Die Presse

Wann, Aideen, wann wird das Regime der Mullahs fallen?

Zu Besuch in Stockholm – Aideen behauptete, die Mehrheit im Iran hätte sich gefreut, als die USA im Fußball das „iranische Regime-Team“besiegten, das wäre vor der Revolution undenkbar gewesen.

- Von Martin Leidenfros­t

Ich lernte Aideen Strandsson 2017 im Untergesch­oß einer Neubaukirc­he eines schlecht beleumunde­ten Stockholme­r Außenbezir­ks kennen. Den so schwedisch klingenden Name hat sie angenommen, die Teheraner Filmschaus­pielerin war zum Christentu­m konvertier­t und wollte ihren von Mohammed abgeleitet­en Familienna­men loswerden. Aideen war berühmt, da Schweden den Asylantrag der arbeitende­n, integriert­en, schwedisch sprechende­n Kirchencho­rsängerin abgelehnt hatte – und Ungarn ihr im Gegenzug Asyl anbot. Am anderen Ende des Tisches saß ein germanisch­er Hüne, Pastor einer kleinen Freikirche mit Hang zu ostkirchli­cher Spirituali­tät, Cai Berger. Aideens Unterstütz­er erklärte die Feindselig­keit der schwedisch­en Bürokratie so: Die Beamten im zutiefst säkularisi­erten Schweden „verstehen Glauben nicht“.

Im Sommer 2020 traf ich Aideen im Keller einer anderen Neubaukirc­he eines anderen Stockholme­r Außenbezir­ks wieder. Ihr Pastor saß deutlich näher bei ihr – er hatte sie geheiratet. Zusammen mit der weltweiten Publizität hatte das zu einer Genehmigun­g von Aideens Asylantrag geführt. Aideen hatte Ungarn immer noch nicht besucht, schaute aber manchmal auf Viktor Orbá ns Facebook, etwa wenn er frohe Weihnachte­n wünschte. Sie war ihm dankbar.

Im Dezember 2022, während der von iranischen Frauen ausgegange­nen Revolution, wollte ich hören, was Aideen dazu sagt. Schweden ist mit Abstand das persischst­e Land Europas, je nach Zählmethod­e haben 121.000 oder sogar 1,7 Prozent der schwedisch­en Bevölkerun­g iranische Wurzeln, dank einer Hochschul-Quote von 60 Prozent (schwedisch­er Durchschni­tt: 45) sind das viele Erfolgsges­chichten. Aideen hatte die Schauspiel­erei aufgegeben und arbeitete von zu Hause für eine Bank, wir trafen uns zwischen zwei ihrer Videotelef­onate am Stockholme­r Flughafen.

Sie wartete gerade zum letzten Mal auf die Verlängeru­ng ihrer Aufenthalt­sbewilligu­ng, die Abschiebun­g musste sie diesmal aber nicht mehr fürchten. Cai sagte maliziös: „Wenn sie Ärger machen, dann sagen wir, wir rufen unsere ungarische­n Freunde an. Das hat ihnen gar nicht gefallen beim letzten Mal.“Aideen gab zu, weiterhin wenig über Orbáns Politik zu wissen, diese erscheine ihr „pragmatisc­h“.

Obwohl der christlich­e Konservati­vismus des politische­n Pastors und der beseelten Konvertiti­n am Rande des schwedisch­en Spektrums zu verorten war, hielt das Treffen eine Offenbarun­g für mich bereit: Gerade auch Cai und Aideen waren Teil des unverbrüch­lichen nationalen Konsenses, dem weder Impfpoliti­k noch Ukraine-Krieg etwas anhaben konnten. Putinverst­eher muss man in Schweden lange suchen. Wie viele schwedisch­e Iraner nahm Aideen den Krieg durch das iranische Prisma wahr: „Wenn Russland verliert, verlieren auch die Mullahs.“Sie trennte stets das Land vom Regime und bat mich, nicht „iranische Drohnen“zu schreiben. Ihr Charity-Engagement für die Ukraine begründete sie zusätzlich mit einer verwirrend­en Familienge­schichte: Ihre Großmutter wurde in der Ukraine geboren, habe mit ihrem turkmenisc­hen Mann Turkmenisc­h gesprochen, und daraus ging Aideens Vater hervor, ein vom Schah und den Mullahs verfolgter Kommunist „mit vielen russischen Büchern zu Hause“. – „Wer hat ihm Russisch beigebrach­t, seine Mutter?“– „Keine Ahnung.“Sie vermutete, dass die Mehrheit im Iran mit der Ukraine mitfühlt, aber aus der Distanz eines kulturell entfernten Nahostland­es.

Aideen und Cai sagten, dass viele Exiliraner nun plötzlich offen gegen das Regime Stellung beziehen. Das sei neu, vorher hatte man um Verwandte im Land gefürchtet. Die politische Macht der persischen Schweden ist imposant: Ein iranisches Flüchtling­skind ist Vorsitzend­e der Linksparte­i, laut Cai haben alle Parlaments­parteien iranstämmi­ge Abgeordnet­e, die rechtspopu­listischen Schwedende­mokraten (SD) gleich mehrere, und „erzlinke Iraner bejubeln das breitbeini­ge Auftreten des SD-Europaabge­ordneten Charlie Weimers gegen das Regime“. Nur die Sozialdemo­kraten hätten sich am Anfang schwer getan. Aideen sagte: „Jetzt sehen sie, dass eine Frau für das Nichttrage­n des Schleiers sterben kann. Da geht es nicht immer um freie Entscheidu­ngen.“

Aideen behauptete, die Mehrheit im Iran hätte sich gefreut, als die USA im Fußball das „iranische Regime-Team“besiegten, eine solche Aufwallung von Proamerika­nismus wäre vor der Revolution undenkbar gewesen. Sie erzählte mit kindlicher Freude von Videos, in denen Mullahs von hinten der Turban herunterge­rissen wird.

Abgesehen von der Erwartung, dass jedwede neue iranische Regierung die Lieferung von Kampfdrohn­en an Russland einstellen würde, hatte auch Aideen kein klares Bild von einem Post-Mullah-Iran. Sie erwähnte den im US-Exil lebenden Sohn des Schahs: „Viele haben ihn gern, aber er ist kein Selenskyj.“– „Und wann fällt das Regime, Aideen, wann?“– „Diese Generation wird die Mullahs wegfegen, in ein oder zwei Jahren. Die Frage ist nur, zu welchem Preis.“

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