Dunkle Gewitterwolken für 2023
Wer das Börsenjahr 2023 vorhersagen will, darf Ökonomen ignorieren und einen Blick auf die Renditekurve und die Aussagen der Fed werfen.
Die jährlichen Börsenprognosen der Großbanken sind langweilig. In der Regel sagen die Ökonomen einstellige Zugewinne vorher. Das taten viele von ihnen Anfang 2022 und das tun sie auch Anfang 2023. Im Durchschnitt sehen die Experten den S&P-500-Index laut Bloomberg-Berechnungen zu Jahresende bei 4009 Punkten und einem mittleren einstelligen Plus. Interessant ist heuer allerdings die Bandbreite, sie reicht von 3400 bis 4500 Punkten, einige wenige Institute sagen also Verluste beziehungsweise zweistellige Gewinne vorher.
Eine ordentliche Prognose über einen kurzen Zeitraum von einem Jahr ist de facto unmöglich. Intelligente Anleger denken in Perioden von mehreren Jahren, alles andere ist Spekulation. Wer mit einem entsprechenden Zeithorizont ans Werk geht, kann auch im aktuellen Umfeld investieren. Immerhin liegt der S&P-500-Index rund 20 Prozent unter seinem Allzeithoch. Sehr wahrscheinlich wird er in fünf oder zehn Jahren höher als heute notieren.
Orientierung an den Anleihen
Will ein Investor trotzdem versuchen, lediglich das Jahr 2023 vorherzusagen, kann er sich am USAnleihemarkt orientieren.
Dieser gilt als der entwickeltste Markt der Welt und wer die Zeichen richtig zu deuten weiß, kann gewisse Markttrends vernünftig einschätzen. Nimmt man dann auch noch die aktuellen Zinsprognosen und die Aussagen der Notenbank Fed hinzu, lässt sich ein gutes Bild für die nächsten Monate zeichnen.
Die Kurzzusammenfassung: Es sah schon einmal deutlich besser aus. In der Tat wäre es nahezu eine Sensation, wenn die US-Konjunktur − und mit ihr die globale Wirtschaft − heuer nicht in eine Rezession schlittern würde. Dies sagt der Anleihemarkt in Form einer inversen Renditekurve vorher.
Davon spricht man, wenn die Renditen für kurzfristige USStaatsanleihen höher liegen als jene für langfristige. Die Logik dahinter: In normalen Zeiten verlangen Investoren für zehnjährige Treasuries eine höhere Rendite als für zweijährige, weil die Unsicherheit über längere Zeit größer ist.
Wenn die Anleger jedoch davon ausgehen, dass die Notenbank Fed die Zinsen wegen eines Konjunktureinbruchs senken muss, wendet sich das Blatt. Langfristige Renditen fallen und die Renditekurve dreht sich. Momentan ist die Renditekurve in einem Ausmaß invers, wie es seit Jahrzehnten nicht mehr der Fall war. Die Rendite für zweijährige Papiere steht bei 4,35 Prozent, jene für zehnjährige liegt um etwa 0,7 Prozentpunkte darunter. Nicht nur das: Auch am kürzeren Ende ist die Kurve invers, was sehr außergewöhnlich ist.
Sechsmonatige Treasuries werfen höhere Renditen ab als einjährige und die Rendite für einjährige Papiere ist wiederum höher als jene für zweijährige. Der Markt ist also von Zinssenkungen der Fed überzeugt, und zwar nicht irgendwann, sondern innerhalb von Monaten. Darauf deuten auch die Futures an der Optionsbörse CME in Chicago hin. Für die Fed-Sitzung im Februar erwartet die Mehrheit der Händler eine weitere Erhöhung des Leitzinses um 0,25 oder 0,5 Punkte auf knapp fünf Prozent.
Dann soll laut Einschätzung der Börsianer aber Schluss sein und für September sehen die meisten Händler bereits wieder einen US-Leitzins von unter fünf Prozent. Wohlgemerkt: Manche Analysten deuten dies positiv.
Sie zeichnen ein Bild, in dem die Konjunktur nachgibt, eine dramatische Rezession aber vermieden werden kann. Auch geht in dem Szenario die Inflation zurück, und zwar so deutlich, dass die Fed die Zinsen eben bereits in der zweiten Jahreshälfte wieder senken könnte. Wenn das so käme, stünde einem Kursfeuerwerk womöglich nichts im Weg.
Wenig Unterstützung
Blöd ist nur, dass kaum ein ernstzunehmender Geldpolitiker diese These unterstützt.
Fed-Chef Jerome Powell bekräftigt ebenso wie die anderen Mitglieder des Fed-Komitees, dass die Inflationsrate noch längere Zeit deutlich über dem Fed-Ziel von zwei Prozent liegen wird − und als Folge auch der Leitzins noch „sehr lang“bei fünf Prozent oder mehr stehen werde.
Nun könnte man freilich einwerfen, dass Powell vor eineinhalb Jahren in Verbindung mit der Teuerung stets von einem „vorübergehenden Effekt“gesprochen hat. Eine Fehleinschätzung, die in die Geschichte eingehen wird. Vielleicht liegt er auch dieses Mal falsch. Die Märkte wetten darauf. Sie wetten gegen die Fed.
Gefahr für 2023
Eine nicht zu vernachlässigende Gefahr für 2023 besteht also darin, dass die Anleihemärkte Recht behalten und eine Rezession ansteht − und dass aber auch Powell Recht behält und die Inflation auf hohem Niveau verharrt.
Wenn es dazu kommt, muss sich die Fed entscheiden. Senkt sie die Zinsen, kurbelt sie die Wirtschaft an, nimmt aber eine zu hohe Teuerung in Kauf. Erhöht sie die Zinsen, akzeptiert sie eine schwere Rezession, um die Inflation zu senken. Der Fed-Chef sagt, dass er den zweiten Weg einschlagen würde.
Schwere Kursverluste wären wohl die Folge − zumindest kurzfristig, weshalb ein langfristiger Plan 2023 für Anlegerinnen und Anleger vielleicht noch wichtiger als sonst ist.