Die Vorgangsweise einiger Emittenten knapp vor Jahresende ist rechtlich fragwürdig und zeugt nicht von guter Aktienkultur.
Wegen der Corona-Pandemie erließ der Gesetzgeber das Gesellschaftsrechtliche Covid-19-Gesetz und die Justizministerin die darauf basierende Gesellschaftsrechtliche Covid-19-Verordnung. Diese bilden die rechtliche Grundlage für die Abhaltung virtueller Hauptversammlungen, von der seit 2020 reichlich Gebrauch gemacht wird – und dies auch, als eine rechtliche Verpflichtung zur virtuellen Abhaltung nicht (mehr) bestand. Gesetz und Verordnung waren zuletzt bis Ende 2022 befristet, wurden aber knapp vor dem Jahreswechsel bis zum 30. Juni 2023 verlängert.
Aktionärsrechte verkürzt
Das mehrfach verlängerte Provisorium verkürzt gegenüber dem sonst im Aktiengesetz (AktG) geltenden Standard die Rechte der Aktionäre merkbar. So können diese nicht interaktiv an der Hauptversammlung (HV) teilnehmen, sondern müssen ihre Redebeiträge bzw. Fragen zwingend über vier von der Gesellschaft zur Verfügung gestellte Stimmrechtsvertreter verlesen lassen. Rückfragen in der HV oder Hinweise, dass eine gestellte Frage gar nicht beantwortet wurde, sind so nicht möglich.
Demgegenüber hat der deutsche Gesetzgeber im Sommer eine sehr detaillierte gesetzliche Grundlage geschaffen, bei der zumindest für die Ausübung des Frage- und Rederechts des Aktionärs eine aktive Zwei-Wege-Verbindung vorgeschrieben ist. In Österreich gibt es bislang kein Gesetz für eine Dauerlösung, sondern vielmehr politisches Hickhack und Lobbying zwischen Verteufelung und Glorifizierung der virtuellen HV.
Knapp vor Weihnachten geschah in diesem Zusammenhang Bemerkenswertes: Einige Emittenten an der Wiener Börse hielten außerordentliche Hauptversammlungen ab, in denen diverse Satzungsänderungen beschlossen wurden. Diese betreffen einerseits – so weit unproblematisch – die Ausnutzung der schon derzeit in § 102 Abs 3 AktG erwähnten Mö glichkeiten (Fernabstimmung, Fernteilnahme, Satellitenversammlung), beinhalten andererseits aber auch folgende (in den bekannten Fällen jewei ls gleich lautende und auf die Initiative eines bekannten Wiener Notars zurückgehende) Klausel:
„Eine Hauptversammlung kann nach Maßgabe der am Tag der Hauptversammlung geltenden gesetzlichen Bestimmungen ohne physische Anwesenheit der Teilnehmer durchgeführt werden (virtuelle Hauptversammlung). Der Vorstand entscheidet mit Zustimmung des Aufsichtsrates über die Form der Durchführung, d. h., ob die Hauptversammlung (i) mit physischer Anwesenheit der Teilnehmer, (ii) ohne physische Anwesenheit der Teilnehmer (virtuelle Hauptversammlung) oder (iii) als Hauptversammlung, bei der sich die einzelnen Teilnehmer zwischen einer physischen und einer virtuellen Teilnahme entscheiden können (hybride Hauptversammlung), durchgeführt wird.“
Beschlossen wur den also Satzungsänderungen, die sich auf mögliche künftige, inhaltlich nach nicht annähernd konkret bekannte (vielleicht auch nie kommende) Gesetzesänderungen beziehen.
So etwas ist mit dem auch in Österreich anerkannten Prinzip der Satzungsstrenge nicht vereinbar. Diesem Prinzip zufolge sind Abweichungen von der Gesetzeslage durch fakultative Satzungsbestimmungen nur insoweit zulässig, als eine gesetzliche Ermächtigung zur Regelung durch den Satzungsgeber besteht oder mangels ausdrücklicher Ermächtigung es dem Zweck einer Gesetzesbestimmung nach zulässig ist, eine Satzungsregelung aufzunehmen und diese nicht gegen wesentliche Regelungsanliegen des AktG wie Gläubiger- oder Aktionärsschutz bzw. gegen das „Wesen der AG“verstößt. Die Satzungsstrenge ist durchaus nicht unumstritten und wird auch in Österreich verschiedentlich kritisiert.
Verschärfte Satzungsstrenge
Der OGH hat in einer vielbeachteten Entscheidung (6 Ob 28/13f) ein in der Satzung verankertes Vorkaufsrecht für zulässig befunden,obwohl§62Abs2AktGesnur erlaubt, die Übertragung von (Namens-)Aktien an die Zustimmung der Gesellschaft zu binden. Der OGH machte aber deutlich, dass diese Flexibilität nur für nicht börsenotierte Gesellschaften gelte. Denn bei Gesellschaften, bei denen die freie Handelbarkeit von Aktien an der Börse eine Rolle spielt, sind Aufweichungen der Satzungsstrenge ungleich problematischer.
In den oben angesprochenen Fällen geht es aber gerade um Aktionärsschutz. Bestimmungen des AktG, die die Rechte von Aktionären im Zusammenhang mit der HV betreffen, können nicht zum Nachteil der Anteilseigner abbedungen werden.
Der Hintergrund der oben erwähnten Hauptversammlungsbeschlüsse knapp vor Weihnachten ist offensichtlich: Im Zeitpunkt der Anberaumung der außerordentlichen Hauptversammlung wusste man noch nicht, ob die Covid-19-Interimsvorschriften über Ende 2022 verlängert werden würden. Es bestand daher die „Gefahr“, dass man die Aktionäre 2023 zumindest einmal noch zu einer Präsenzversammlung würde laden müssen, um dort die Möglichkeiten für künftige virtuelle HVs zu schaffen. Mithilfe der zitierten Satzungsbestimmungen soll die Notwendigkeit einer Präsenzversammlung beseitigt werden.
Eine solche Vorgangsweise verdient jedoch keinen Schutz. Sie ist auch nicht sehr weitblickend, weil der Gesetzgeber – so er denn die virtuelle HV einmal ermöglicht – ganz leicht für deren satzungsmäßige Verankerung Voraussetzungen aufstellen kann, denen die zitierten Beschlüsse nicht genügen. Und er sollte das meines Erachtens auch tun.
Aus alldem ergibt sich, dass die oben zitierten Satzungsänderungen vom Firmenbuchgericht nicht eingetragen werden dürften. Abseits aller juristischen Feinheiten zeugt die beschriebene Vorgangsweise auch nicht gerade von guter Aktienkultur. Dies ist umso bedauerlicher in einem Land, in dem der Erwerb von Aktien nach wie vor ein Thema für eine kleine Bevölkerungsminderheit ist und der Gesetzgeber seit jeher denkbar wenig dafür tut, dass sich dies ändert.
Georg Schima ist Partner der Schima Mayer Starlinger Rechtsanwälte GmbH, Wien, Honorarprofessor für Unternehmens- und Arbeitsrecht an der WU Wien seit mehr als 20 Mitglied des Arbeitskreises Corporate Governance im BMF.