Eine Mutter, die keine sein will
Kriegerisch oder fürsorglich? Helene Bukowski kontrastiert in ihrem Roman überkommene Rollenbilder.
Die Atmosphäre ist kalt und düster. Das ist zum einen dem Setting geschuldet; meist ist Winter in diesem Roman – und der Wind an der wilden Ostsee tut das Seine dazu. Aber es fröstelt den Leser auch, wenn auf den ersten Seiten eine junge Frau eines Abends plötzlich auf der Türschwelle kehrtmacht, Mann und Kind zurücklässt, wegfährt und sich über Jahre nicht meldet. Helene Bukowski beschreibt in ihrem Roman „Die Kriegerin“das selbst eingestandene Unvermögen einer jungen Frau, die Mutterrolle auszufüllen – ein Unvermögen, das in unserer Gesellschaft tabuisiert wird. Doch geht es Bukowski nicht um Schuldzuweisung: Ihre Protagonistin, Lisbeth mit Namen, weiß ihre gemeinsame Tochter gut aufgehoben bei ihrem Partner – und er wird ihr auch später keine Vorwürfe machen.
Lisbeth flüchtet in ein Haus an der Ostsee, in dem sie in ihrer Kindheit jahrelang viele Wochen zur Erholung verbracht hat: Nur dort konnte sie sich derart entspannen, dass auch ihre Haut zur Ruhe kam – die Neurodermitis wurde am Meer fast immer vollständig geheilt. Dort hat sie einst auch die Bekanntschaft von Florentine gemacht, die sie mittlerweile „die Kriegerin“nennt, denn das ist Florentine: eine Berufssoldatin. Wir erfahren: Auch Lisbeth hat die Grundausbildung bei der Bundeswehr absolviert.
In ihrem Roman versucht Helene Bukowski die Möglichkeiten und Grenzen einer Frau in diesem Beruf auszuloten – dazu kommt der Aspekt von MeToo. Leider kann die Darstellung der Vergewaltigung Lisbeths durch einen Feldwebel nicht überzeugen. Der Übergriff wird geschildert, aber was sind die Folgen für sie, für ihn? Und wie ergeht es Frauen generell im Heer? Womöglich aber lässt Bukowski diese Leerstelle aus dramaturgischen Gründen. Die den Frauen stereotyp zugeschriebene Eigenschaft der Emotionalität fehlt in Bukowskis Roman völlig, zumindest im Sinne von „caring“, also liebevoll, fürsorglich, einfühlsam; Wut ist dagegen stark spürbar.
Ist es daher nur logisch, dass Bukowski Kälte, Dunkelheit und Ostsee zur Untermalung verwendet und ihre Protagonistinnen mit deren (traumatischen) Erlebnissen und Gefühlen im Verborgenen hadern lässt? Die raue kalte See ist eine weitere widersprüchliche Protagonistin, zumal die See gern mit „harten Männern“in Verbindung gebracht wird: Hier werden einige überkommene Bilder infrage gestellt und verkehrt.
Dafür lässt Bukowski ihre Protagonistinnen träumen – in der Nacht durchleben sie frühere Ereignisse, werden mit ihren Ängsten und Gedanken konfrontiert: „Nachts, wenn sie aufschreckte und ihr Haar nach dem Rauch der verbrannten Ebene aus dem Traum roch, zog sie die Turnschuhe an und ging laufen. Sie lief so lange, bis ihr Körper wieder müde wurde. Erst dann kehrte sie zurück, legte sich schlafen, träumte nichts. Wenn sie an Malik und Eden dachte, fühlte es sich an, als wären sie weit weg, in einem fernen Land auf einem anderen Kontinent.“
Lisbeth, die wie ihr Vater ihre Berufung als Floristin findet, hat es also weder geschafft, eine Laufbahn als Soldatin einzuschlagen, noch als Mutter zu reüssieren – ist sie deshalb gescheitert? Florentine dagegen hat einige Kriegseinsätze im Nahen Osten absolviert – ist sie besser gewappnet für den ewigen Kampf, der sich Leben nennt?