Hinter den Kulissen der Rekordfahrt
Mit ihrem 82. Weltcupsieg stellt Mikaela Shiffrin die Bestmarke ein. Was macht Rennläufer auf diesem Level aus?
Kranjska Gora/Wien. Am Ende, wenn die beste Skifahrerin der Geschichte dann endgültig abschwingt, wird es nur eine Zwischenstation gewesen sein. Am Sonntag aber war es ein bemerkenswertes Stück Skihistorie. Mikaela Shiffrin fuhr in Kranjska Gora ihren 82. Weltcupsieg ein und stellte damit die Bestmarke von Lindsey Vonn ein.
Dass sie ihre US-Landsfrau schon bald übertreffen wird, womöglich schon am Dienstag beim Nachtslalom in Flachau, dass sie auch den letzten verbliebenen Skisportler vor ihr, den Schweden Ingemar Stenmark mit seinen 86 Siegen aus geraumer Vorzeit, noch übertrumpfen wird, daran besteht kein Zweifel. Vonn, die Shiffrin während ihrer aktiven Zeit vor allem als Rivalin um den Platz im Rampenlicht wahrgenommen hatte, hatte es ohnehin schon klargestellt: „Sie ist die beste Skiläuferin, die jemals gelebt hat.“
Shiffrin selbst meinte, dass sie zuletzt tatsächlich ihr allerbestes Skifahren gezeigt habe. Gerade in diesem so schneearmen Winter, der für unterschiedlichste und mitunter widrigste Bedingungen sorgt, fährt die 27-Jährige in der Form ihres Lebens. Nur, was macht eine Rennläuferin wie Shiffrin aus, die in solche Kategorien vorstößt?
▶ Skitechnik. