So machen wir den Markt kaputt
Wir spielen Politik, anstatt Entscheidungen zu treffen, wir spielen Administration, ohne irgendetwas bewirken zu können, wir trauen uns nicht, den Markt zu regulieren. Über die Krise der Institutionen – und wie wir sie überwinden können.
Die Marktwirtschaft ist ein bestechendes Konzept. Sie beruht darauf, dass jemand (idealerweise aus freiem Willen und Antrieb) eine Idee für eine Verbesserung zu irgendeinem Aspekt der Gesellschaft hat, und dass andere dieses Ergebnis ausprobieren. Wenn genügend Leute bereit sind, dafür zu bezahlen, lässt sich die Idee in ein Produkt oder eine Dienstleistung weiterentwickeln, mit der man dann ein „Business“aufziehen kann. Vom neuen Produkt profitieren im Idealfall alle: die Unternehmer, jene, die es produzieren und vertreiben, die Kunden, die eine Form von Nutzen haben bzw. das zumindest glauben, und letztlich auch der Staat, der durch Steuern an den Profiten mitschneidet. Dieser Mechanismus der Marktwirtschaft folgt dem größten Erfolgsrezept der Geschichte des belebten Universums: dem Prinzip der Evolution.
Aber es gibt Problemzonen: Wir wissen aus zahllosen Beispielen in der Geschichte, dass – wenn unreguliert – die Marktwirtschaft zu einem Monster mutieren kann. Verbesserungen für die einen können Verschlechterungen für andere bedeuten. Wenn im Lauf der Produktion, im Vertrieb, in der Verwendung oder dem Recycling von Produkten oder Dienstleistungen Menschenrechte verletzt werden (Kinderarbeit, Ausbeutung, vergiftete Arbeitsplätze etc.) oder Schäden entstehen am Eigentum anderer oder dem der Allgemeinheit (etwa an der Umwelt), kann man das nicht hinnehmen: Wenn etwa die Verbesserung der Lebensmittel durch Palmöl dazu führen sollte, dass Urwälder in Indonesien abgeholzt werden, muss regulierend eingegriffen werden, um die Existenz von zehn Milliarden Menschen nicht durch Klimakrisen zu gefährden. Logisch: Externalitäten, also Kosten, die unbeteiligte Personen treffen, müssen durch Steuern eingedämmt werden.
Weiters wird die Marktwirtschaft problematisch, wenn einige (meist große Firmen) andere (kleinere) dran hindern, innovativ zu sein, wenn also entweder Kartelle oder Monopole gebildet werden oder neue Ideen (in Form von Start-ups) gekauft, aber nicht aufgegriffen werden – also Verbesserungen im Keim erstickt werden. Wir wissen, was man dann macht: Man zerschlägt Kartelle und fördert Talente, man verbietet Monopole und erfreut sich an der Pluralität und Innovationskraft der Märkte. Logisch: Die Antikartellgesetze lösen das Problem. Das Phänomen des Akkumulationsprozesses des Kapitals ist noch ein Problemfeld der Marktwirtschaft, dass also diejenigen, die viel haben, mehr bekommen als die, die wenig haben – die berühmte Schere zwischen Arm und Reich, die in Friedenszeiten ja bekanntlich meist aufgeht. Früher oder später birgt das die Gefahr sozialer Spannungen, die sich in Unruhen oder Kriegen entladen können. Auch hier wissen wir, wie man das Problem löst. Logisch: Umverteilung durch Steuern aller Art.
Wenn sich eine Verbesserung oder Innovation durchsetzt, heißt das natürlich auch, dass das Vorgängerprodukt außer Mode gerät und schließlich vom Markt verschwindet. Der in der Ukraine lehrende Österreicher Joseph Schumpeter nannte das „kreative Zerstörung“. In diesem Fall muss man dafür sorgen, dass diejenigen, die im Produktionsprozess nicht mehr gebraucht werden, aufgefangen werden und wieder sinnvolle Arbeit finden. Logisch: Der Staat hilft beim Auffangen.
Auch logisch ist, dass es Verbote geben muss, wenn Produkte oder Dienstleistungen unethisch sind, etwa Software zum Ausspionieren persönlicher Daten. Im Wiederholungsfall schließt man das entsprechende Unternehmen, das diese Produkte herstellt oder verwendet. Jetzt gibt es vollkommen sinnlose, aber schädliche Produkte, die Ressourcen verschwenden: SUV mit 200 PS und mehr sind in gewissem Sinne sinnlose Produkte, die weit mehr Ressourcen wie etwa Öl verbrennen, als zu irgendeinem Zweck – außer den vermeintlichen Status zu signalisieren – notwendig ist. Also muss man Parkplätze teuer machen, die Mineralölsteuer erhöhen, Carbon Pricing umsetzen etc. Logisch.
