auf den 7. Jänner. Die ganze Entwicklung hat in der Vergangenheit wiederholt zu dem Fehlschluss geführt, die Kirche des Ostens kenne kein Weihnachtsfest, sondern nur das in der katholischen Kirche am 6. Jänner gefeierte Epiphaniefest. Doch natürlich feiern alle orthodoxen Kirchen das Hochfest der Geburt Christi.
Beim „beweglicheren“Osterdatum freilich entschieden sich die Landeskirchen, die Gemeinsamkeit unter den Orthodoxen beizubehalten. Das erschien ihnen wichtiger als das Bestehen auf astronomische Richtigkeit. So wird in manchen Jahren Ostern von Katholiken und Orthodoxen am gleichen Tag gefeiert, in anderen wiederum mit einigen Wochen Unterschied. Der Widerspruch zum Gedanken der Ökumene ist eklatant. Papst Franziskus hat daher 2015 den Orthodoxen einen ständigen gemeinsamen Ostertermin vorgeschlagen. Er fand wenig Resonanz.
Diskussion um ukrainische Weihnacht
Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat es geschafft, die bis 2022 nicht gelungene vollständige Abkehr und Emanzipation des Landes von Russland durchzusetzen, auch in kulturellen Bereichen und in der Kirchenpolitik. Der Begriff „ukrainisch-orthodoxe Kirche“bezieht sich auf verschiedene autonome orthodoxe Kirchen in der Ukraine: Da ist einerseits die ukrainisch-orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats, eine eigenständige Kirche mit Sitz in Kiew und Teil der russisch-orthodoxen Kirche. Andererseits gibt es seit wenigen Jahren auch die ukrainisch-orthodoxe Kirche des Kiewer Patriarchats, die sich erst nach der Unabhängigkeit der Ukraine 1991 neu formiert und offiziell 2022 von Moskau gelöst hat. Knapp die Hälfte aller Ukrainer ist heute Teil der orthodoxen Kirche des Kiewer Patriarchats, rund 13 Prozent dagegen sehen sich als zugehörig zum Moskauer Patriarchat.
Die völlige kulturelle Sezession von Russland, die in den 30 Jahren der ukrainischen Unabhängigkeit unmöglich erschienen ist, findet jetzt allgemeine Akzeptanz. Dieser Transformationsprozess ist gerade im Gange, und so steht, was lange Zeit undenkbar erschienen ist, auch Weihnachten auf dem Prüfstand.
Bis jetzt wurde Weihnachten in der ukrainisch-orthodoxen Kirche nach dem julianischen Kalender am 7. Jänner gefeiert. Für das Jahr 2022 hat sie in der Ukraine ihren Gläubigen gestattet, nach Wunsch Weihnachten am 25. Dezember zu feiern. Viele rechnen mit einer Übergangsphase, ein Teil der Ukrainer hat sich für Weihnachten am 24./25. Dezember entschieden, ein anderer für den 6./7. Jänner. Einfach so den Termin zu wechseln ist für viele, vor allem ältere Ukrainer, ein Problem. Sie wollen sich zwar wie die Jungen an westliche Traditionen anschließen, fühlen sich aber stark an die lieb gewordenen Usancen gebunden, die sie ihr Leben lang gepflegt haben. Denkbar ist für manche auch, ab 2023 zwei Mal Weihnachten zu feiern. Ist ja ein schönes Fest.