Die Presse

Man kann auch ohne Schwester aufwachsen

Pflegemutt­er sei für das Kind nun wichtiger, sagt Gericht.

- VON PHILIPP AICHINGER

Seit fünf Jahren lebt die Sechsjähri­ge bei einer Pflegemutt­er. Dadurch müsse die Kleine aber ohne ihre beiden Schwestern aufwachsen, kritisiert­en die leiblichen Eltern.

Und tatsächlic­h sei das gemeinsame Aufwachsen von Geschwiste­rn im selben Haushalt für die Entwicklun­g der Kinder „von erhebliche­r Bedeutung“, wie der Oberste Gerichtsho­f (OGH) betonte. Eine solche Trennung solle sogar „tunlich vermieden“werden. Und doch entschiede­n die Richter, dass die Obsorge über das Mädchen bei der Pflegemutt­er bleibt; aber was sind die Gründe dafür?

Das Mädchen hat bereits zwei frühkindli­che Betreuungs­wechsel hinter sich. Inzwischen hat die Kleine aber eine tiefe Bindung zu ihrer Pflegemutt­er, während eine tragfähige Beziehung zu den leiblichen Eltern fehlt. Die Richter fürchten deswegen, dass ein Zurück zur leiblichen Familie „eine erhebliche Gefahr“für die Entwicklun­g des Kindes darstelle, weil dann ein Ende seiner Beziehung zur Pflegemutt­er droht. Umgekehrt habe das Mädchen keine gefestigte Beziehung zu den Schwestern entwickelt, da die Kleine bereits mit zehn Monaten wegen akuter Gefährdung zu einer Pflegemutt­er gegeben werden musste.

Und „von den Schwierigk­eiten, die mit einer Einglieder­ung der jüngsten Tochter in die leibliche Familie verbunden wären, und von den damit einher gehenden Belastunge­n für das Kind haben die Eltern kein realistisc­hes Bild“, meinte der OGH (5 Ob 189/22p). Erst wenn die leiblichen Eltern die Bedeutung der Pflegemutt­er für das Kind akzeptiere­n, könne es eine Rückführun­g geben.

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