Die Marktwirtschaft selbst muss auch geschützt werden: Jenseits unseres Landes oder jenseits der EU oder jenseits der westlichen Welt gibt es (böse) Mächte, die unsere Marktanteile erobern wollen, was unsere Wirtschaft schwächen und uns ärmer machen würde. Daher schützen wir unsere lokale Marktwirtschaft mit Zöllen, Subventionen und wenn nötig sogar mit dem Militär. Alles logisch.
Wir haben seit der Industriellen Revolution gelernt und wissen eigentlich, wie wir mit den bekannten Problemen und Gefahren der Marktwirtschaft und des Kapitalismus umgehen, wie wir ihn zähmen können, damit er keine zerstörerische Dynamik entfaltet. Dafür haben wir den Großteil unserer staatlichen und zivilen Institutionen geschaffen und entwickelt: Umwelt-, Landwirtschafts-, Klimaschutzministerien garantieren die Basisversorgung mit Nahrungsmitteln und Medikamenten und schützen uns vor gesundheitsschädlichen Produkten. Arbeits-, Sozial-, Finanzministerien sorgen für soziale Gerechtigkeit und suchen nach Möglichkeiten für jene, die vom Wegfall der Arbeit betroffen sind. Bildungsministerien stellen sicher, dass genügend kreative Innovatoren ausgebildet werden und Menschen diese Innovationen umsetzen und in die Bevölkerung tragen können. Sie antizipieren, welche Produkte und Dienstleistungen in den nächsten Jahrzehnten wichtig sein werden und adjustieren entsprechend die Bildungssysteme nach.
Wettbewerbshüter, Justizministerien, Gerichte, Zentralbanken, Wirtschaftskammern
und Sozialpartner schützen uns vor Kartellbildungen und zerschlagen Monopole. Gesundheitsministerien stellen sicher, dass Pandemien so weit unter Kontrolle sind, dass Arbeitskräfte nicht in Lockdowns herumsitzen, Verteidigungsministerien, Bundesheere und Krisenstäbe schützen die Infrastrukturen unserer Staaten und garantieren dies mit der umfassenden Überwachung der strategisch wichtigen Produkte im Land sowie einer umsichtigen Cyberabwehr von Wirtschaftsspionage und disruptiven Attacken gegen Firmen, Institutionen und Lieferketten. Das und viel mehr garantieren unsere Institutionen, dafür haben wir sie. Wirklich?
Haben wir Amazon gezähmt?
Glaubt eigentlich noch irgendwer, dass unsere Institutionen das wirklich leisten? Nie zuvor gab es Monopole mit solcher Macht. Wenn man, egal was man macht, nicht mehr um Google oder Amazon herumkommt, haben unsere Institutionen diese Marktmacht dann gezähmt und zerschlagen? Haben unsere Institutionen den Verbrauch an Primärenergie im vergangenen Jahrzehnt gesenkt, oder steigt der Verbrauch von fossilen Brennstoffen weltweit weiter an? Sind unsere Lieferketten sicher? Weiß jemand, wie abhängig wir sind und wie anfällig unsere zentrale Infrastruktur ist? Unter welchen Umständen ist die Basisversorgung gefährdet? Haben wir Pandemien im Griff? Hat jemand den Überblick oder zumindest Daten, die einen Überblick ermöglichen würden? Geht die Schere zwischen Arm und Reich auf oder zu? Warum fühlen sich immer mehr nicht mehr vertreten und sind vom Staat und seinen Institutionen enttäuscht?
Wir befinden uns in einer veritablen institutionellen Krise. Institutionen werden zunehmend unfähig, die Aufgaben zu erfüllen, die man von ihnen erwartet. Zum einen sind diese Aufgaben heute derart komplex und global vernetzt, dass sie schlicht nicht mehr zu bewältigen sind. Der andere Teil der institutionellen Krise aber ist selbst verschuldet. Zu lange hat man darauf vertraut, dass Institutionen, die im 19. und 20. Jahrhundert funktioniert haben, auch heute
So sollte es sein: Man zerschlägt Kartelle und fördert Talente, verbietet Monopole und erfreut sich an der Innovationskraft der Märkte.