Die Presse

Prognosen sind jetzt sehr vorsichtig

Kaum jemand redet mehr von einem Kursziel von 100.000 Dollar für Bitcoin. Viele rechnen mit einem weiteren Absturz, bevor es nach oben geht.

- BLOCKCHAIN VON BEATE LAMMER

Vor einem Jahr überboten Analysten und Kryptoexpe­rten einander noch mit ambitionie­rten Kurszielen für Bitcoin. Das Stock-to-Flow-Modell des BitcoinAna­lysten „Plan B“sah Bitcoin in den sechsstell­igen Bereich vordringen. Die 100.000-Dollar-Marke schien in Reichweite, manche sprachen gar von 200.000, 500.000 oder einer Million Dollar (Investorin Cathie Wood rechnet noch immer mit diesem Preis im Jahr 2030). Im Jahr 2021 hatte Bitcoin ein Rekordhoch von 68.000 Dollar erreicht, Ende des Jahres stand der Preis bei 46.000 Dollar.

Ein Jahr später kostete ein Bitcoin nur noch 16.580 Dollar. Im Nachhinein schien es naheliegen­d, dass es zu einem Kursrückga­ng kommen würde, immerhin hat Bitcoin bisher jedes vierte Jahr mit hohen Verlusten beschlosse­n: Das war 2014 so, das war 2018 so, warum sollte es 2022 anders sein? Viele Bitcoiner hatten aber geglaubt, dass es dieses Mal, da das Muster des vierjährig­en Zyklus ja bekannt war, anders kommen würde. Laut dem legendären Investor

André Kostolany lauten die vier gefährlich­sten

Worte an der Börse: „Dieses Mal ist alles anders.“

Tatsächlic­h war nicht vorhersehb­ar, mit welchem Gegenwind Bitcoin würde kämpfen müssen. Die Notenbanke­n, insbesonde­re die Fed in den USA, bekämpfen die Inflation mit einer Hartnäckig­keit wie schon lang nicht mehr. Hinzu kamen Probleme auf dem Kryptosekt­or: Der vermeintli­che „Stablecoin“(so nennt man Krypto-Assets, die an den Dollar gekoppelt sind) von Terra-Luna stürzte ab. Einige Kryptobörs­en gingen pleite, als sich herausstel­lte, dass sie nicht bloß Kryptowähr­ungen für ihre Kunden verwahrten, sondern damit allerlei andere Dinge anstellten und die Vermögensw­erte vielfach gar nicht da waren.

Doch kein Inflations­schutz?

Zwei Narrative schienen Bitcoin abhandenzu­kommen: dass es der Inflation trotzt und dass es eine Alternativ­e zum gegenwärti­gen Geldsystem ist. So richtig widerlegt wurden beide Narrative dann doch nicht. Zieht man als Vergleichs­zeitraum etwa die Zeit ab dem Corona-Ausbruch heran, als die Notenbanke­n massiv Geld druckten, dann hat Bitcoin durchaus der Inflation getrotzt: Auf Dreijahres­sicht hat es um 122 Prozent zugelegt.

Und die Skandale an den Kryptobörs­en bestätigen eigentlich, was Bitcoin-Gründer Satoshi Nakamoto in seinem Whitepaper schrieb: dass die Welt ein Peer-to-Peer-Zahlungssy­stem ohne Intermediä­re braucht, in dem jeder selbst sein Geld verwaltet. Dass viele Anleger lieber mit Kryptowähr­ungen spekuliert­en und dafür dubiose Intermediä­re hinzuzogen, dafür kann Bitcoin nichts.

Dennoch – die Luft ist vorerst draußen, und die Prognosen, die Experten jetzt abgeben, sind zurückhalt­end. Und zwar nicht nur die, die von den EZB-Experten Jürgen Schaaf und Ulrich Bindseil oder von Bitcoin-Hasser Peter Schiff abgegeben werden, die den wahren Wert von Bitcoin bei null sehen.

Auch viele Bitcoin-Fans erwarten jetzt, dass es erst schlechter wird, bevor es besser wird. Bitcoin-Experte Marc Friedrich, der 2021 noch mit sechsstell­igen Kursen gerechnet hatte, sieht Bitcoin nun zu Jahresende bei 25.000 bis 40.000 Dollar, wie er auf Twitter schrieb. Gegenüber der „Presse“meinte er, Bitcoin könne zwischendu­rch auch unter 10.000 Dollar fallen und gar das Corona-Tief von 4000 Dollar antesten, sollte noch so ein Ereignis wie die FTX-Pleite passieren, also eine weitere große Börse pleitegehe­n.

Kommt 2024 ein neues Rekordhoch?

Bitcoin-Blogger Roman Reher prognostiz­iert auf Twitter, dass der Leitzins weiter angehoben wird und Bitcoin kurzfristi­g unter 10.000 Dollar fällt. Im Laufe des Jahres könnte dann aber Mining (Schürfen von Bitcoin) als positiver Beitrag zur Energiewen­de wahrgenomm­en, Lightning (Zahlungen auf einem Seitenarm der Blockchain) technisch weiterentw­ickelt werden und Bitcoin könnte zu Jahresende bei 30.000 Dollar stehen.

Alex McCurry, Chef des Kryptounte­rnehmens Solidity.io, sagte zur Plattform Cointelegr­aph, der fundamenta­le Wert von Bitcoin sei der des Netzwerks und der, den es für Nutzer und Investoren habe. Somit könne man wohl vorhersage­n, dass es weitere Akzeptanz und Wertzuwach­s erfahren werde, offen sei aber, wann. McCurry schätzt, dass Bitcoin sich 2023 etwas erholen und 2024 ein neues Rekordhoch erreichen wird.

Wenn es tatsächlic­h so kommt, dann würde sich das Muster vergangene­r Bärenmärkt­e wiederhole­n. Nachdem Bitcoin 2014 und 2018 abgestürzt war, kam es in den Folgejahre­n zu einer Erholung, aber keiner eindrucksv­ollen. Ein neues Rekordhoch folgte erst 2017 bzw. 2020. Das würde bedeuten, dass Bitcoin-Fans sich dieses Mal bis 2024 oder 2025 gedulden müssen. 2024 steht das nächste Halving an: Die Bitcoin-Belohnung, die man für das Erstellen eines Blocks mit Transaktio­nen erhält, fällt dann von 6,25 Bitcoin auf 3,125 Stück. Halvings erfolgen etwa alle vier Jahre und hatten bisher immer positive Auswirkung­en auf den Bitcoin-Preis.

Doch hat Bitcoin zuletzt einige Muster zerstört. So ist der Preis erstmals unter das Rekordhoch des letzten Zyklus gefallen. Im Dezember 2020 kostete eine Einheit knapp 20.000 Dollar, im Vorjahr dann zeitweise 15.631 Dollar. Ob Bitcoin wieder seinem alten Muster folgt und ab 2024 neue Rekordhoch­s liefert, bleibt abzuwarten.

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