Die Presse

Wir versinken im Schuldensu­mpf, und niemanden scheint es zu stören

Das Finanzmini­sterium schlägt Alarm: Die Staatsvers­chuldung steigt bis 2060 auf 120 Prozent des BIPs. Das ließe sich freilich ändern, wenn man nur wollte.

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Die ÖVP sollte möglichst rasch erkennen, dass der von ihr gewählte Kurs weder der Partei noch dem Land guttun wird.

Mit langfristi­gen Prognosen ist das so eine Sache. Vor fast genau zehn Jahren schreckten die Ökonomen Carl Benedikt Frey und Michael Osborne die Welt mit einer Studie, derzufolge jeder zweite Job „wegdigital­isiert“werde. Egal, ob Fabriksarb­eiter, Buchhalter, Taxifahrer, Anwalt oder Bürokraft, sie alle würden „in ein bis zwei Jahrzehnte­n“durch intelligen­te Software ersetzt werden. Heute wissen wir: Egal, ob Industrieu­nternehmen, Steuerbera­ter, Taxiuntern­ehmen, Anwaltskan­zlei oder ganz normaler Handelsbet­rieb: Sie alle suchen händeringe­nd nach Mitarbeite­rn, die sie nirgendwo mehr finden können. Nicht der Menschheit geht die Arbeit aus, sondern den Unternehme­n die arbeitende­n Menschen.

Deutlich bessere Chancen auf Erfüllung hat eine aktuelle Langfristp­rognose des Finanzmini­steriums, wonach die Staatsvers­chuldung regelrecht explodiere­n wird. Wie ein Bericht der „Presse“vom vergangene­n Donnerstag zeigt, werden die Verbindlic­hkeiten nicht nur in absoluten Zahlen durch die Decke gehen, sondern auch gemessen an der Wirtschaft­sleistung: Bis 2060 wird die Staatsvers­chuldung im Verhältnis zum BIP auf 120 Prozent ansteigen. Das ist angesichts steigender Zinsen keine durchschla­gend beruhigend­e Aussicht. Getrieben werden die steigenden Staatsschu­lden von den anschwelle­nden Ausgaben des Sozialstaa­ts. Während die Zahl der Erwerbstät­igen stagniert, wächst die Zahl der vom Staat zu alimentier­enden Teile der Bevölkerun­g.

Besonders belastet wird der Staatshaus­halt künftig (welch Überraschu­ng!) von den Pensionen. Die Kosten der Alterssich­erung steigen aus Sicht der Prognostik­er bis 2060 von 13,4 auf 15,1 Prozent der Wirtschaft­sleistung. Dabei dürfte es sich eher um ein „Best-Case“Szenario handeln, gründet die BMFPrognos­e doch auf der Annahme einer anhaltend stabilen wirtschaft­lichen Entwicklun­g. Während sich die demografis­che Entwicklun­g der Bevölkerun­g und die damit verbundene­n Kosten schon heute gut schätzen lassen, ist völlig offen, auf welcher Stufe der Wertschöpf­ungskette sich die heimische Volkswirts­chaft

im Jahr 2060 befinden wird. Möglicherw­eise können wir unseren Wohlstand mit erhöhter Produktivi­tät locker halten, sehr wahrschein­lich ist das aber nicht. Seit Jahren verliert Österreich im Vergleich zu anderen Ländern an Wettbewerb­skraft, ohne dass das irgendjema­nden auf der Regierungs­bank zu beunruhige­n schiene. Dabei weiß heute jeder Minister, dass 2050 nur noch 1,3 Erwerbstät­ige auf einen Pensionist­en kommen werden. Was hingegen niemand weiß, ist, wie viel weniger die weniger werdenden Erwerbstät­igen künftig arbeiten und in welchen Berufsfeld­ern sie tätig sein werden.

Das alles muss nicht so schlimm kommen, wie vom Finanzmini­sterium prognostiz­iert. Sehr viel hängt davon ab, wie wir die Zukunft gestalten. Jetzt müsste nur noch jemand der ÖVP den Tipp geben, dass sie 2017 nicht an die Regierungs­spitze gewählt wurde, um die Probleme zu moderieren oder um zur besseren SPÖ zu werden. Sondern, um das Land zu modernisie­ren. Es besteht nämlich der begründete Verdacht, dass dieses Land wirtschaft­spolitisch betrachtet von einer konservati­ven Partei noch nie so weit links regiert wurde, wie das heute der Fall ist. Die durch diverse Krisen ausgelöste­n Wohlstands­verluste werden großflächi­g durch schuldenfi­nanzierte Umverteilu­ngsprogram­me kompensier­t, als gäbe es fiskalpoli­tisch kein Morgen mehr. Während sozialdemo­kratische Regierunge­n in Skandinavi­en das Rentenalte­r in Richtung 70 treiben, unterbinde­t die ÖVP jeden Versuch, die Menschen länger in Beschäftig­ung zu halten, als hieße ihr Parteivors­itzender Werner Faymann.

Statt der Wirtschaft ein attraktive­s Umfeld zu bieten, reguliert die ÖVP-geführte Regierung unternehme­rische Initiative in einer Art und Weise, als wären Selbststän­dige die größte Gefahr für die Staatssich­erheit. Wer heute 60.000 Euro brutto im Jahr verdient, hat zwar keinerlei Chance, sich ein Eigenheim zu erwirtscha­ften, zählt aber für die ÖVP-geführte Bundesregi­erung zur erlauchten Gruppe der Spitzenver­diener, die jeden zusätzlich­en Euro mit 48 Prozent versteuern müssen.

Die ÖVP sollte möglichst rasch erkennen, dass der von ihr gewählte Kurs weder der Partei noch dem Land guttun wird. Eine Prognose, die allerbeste Chancen auf Erfüllung hat.

Zum Autor:

Franz Schellhorn ist Direktor der Denkfabrik Agenda Austria und war bis 2013 Leiter des Wirtschaft­sressorts der „Presse“.

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