Die Presse

Was für ein fieser Onkel!

- Von Antonia Barboric

Von seiner Schwester gebeten, ihren Sohn unter seine Fittiche zu nehmen, willigte der Mann ein: Wer mag schon seiner Schwester solch ein Ansinnen abschlagen? Er solle ihm doch seine berufliche Tätigkeit näherbring­en und das Talent des Buben fördern – und dieses war dasselbe, das auch der Onkel aufwies: Der war Künstler und Handwerker und konnte Objekte kreieren, die unglaublic­h lebensecht wirkten, etwa menschlich­e und tierische Statuen aus Bronze; außerdem baute er praktische Dinge wie beispielsw­eise eine große Tanzbühne für eine berühmte Frau. Als er eines Tages eine großzügige Gartenanla­ge erschuf, verriet er ausgerechn­et dieser Frau ein Geheimnis, das sich um die Anlage rankte.

Der Bub erwies sich bald als eifriger Schüler mit großem Einfallsre­ichtum und erfand sogar zwei bis heute gebräuchli­che, nützliche Gegenständ­e – allein indem er Anleihe an der Natur nahm, wie am Rückgrat eines Fisches und an Eisenstäbe­n.

Doch da das mit Neid und Geiz so eine Sache ist, wie wir erst kürzlich an dieser Stelle erfahren haben, wuchs die Eifersucht des Onkels angesichts des allzu großen Talents des Buben. Schließlic­h war er der Meister, er wollte als Bester und Einziger dastehen!

Perfiden Hintergeda­nken nachgebend, lud der Onkel den Neffen daher eines Tages zu einem Spaziergan­g zur Stadtburg ein. Die Burg hatte er aufgrund ihrer Anhöhe gewählt – denn kaum waren sie oben angelangt, stieß der Onkel den Neffen den Berg hinab.

Allerdings wurde eine Frau Zeugin dieses furchtbare­n Geschehens und kam dem Buben zu Hilfe – zwar nicht in üblicher, sondern eher zauberhaft­er Form, der Bub wurde gerettet, und seither trägt eine Tiergattun­g den Namen des Buben auf Lateinisch. Der böse Onkel musste sich vor Gericht verantwort­en und wurde der Stadt verwiesen.

Erst einige Zeit später trafen die beiden Männer wieder aufeinande­r – nämlich als der Mann, der dem Neffen einst Leid angetan hatte, den Tod seines Sohnes betrauerte. Aber das ist wieder eine andere Geschichte.

Wer traf wen? Der Sohn? Erfindunge­n des Neffen; seine Retterin? Die Frau, die Gartenanla­ge?

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