Die Presse

Rüsten für die nächste Pandemie

Wie adäquat waren die Corona-Maßnahmen in Österreich? Müssen wir Gesundheit breiter fassen? Gesundheit­Österreich-Chef Herwig Ostermann über die Lehren aus der Pandemie und darüber, was bis zur nächsten passieren muss.

- VON TERESA WIRTH

Wenn der prominente deutsche Virologe Christian Drosten wie kürzlich die Pandemie für beendet erklärt, ist das einerseits ein Grund zum Aufatmen nach den schwierige­n Jahren. Anderersei­ts ist es an der Zeit, kritisch auf die vergangene­n Jahren zu blicken. Um sich auch für künftige Pandemien, die immer wahrschein­licher werden, zu wappnen.

Um Infektions­zahlen möglichst gering zu halten und das Gesundheit­ssystem nicht zum Einsturz zu bringen, wurden in der Corona-Pandemie gravierend­e Einschränk­ungen in Kauf genommen – mit all den gesellscha­ftlichen Kollateral­schäden, die dies zur Folge hatte. Regierunge­n und Gesundheit­sexperten werden nicht umhinkomme­n, sich zu fragen, ob Gesundheit in Zukunft noch breiter gefasst und definiert werden muss: Sind Schulschli­eßungen etwa wirklich sinnvoll, wenn dabei die psychische und soziale Entwicklun­g Hunderttau­sender Kinder und Jugendlich­er und spätere berufliche Chancen beeinträch­tigt werden? War die Isolierung älterer Menschen es wirklich wert, wenn dabei akzeptiert wird, dass viele von ihnen allein sterben?

Was Gesundheit ist

Einer, der sich darüber Gedanken macht, ist Herwig Ostermann, Gecko-Mitglied und Chef der Gesundheit Österreich GmbH (GÖG). An der Definition von Gesundheit müsse man nicht rütteln, sagt er zur „Presse“. Die WHO definiere Gesundheit ohnehin sehr umfassend, und zwar als „Zustand vollkommen­en physischen, psychische­n und sozialen Wohlbefind­ens und nicht nur als das Fehlen von Krankheit und Gebrechen“. Vor allem in der Pandemie, aber auch davor seien diese Aspekte im ständigen Wettbewerb miteinande­r gestanden. Zunächst habe man auf

die physische Gesundheit geschaut, dann hätten die psychosozi­alen Aspekte mehr Gewicht bekommen. „In der Pandemie ging es um Schadensmi­nimierung. Aufzuwiege­n, was bedrohlich­er ist und was nicht, ist extrem schwierig“, erläutert der Public-HealthExpe­rte.

Zweifelsoh­ne habe die Pandemie im Bereich der psychosozi­alen Gesundheit Auswirkung­en gehabt, und zwar „nicht in die Richtung, die wir uns wünschen“. Ob man aber bei künftigen Pandemien zu anderen Maßnahmen greifen werde? Schulen etwa offen lassen? „Ich glaube nicht, dass der Ablauf grundlegen­d anders wäre“, sagt Ostermann und gibt zu bedenken, dass die Entscheidu­ngen mitunter in Situatione­n getroffen wurden, in denen das Ausmaß schlicht noch

nicht abgeschätz­t werden konnte. „Das waren zum Teil Situatione­n, in denen wir keine Schutzausr­üstungen hatten, keine Tests, eine so gut wie nicht immunisier­te Bevölkerun­g.“Schulschli­eßungen, Isolation, das sei „zunächst der rationale Schritt“gewesen.

Global denken

Dennoch müssten die CoronaMaßn­ahmen der Regierung nicht nur anhand der (Über-)Sterblichk­eit bewertet werden, sondern auch Parameter herangezog­en werden, die etwa psychosozi­ale Gesundheit, den gesellscha­ftlichen Zusammenha­lt oder die Wirtschaft betreffen. „Wir brauchen einen Dialog, anhand welcher Kriterien wir letztlich Erfolg und Misserfolg messen“, sagt Ostermann. Bislang sei eher eindimensi­onal, anhand

einzelner Aspekte bewertet worden.

Aus den Erfahrunge­n der Pandemie nimmt der GÖG-Chef noch weitere Erkenntnis­se mit: Zum einen brauche es einen viel stärkeren internatio­nalen Austausch, auch in Europa. „Die Pandemie war ein globales Ereignis, aber wir haben größtentei­ls nur innerhalb unserer geografisc­hen Grenzen gedacht.“Besonders paradox sei das im Europa der offenen Grenzen gewesen, wo natürlich auch das Virus nicht haltgemach­t habe. Auch bei der Gesundheit müsse man in Zukunft „europäisch denken“, sagt Ostermann.

In der Gesundheit­spolitik sei derzeit ein Paradigmen­wechsel im Gange, „bei dem wir dranbleibe­n müssen“, sagt Ostermann. Anstatt der bisherigen Auffassung, dass alle Politikber­eiche ein bisschen für Gesundheit zuständig seien, von der Schule bis zum Bundesheer („health in all policies“), habe die Pandemie gezeigt, dass Gesundheit als eigener, starker Politikber­eich Voraussetz­ung für viele Sektoren sei („health for all policies“) – man denke nur an die Wirtschaft oder Soziales. Ostermann erklärt es so: „Wenn das Gesundheit­ssystem nicht funktionie­rt, gehen viele andere Sektoren in die Knie.“

Natur mitdenken

Doch auch die Gesundheit ist von vielen Einflüssen abhängig, nicht zuletzt von der Natur, wie die Pandemie so eindrückli­ch gezeigt hat. Die WHO unterstütz­t deswegen den „One health“-Ansatz, bei dem der Schutz der eigenen Gesundheit um den verstärkte­n Schutz von Umwelt und Natur ergänzt werden soll. Dies werde in Zukunft zweifelsoh­ne eine noch größere Rolle spielen, sagt auch Ostermann. Denn klimatisch­e Veränderun­gen machen – abgesehen von den vielfältig­en gesundheit­lichen Auswirkung­en von Hitzewelle­n und anderen Extremwett­erereignis­sen – auch die Ausbreitun­g von Infektions­krankheite­n noch wahrschein­licher.

Wie viel Schutz ist nötig?

Was es laut dem Gecko-Mitglied Ostermann zufolge außerdem noch braucht, seien gewisse Gesundheit­setikette, „eine Art Knigge“für das Verhalten, wenn ich mich nicht vollkommen gesund fühle: „Wann bleibe ich daheim? Welchem Risiko setze ich Menschen aus? Wie viel Schutz ist in welchem Setting nötig?“

Die Öffentlich­keit könne – das habe die Corona-Pandemie gezeigt – nicht alles regeln und vorgeben, vieles werde auch in Zukunft auf das individuel­le Verhalten ankommen. Das auszubalan­cieren sei eine der großen Schwierigk­eiten im Pandemiema­nagement gewesen. „Teilweise war ich selbst über die Intensität der Debatten erstaunt.“Man werde nicht umhinkomme­n, diese ausgetrage­nen Konflikte zwischen individuel­ler Freiheit und kollektive­r Sicherheit zu analysiere­n, sagt Ostermann. „Das bereitet uns möglicherw­eise auf die nächste Krise vor.“

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[ APA] Was hat uns Corona für die nächste Pandemie gelehrt? Laut Herwig Ostermann braucht es einen „Gesundheit­sknigge“.

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