Später Pflichtteil für außereheliche Tochter
Gastbeitrag. Der Oberste Gerichtshof lässt Pflichtteilsansprüche übergangener Nachkommen erst ab dem Zeitpunkt verjähren, zu dem die Vaterschaft feststeht.
Wien. Die Geschichte liest sich wie das Drehbuch eines Films: Eine Frau findet im Jahr 2019 durch einen Zufall heraus, dass ihr biologischer Vater ein im Jahr 2005 verstorbener ehemaliger österreichischer Politiker ist. Der Ehemann der Mutter der Frau, ihr „sozialer Vater“, war also nicht der Erzeuger. Nachdem der biologische Vater ein vermögender Mann war, der sich nie um sein Kind kümmerte, macht die Frau ihren Pflichtteil geltend. Sie stößt dabei auf erbitterten Widerstand ihrer Halbgeschwister.
Vater verschenkte Schloss
Die Familie des Verstorbenen, der bei seinem Tod 2005 fünf eheliche Kinder und die Witwe hinterließ, verweigert dem „Kind der Liebe“die Teilhabe am väterlichen Vermögen. Es geht immerhin um ein Schloss und Ländereien in bester Salzburger Lage. Nach der Rechtsansicht der Geschwisterkinder, denen der Vater diese Liegenschaften zu Lebzeiten geschenkt hatte, seien die Pflichtteilsansprüche ihrer Halbschwester längst verjährt. Diese Frage der Verjährung wurde nun durch den Obersten Gerichtshof (OGH) – für manche Beobachter überraschend – zu Recht zugunsten der Klägerin entschieden (2 Ob 175/22g).
Bevor die Klägerin ihren Pflichtteilsanspruch gerichtlich geltend machen konnte, musste sie zuerst die Vaterschaft ihres biologischen Vaters rechtlich feststellen lassen. Da die Mutter der Klägerin bei deren Geburt verheiratet war, galt kraft gesetzlicher Vermutung zunächst der Ehemann als Vater der Klägerin, obwohl sie biologisch nicht von ihm abstammt. Dass ein (anderer) Mann der biologische Erzeuger eines Kindes ist, führt also nicht automatisch zu seiner rechtlichen Vaterschaft.
Im Rahmen des Abstammungsverfahrens wur de auf der Basis eines Halbgeschwister-Tests („DNA-Test“) aber die biologische Abstammung der Klägerin zweifellos geklärt. Das Abstammungsgericht stellte in weiterer Folge die Nichtabstammung der Klägerin vom sozialen Vater und die Abstammung vom biologischen Vater rechtlich fest. Dieser Beschluss wurde im Mai 2020 rechtskräftig.
Verjährung als Knackpunkt
Dass die Klägerin ein außereheliches Kind war, spielte rechtlich grundsätzlich keine Rolle. Eheliche, uneheliche und außereheliche Kinder sind erbrechtlich seit vielen Jahren gleichgestellt. So hat ein Kind gegenüber seinem Vater auch dann Pflichtteilsansprüche, wenn dieser nicht mit der Mutter des Kindes verheiratet war.
Das Problem der Klägerin lag auf einer anderen Ebene: Sie machte die Entdeckung zu ihrer biologischen Abstammung erst rund 15 Jahre nach dem Tod ihres leiblichen Vaters. Rechtlich war sie beim Tod des Vaters im Jahr 2005 nicht dessen Kind, weil diese rechtliche Abstamm ung erst im Jahr 2020 festgestellt wurde. Die Frage, wann in derartigen Fällen die Verjährungsfrist zur Geltendmachung des Pflichtteils zu laufen beginnt, war gerichtlich nicht geklärt.
OGH verlässt ältere Linie
Da der leibliche Vater im Salzburger Fall bereits vor Inkrafttreten der Erbrechtsnovelle im Jahr 2017 starb, handelte es sich um einen „Altfall“, der grundsätzlich nach den Regeln des Erbrechts vor der Reform zu beurteilen war. Für die Position der ehelichen Geschwisterkinder sprach eine ältere Rechtsprechungslinie, wonach Pflichtteilsansprüche auch dann innerhalb von drei Jahren verjähren, wenn das Kind nichts vom Tod des Vaters wusste. Die literarischen Stellungnahmen zahlreicher bekannter Erbrechtsexperten und auch eine Entscheidung des deutschen Bundesgerichtshofs stützten diese Rechtsansicht der Beklagtenseite zusätzlich.
Die bislang vorhandenen österreichischen Entscheidungen betreffen allerdings Fälle, in denen die Abstamm ung feststa nd, das Kind jedoch (beispielsweise mangels Kontakt) nichts vom Tod des Vaters erfuhr. Im Salzburger Fall wusste das Kind hingegen nicht nur nichts von seinem biologischen Vater, sondern es war bei dessen Tod rechtlich gesehen schlichtweg noch gar nicht dessen Kind.
Mit dieser Rechtsansicht waren die Klägerin und ihre anwaltliche Vertretung allerdings weitgehend allein. Nur ein Rechtsgutachten, das die Klägerin bei Univ.Prof. Rudolf Welser in Auftrag gegeben hatte, kam unter Verweis auf die Rechtsprechung im Unterhaltsrecht zum Ergebnis, dass erbrechtliche Ansprüche nicht verjähren können, bevor sie – durch Feststellung der Vaterschaft – entstehen.
Der zuständige Fachsenat des OGH für Erbrecht hat sich dieser überzeugenden Argumentation jetzt angeschlossen. Die Verjährungsfrist des § 1487 ABGB in der Fassung vor der Reform beginnt bei postmortaler Abstammungsfeststellung nach § 150 ABGB („Vätertausch“) nach Ansicht des OGH gemäß § 1478 Satz 2 ABGB erst mit Rechtskraft der Entscheidung im Statusverfahren. Aufgrund der zeitlichen Abfolge würde sich im gegenständlichen Fall auch nichts ändern, wenn man auf die Kenntnis der Abstammung abstellte.
Hohe Dunkelziffer
Der Fall der Klägerin ist bei weitem kein Einzelschicksal. Angesichts der hohen Dunkelziffer an unehelichen beziehungsweise außerehelichen Kindern ist die Entscheidung des OGH im Salzburger Fall für viele Menschen von Bedeutung. Familiäre Streitigkeiten haben dabei stets ihre eigene Dynamik. Gerade bei Vätern, die in der Öffentlichkeit stehen, mag es auch darum gehen, den vermeintlich „guten Ruf“oder die Karriere nicht zu beschädigen. So musste die belgische Künstlerin Delphine Bo sieben Jahre lang viele Demütigungen hinnehmen, bis sie von ihrem leiblichen Vater, Belgiens Altkönig Albert, als Tochter anerkannt wurde. Auch die Klägerin wird nun spät für ihr Durchhaltevermögen belohnt; sie wird den ihr gebührenden Pflichtteil erhalten.