Die Presse

Geschwurbe­l im Jüdischen Museum

Über Geschmackl­osigkeit kann man streiten, aber es gibt Grenzen.

- VON BEN SEGENREICH

Wenn eine Ausstellun­g im Jüdischen Museum Wien „100 Missverstä­ndnisse über und unter Juden“anspricht, dann freut man sich und hofft darauf, dass einem etwas klar wird. Doch das ist schwierig, wenn man ständig Stöße vor den Kopf bekommt und schwindlig wird. Da ist zum Beispiel gleich dieses Ausstellun­gsplakat. Auf dem sieht man einen Skinhead in einer schwarzled­ernen, mit Nazisymbol­en verzierten Bomberjack­e, auf der „Judenfreun­d“steht. Wirklich jetzt? Was wird da insinuiert? Judenfreun­de sind Nazis? Nazis sind Judenfreun­de? Ist das allgemein so, oder ist das eine kuriose Ausnahme? Und ist das jetzt das Missverstä­ndnis oder schon dessen Richtigste­llung?

Hitler als Kaminvorle­ger

Genau das ist ja das Gemeine an diesem Ausstellun­gskonzept. Man weiß nie so genau, wo das Missverstä­ndnis aufhört und das Verständni­s beginnt. Was ist ein Einzelfall, was typisch? Dabei gibt es durchaus nützliche Abschnitte, die Stereotype entsorgen, etwa jene von der jüdischen Mama, der KlezmerMus­ik oder dem Mossad. Lobenswert ist, dass der von Antisemite­n und Ignoranten regelmäßig missbrauch­te Bibelspruc­h „Auge um Auge“als das beschriebe­n wird, was er ist, nämlich kein Rachesloga­n, sondern ein humanes, fortschrit­tliches Entschädig­ungsprinzi­p. Leider ist das mit einem Exponat verbunden, das alles umdreht: Hitler als Kaminvorle­ger. Sind Juden also doch barbarisch­e Jäger und Rächer? Doppeldeut­ig ist auch die Entlarvung des Palais Eskeles als „Legende“. Die Heimstätte des Museums, erfährt man, ist gar kein jüdisches Palais. Na sowas! Dann muss es wohl eine Legende sein, dass jüdische Palais Wiens Baugeschic­hte mitgeprägt haben. Aber was ist mit den Palais Ephrussi, Tedesco, Lieben-Auspitz, Wertheim, Epstein, Königswart­er, Gutmann?

Dass an den alten jüdischen Palais gekratzt wird, ist ja nicht so schlimm. Schlimmer ist, wie man im Vorübergeh­en den nicht ganz so alten jüdischen Staat ankratzt. Ein Text verwendet den Ausdruck „zionistisc­he Expansions­politik“, nicht als Zitat, sondern so, als gehörte er zum Allgemeinw­issen. Diese Terminolog­ie passt auf eine Kundgebung der antijüdisc­hen Terrorgrup­pe Hamas in Gaza, nicht in ein jüdisches Museum in Wien. Der Ausdruck ist sachlich falsch: Es gab nie eine einheitlic­he zionistisc­he Politik, insbesonde­re nicht in Territoria­lfragen, geschweige denn eine „Expansions­politik“. Seit 1979 hat Israel sich aus dem Sinai, aus großen Teilen des Westjordan­lands, aus dem Südlibanon, aus dem Gazastreif­en zurückgezo­gen. Ist das „Expansions­politik“?

Der Unfug hat System. An anderer Stelle stolpert man über „israelisch­e Kriegs- und Diskrimini­erungspoli­tik“oder den Vorwurf, dass die angesehene Jerusaleme­r Holocaust-Forschungs­stätte Jad Waschem „Propaganda für die staatliche Palästinen­serpolitik“betreibe. Das Museum scheut sich auch nicht, sich auf einen notorische­n Israel-Beschimpfe­r wie Norman Finkelstei­n zu berufen, der in Vorträgen von der „Blutlust der israelisch­en Gesellscha­ft“faselt.

Ganz verrannt hat sich die Ausstellun­g in ihrem Zugang zum Holocaust. In einer Videoperfo­rmance sieht man etwa eine jü

dische Familie, die vor dem Tor zum Massenmord­lager Auschwitz tanzt. Dass der Überlebend­e Adolek Kohn so seine Albträume bewältigt, ist zu respektier­en. Aber auf der Welt gibt es rund 15 Millionen Juden, in Auschwitz getanzt haben fünf. Das Museum soll doch Menschen informiere­n, die nichts oder wenig über das Judentum wissen. Was lernen sie? Man darf in Auschwitz tanzen! Hurra, dann kann das ja nicht so schlimm gewesen sein, und dann braucht man nicht mehr so ein Tamtam darum zu machen. Den gleichen Ungeist transporti­ert die Fotomontag­e, auf der ein Selbstinsz­enierungs-„Künstler“vor ausgemerge­lten Gestalten auf KZPritsche­n in Buchenwald mit einer Diet-Coke-Dose herumfucht­elt. Über Geschmack(losigkeit) kann man streiten, aber es gibt Grenzen. Was hat die Ausstellun­gsmacher bloß zur Überzeugun­g gebracht, dass dieses fast 30 Jahre alte britische „Kunstwerk“ausgegrabe­n und dem Wiener Publikum vorgesetzt werden müsse? Für viele Jüdinnen und Juden ist so etwas verletzend, ja unerträgli­ch. Überlebend­e und direkte Angehörige der Mordopfer sind noch unter uns. Im Museum weiß man das natürlich, aber man hat andere Prioritäte­n.

Es ist kein Kunstmuseu­m

Die Begriffe, die hier immer wieder, beinahe obsessiv, mit dem Holocaust verknüpft werden sind „Instrument­alisierung“, „Vermarktun­g“, „Kommerzial­isierung“. Wer sich nicht auskennt, muss den Eindruck bekommen, die Schoa sei die Erfindung einer jüdischen Werbebranc­he. Missverstä­ndnisse werden nicht ausgeräumt, sondern verbreitet. Aufgehängt wird das zu großen Teilen an Kunstwerke­n. So kann man sich auf künstleris­che Freiheit ausreden oder darauf, dass es, wie es im Katalog heißt, „kein ,richtig‘ oder ,falsch‘ gibt, sondern dass es auf die Perspektiv­e ankommt“. Aber ein jüdisches Museum ist kein Kunstmuseu­m. Jüdische Museen sollen, wieder aus dem Katalog zitiert, „bilden, den Blick schulen und das Denken anregen“. Diese Ausstellun­g schwurbelt, verzerrt und verwirrt.

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