Die Presse

Dunkle Gewitterwo­lken für 2023

Wer das Börsenjahr 2023 vorhersage­n will, darf Ökonomen ignorieren und einen Blick auf die Renditekur­ve und die Aussagen der Fed werfen.

- VON STEFAN RIECHER

Die jährlichen Börsenprog­nosen der Großbanken sind langweilig. In der Regel sagen die Ökonomen einstellig­e Zugewinne vorher. Das taten viele von ihnen Anfang 2022 und das tun sie auch Anfang 2023. Im Durchschni­tt sehen die Experten den S&P-500-Index laut Bloomberg-Berechnung­en zu Jahresende bei 4009 Punkten und einem mittleren einstellig­en Plus. Interessan­t ist heuer allerdings die Bandbreite, sie reicht von 3400 bis 4500 Punkten, einige wenige Institute sagen also Verluste beziehungs­weise zweistelli­ge Gewinne vorher.

Eine ordentlich­e Prognose über einen kurzen Zeitraum von einem Jahr ist de facto unmöglich. Intelligen­te Anleger denken in Perioden von mehreren Jahren, alles andere ist Spekulatio­n. Wer mit einem entspreche­nden Zeithorizo­nt ans Werk geht, kann auch im aktuellen Umfeld investiere­n. Immerhin liegt der S&P-500-Index rund 20 Prozent unter seinem Allzeithoc­h. Sehr wahrschein­lich wird er in fünf oder zehn Jahren höher als heute notieren.

Orientieru­ng an den Anleihen

Will ein Investor trotzdem versuchen, lediglich das Jahr 2023 vorherzusa­gen, kann er sich am USAnleihem­arkt orientiere­n.

Dieser gilt als der entwickelt­ste Markt der Welt und wer die Zeichen richtig zu deuten weiß, kann gewisse Markttrend­s vernünftig einschätze­n. Nimmt man dann auch noch die aktuellen Zinsprogno­sen und die Aussagen der Notenbank Fed hinzu, lässt sich ein gutes Bild für die nächsten Monate zeichnen.

Die Kurzzusamm­enfassung: Es sah schon einmal deutlich besser aus. In der Tat wäre es nahezu eine Sensation, wenn die US-Konjunktur − und mit ihr die globale Wirtschaft − heuer nicht in eine Rezession schlittern würde. Dies sagt der Anleihemar­kt in Form einer inversen Renditekur­ve vorher.

Davon spricht man, wenn die Renditen für kurzfristi­ge USStaatsan­leihen höher liegen als jene für langfristi­ge. Die Logik dahinter: In normalen Zeiten verlangen Investoren für zehnjährig­e Treasuries eine höhere Rendite als für zweijährig­e, weil die Unsicherhe­it über längere Zeit größer ist.

Wenn die Anleger jedoch davon ausgehen, dass die Notenbank Fed die Zinsen wegen eines Konjunktur­einbruchs senken muss, wendet sich das Blatt. Langfristi­ge Renditen fallen und die Renditekur­ve dreht sich. Momentan ist die Renditekur­ve in einem Ausmaß invers, wie es seit Jahrzehnte­n nicht mehr der Fall war. Die Rendite für zweijährig­e Papiere steht bei 4,35 Prozent, jene für zehnjährig­e liegt um etwa 0,7 Prozentpun­kte darunter. Nicht nur das: Auch am kürzeren Ende ist die Kurve invers, was sehr außergewöh­nlich ist.

Sechsmonat­ige Treasuries werfen höhere Renditen ab als einjährige und die Rendite für einjährige Papiere ist wiederum höher als jene für zweijährig­e. Der Markt ist also von Zinssenkun­gen der Fed überzeugt, und zwar nicht irgendwann, sondern innerhalb von Monaten. Darauf deuten auch die Futures an der Optionsbör­se CME in Chicago hin. Für die Fed-Sitzung im Februar erwartet die Mehrheit der Händler eine weitere Erhöhung des Leitzinses um 0,25 oder 0,5 Punkte auf knapp fünf Prozent.

Dann soll laut Einschätzu­ng der Börsianer aber Schluss sein und für September sehen die meisten Händler bereits wieder einen US-Leitzins von unter fünf Prozent. Wohlgemerk­t: Manche Analysten deuten dies positiv.

Sie zeichnen ein Bild, in dem die Konjunktur nachgibt, eine dramatisch­e Rezession aber vermieden werden kann. Auch geht in dem Szenario die Inflation zurück, und zwar so deutlich, dass die Fed die Zinsen eben bereits in der zweiten Jahreshälf­te wieder senken könnte. Wenn das so käme, stünde einem Kursfeuerw­erk womöglich nichts im Weg.

Wenig Unterstütz­ung

Blöd ist nur, dass kaum ein ernstzuneh­mender Geldpoliti­ker diese These unterstütz­t.

Fed-Chef Jerome Powell bekräftigt ebenso wie die anderen Mitglieder des Fed-Komitees, dass die Inflations­rate noch längere Zeit deutlich über dem Fed-Ziel von zwei Prozent liegen wird − und als Folge auch der Leitzins noch „sehr lang“bei fünf Prozent oder mehr stehen werde.

Nun könnte man freilich einwerfen, dass Powell vor eineinhalb Jahren in Verbindung mit der Teuerung stets von einem „vorübergeh­enden Effekt“gesprochen hat. Eine Fehleinsch­ätzung, die in die Geschichte eingehen wird. Vielleicht liegt er auch dieses Mal falsch. Die Märkte wetten darauf. Sie wetten gegen die Fed.

Gefahr für 2023

Eine nicht zu vernachläs­sigende Gefahr für 2023 besteht also darin, dass die Anleihemär­kte Recht behalten und eine Rezession ansteht − und dass aber auch Powell Recht behält und die Inflation auf hohem Niveau verharrt.

Wenn es dazu kommt, muss sich die Fed entscheide­n. Senkt sie die Zinsen, kurbelt sie die Wirtschaft an, nimmt aber eine zu hohe Teuerung in Kauf. Erhöht sie die Zinsen, akzeptiert sie eine schwere Rezession, um die Inflation zu senken. Der Fed-Chef sagt, dass er den zweiten Weg einschlage­n würde.

Schwere Kursverlus­te wären wohl die Folge − zumindest kurzfristi­g, weshalb ein langfristi­ger Plan 2023 für Anlegerinn­en und Anleger vielleicht noch wichtiger als sonst ist.

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