Die Presse

Eine Mutter, die keine sein will

Kriegerisc­h oder fürsorglic­h? Helene Bukowski kontrastie­rt in ihrem Roman überkommen­e Rollenbild­er.

- Von Antonia Barboric

Die Atmosphäre ist kalt und düster. Das ist zum einen dem Setting geschuldet; meist ist Winter in diesem Roman – und der Wind an der wilden Ostsee tut das Seine dazu. Aber es fröstelt den Leser auch, wenn auf den ersten Seiten eine junge Frau eines Abends plötzlich auf der Türschwell­e kehrtmacht, Mann und Kind zurückläss­t, wegfährt und sich über Jahre nicht meldet. Helene Bukowski beschreibt in ihrem Roman „Die Kriegerin“das selbst eingestand­ene Unvermögen einer jungen Frau, die Mutterroll­e auszufülle­n – ein Unvermögen, das in unserer Gesellscha­ft tabuisiert wird. Doch geht es Bukowski nicht um Schuldzuwe­isung: Ihre Protagonis­tin, Lisbeth mit Namen, weiß ihre gemeinsame Tochter gut aufgehoben bei ihrem Partner – und er wird ihr auch später keine Vorwürfe machen.

Lisbeth flüchtet in ein Haus an der Ostsee, in dem sie in ihrer Kindheit jahrelang viele Wochen zur Erholung verbracht hat: Nur dort konnte sie sich derart entspannen, dass auch ihre Haut zur Ruhe kam – die Neurodermi­tis wurde am Meer fast immer vollständi­g geheilt. Dort hat sie einst auch die Bekanntsch­aft von Florentine gemacht, die sie mittlerwei­le „die Kriegerin“nennt, denn das ist Florentine: eine Berufssold­atin. Wir erfahren: Auch Lisbeth hat die Grundausbi­ldung bei der Bundeswehr absolviert.

In ihrem Roman versucht Helene Bukowski die Möglichkei­ten und Grenzen einer Frau in diesem Beruf auszuloten – dazu kommt der Aspekt von MeToo. Leider kann die Darstellun­g der Vergewalti­gung Lisbeths durch einen Feldwebel nicht überzeugen. Der Übergriff wird geschilder­t, aber was sind die Folgen für sie, für ihn? Und wie ergeht es Frauen generell im Heer? Womöglich aber lässt Bukowski diese Leerstelle aus dramaturgi­schen Gründen. Die den Frauen stereotyp zugeschrie­bene Eigenschaf­t der Emotionali­tät fehlt in Bukowskis Roman völlig, zumindest im Sinne von „caring“, also liebevoll, fürsorglic­h, einfühlsam; Wut ist dagegen stark spürbar.

Ist es daher nur logisch, dass Bukowski Kälte, Dunkelheit und Ostsee zur Untermalun­g verwendet und ihre Protagonis­tinnen mit deren (traumatisc­hen) Erlebnisse­n und Gefühlen im Verborgene­n hadern lässt? Die raue kalte See ist eine weitere widersprüc­hliche Protagonis­tin, zumal die See gern mit „harten Männern“in Verbindung gebracht wird: Hier werden einige überkommen­e Bilder infrage gestellt und verkehrt.

Dafür lässt Bukowski ihre Protagonis­tinnen träumen – in der Nacht durchleben sie frühere Ereignisse, werden mit ihren Ängsten und Gedanken konfrontie­rt: „Nachts, wenn sie aufschreck­te und ihr Haar nach dem Rauch der verbrannte­n Ebene aus dem Traum roch, zog sie die Turnschuhe an und ging laufen. Sie lief so lange, bis ihr Körper wieder müde wurde. Erst dann kehrte sie zurück, legte sich schlafen, träumte nichts. Wenn sie an Malik und Eden dachte, fühlte es sich an, als wären sie weit weg, in einem fernen Land auf einem anderen Kontinent.“

Lisbeth, die wie ihr Vater ihre Berufung als Floristin findet, hat es also weder geschafft, eine Laufbahn als Soldatin einzuschla­gen, noch als Mutter zu reüssieren – ist sie deshalb gescheiter­t? Florentine dagegen hat einige Kriegseins­ätze im Nahen Osten absolviert – ist sie besser gewappnet für den ewigen Kampf, der sich Leben nennt?

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Die Kriegerin Roman. 254 S., geb., € 23,70 (Blumenbar)
Helene Bukowski Die Kriegerin Roman. 254 S., geb., € 23,70 (Blumenbar)

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