Chinas Öffnung: Fluch und Segen für die Lieferketten
Welthandel. Engpässe bei Chips werden weniger, und Chinas Wirtschaft ächzt nicht mehr unter Pekings NullCovid-Politik. Naht das Ende der Lieferkettenprobleme?
Wien. Im Dezember berichteten bereits nur noch 50,7 Prozent der vom Deutschen IfoInstitut befragten Unternehmen, dass bestellte Vorprodukte und Materialien schwer zu bekommen seien. Im November waren es rund 59,3 Prozent, im Oktober und September lag der Anteil noch höher. Grund zur Hoffnung, dass die Lieferkettenprobleme bald überwunden sind? „Die Presse“mit einem Lagebericht.
1 Warum lässt die Chipknappheit in der Elektronikbranche langsam nach?
Die Zeit der lähmenden Chipknappheit ist vorbei. Vor einem Jahr habe man auf einige Halbleiter bis zu zwölf Monate warten müssen, sagte Dave Rogers von Elektronikkonzern Harman bei der Technikmesse CES in Las Vegas. Jetzt sei die Wartezeit auf rund ein halbes Jahr gesunken. Was allerdings immer noch weit mehr ist als die vor der Pandemie üblichen zwei bis drei Monate. Zwar haben Chiphersteller die Produktion erhöht, der Hauptgrund für die Entspannung liegt aber auf der Konsumentenseite.
Während der Pandemie war die Nachfrage etwa nach Laptops, Smartphones und Unterhaltungselektronik sprunghaft angestiegen. Grund waren einerseits Lockdowns, die etwa Urlaube und Restaurantbesuche unmöglich machten. Gleichzeitig haben Regierungen weltweit die Kaufkraft der Haushalte gestützt. Halbleiter waren zeitweise so knapp, dass etwa mehrere Autohersteller zeitweise die Bänder stoppen mussten.
Die Nachfrage etwa nach PCs und anderen Elektrogeräten ließ inzwischen stark nach. Sony etwa gab in Las Vegas bekannt, dass die wegen der Chipkrise jahrelang schwer erhältliche Spielekonsole Playstation 5 wieder besser verfügbar sein werde.
Günstiger seien die Halbleiter allerdings nicht geworden, sagen Branchenvertreter. Keine Entspannung gebe es auch beim Transport der Elektronik von den Häfen, was unter anderem auch an den hohen Dieselpreisen liege. Obwohl die Chipproduktion in Europa und den USA ausgebaut wird, wird noch der Großteil der leistungsstärksten Chips in Asien hergestellt, der Weltmarktführer TSMC sitzt in Taiwan.
2 Bringt Chinas Abkehr von „Zero Covid“dem Welthandel die erhoffte Entspannung?
Das könnte man meinen, aber die Situation in den Häfen bleibt angespannt. Die italienische Wirtschaftszeitung „Il sole 24 ore“sieht China sogar auf einen „perfekten Sturm“zusteuern. Haben vormals Lockdowns wichtige Häfen oder ganze Industriemetropolen lahmgelegt, droht nun das Infektionsgeschehen selbiges zu tun. Zum ersten Mal seit Pandemieausbruch gelten bei den bevorstehenden Neujahresfeierlichkeiten – am 22. Jänner beginnt das Jahr des Wasserhasen – keine Reisebeschränkungen. Was bedeutet, dass das Virus sich auch in entlegenen Gebieten ausbreiten wird. Nur 57,9 Prozent der Erwachsenen haben eine Auffrischungsimpfung, von den unter Achtzigjährigen sind nur 42,3 Prozent geimpft. Es drohen Produktionsausfälle und Staus in Häfen – samt Auswirkungen auf den Welthandel.
So ging die chinesische Industrieproduktion im Dezember trotz gesundheitspolitischer Lockerung zurück. In Qingdao, dem sechstgrößten Hafen der Welt, ist aktuell wegen Covid nur ein Viertel der Belegschaft im Einsatz. Auch in Shanghai, dem weltweit wichtigsten Containerhafen, kommt es aufgrund der Infektionswelle zurzeit zu immer mehr Stornierungen. Die Überlastung der Häfen hat seit der Lockerung zugenommen. Laut Kiel Trade Indicator kommt es aktuell vor allem in den Häfen von Shanghai und Zhejiang zu Staus. Die dort wartenden Schiffe entsprechen in etwa drei Prozent der weltweiten Containerkapazität.
3 Wie bedeutend ist China für die europäische Industrie?
Die Bedeutung ist groß, aber sie wird weniger. Die Industrie hat auf die Erfahrungen der Pandemie reagiert, indem Abhängigkeiten reduziert und Lieferketten diversifiziert wurden. Trotzdem würden flächendeckende Engpässe in Chinas Fabriken und Häfen, so die Wirtschaftsweise Ulrike Malmendier zum „Handelsblatt“, Preise für Rohstoffe und Vorprodukte erneut explodieren lassen – und für zusätzlichen Preisauftrieb sorgen.