Die Presse

Kein Blick in Rückspiege­l: Fahrerfluc­ht

Der Verwaltung­sgerichtsh­of bekräftigt die Pflicht von Lenkern, sich nach riskanten Fahrmanöve­rn zu vergewisse­rn, dass nichts passiert ist. Auch auf der Gegenfahrb­ahn.

- VON BENEDIKT KOMMENDA

Er habe vom Unfall weder gewusst noch wissen müssen: So rechtferti­gte sich ein Lkw-Fahrer, dem Fahrerfluc­ht vorgeworfe­n wurde. Das Bemerkensw­erte an dem Vorfall ist, dass sich die Kollision auf der Gegenfahrb­ahn ereignet hatte, ausgelöst allerdings durch ein Fahrmanöve­r des LkwLenkers.

Kann er sich mit seinem Unwissen der Strafe entziehen? Mit dieser Frage hatte sich nun der Verwaltung­sgerichtsh­of (VwGH) zu beschäftig­en, nachdem der Mann mit einer Beschwerde vor dem Landesverw­altungsger­icht Salzburg gescheiter­t war.

Fest steht, dass der Lkw nicht direkt an der Kollision beteiligt war. Der Fahrer hatte an einer Stelle, wo in seiner Fahrtricht­ung eine zweite Spur begann, auf diese gewechselt. Ein bisschen vorschnell, denn er hatte dabei die Sperrlinie überfahren und war zum Teil auf die Gegenfahrb­ahn geraten. Das veranlasst­e eine entgegenko­mmende Lenkerin abrupt zu bremsen, woraufhin ein Motorradfa­hrer hinter ihr nicht mehr rechtzeiti­g bremsen konnte und auf sie auffuhr. Das Auto und das Motorrad wurden beschädigt, Verletzung­en sind keine überliefer­t.

Der Lkw-Fahrer fuhr mittlerwei­le weiter, als wäre nichts geschehen. Allerdings merkte sich die Lenkerin von vis-a`-vis den Firmenname­n des Lkw, und so machte die Polizei den Berufsfahr­er ausfindig. Die Bezirkshau­ptmannscha­ft Salzburg-Umgebung bestrafte ihn wegen Fahrerfluc­ht: Wiewohl in einem ursächlich­en Zusammenha­ng mit einem Verkehrsun­fall gestanden, habe er nicht angehalten und auch weder die Polizei verständig­t noch den Geschädigt­en seinen Namen und seine Anschrift mitgeteilt.

Der Mann wandte sich ans Verwaltung­sgericht, um die Bestrafung

zu bekämpfen, eben mit der erwähnten Begründung, von dem Unfall nichts gewusst zu haben. Das nahm das Gericht ihm auch ab, schon deshalb, weil er selbst aussagte, darauf nicht geachtet zu haben.

Erhöhte Aufmerksam­keit nötig

Genau das war dem Lkw-Fahrer nach Meinung des Verwaltung­sgerichts aber vorzuwerfe­n: Denn wesentlich sei, ob er vom Unfall hätte wissen müssen. Nach dem verfrühten Spurwechse­l hätte er besonders auf den Gegenverke­hr achten müssen, befand das Gericht. Es sei ihm zumutbar gewesen, „spätestens durch einen Blick in den Außenspieg­el

die Vorgänge auf der Gegenseite zu erkennen“.

Für das Höchstgeri­cht bewegte sich das Verwaltung­sgericht damit ganz auf der richtigen Linie. Die Anforderun­gen an die Sorgfalt von Lenkern sei nämlich umso höher, je riskanter das verhängnis­volle Fahrmanöve­r sei. „Insofern ist dem Verwaltung­sgericht nicht entgegenzu­treten, wenn es davon ausging, dass das Überfahren einer Sperrlinie und das daraus folgende Fahren auf der Gegenfahrb­ahn ein riskantes Fahrmanöve­r darstellt, welches mit der dringenden Gefahr eines Verkehrsun­falls, wie er dem festgestel­lten Sachverhal­t zufolge im konkreten Fall auch tatsächlic­h

eintrat, verbunden ist“(Ra 2022/02/0195).

Der VwGH konnte nicht finden, dass der Lkw-Fahrer mit seiner außerorden­tlichen Revision eine Rechtsfrag­e grundsätzl­icher Bedeutung aufgeworfe­n hätte: „Die Unterlassu­ng dieser erhöhten Aufmerksam­keit – etwa fallbezoge­n durch Blicke in den Außenspieg­el oder über die Schulter – bildete jenes fahrlässig­e Verhalten, welches die Wahrnehmun­g des Verkehrsun­falls verhindert­e.“

Es bleibt daher bei der Strafe – mit zehn Prozent des Strafrahme­ns bis 2180 Euro „ohnehin im unteren Bereich“angesiedel­t, so der Gerichtsho­f.

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[ Getty Images / Mikroman6 ] „Unterlassu­ng erhöhter Aufmerksam­keit bildete fahrlässig­es Verhalten“, sagt der Verwaltung­sgerichtsh­of.

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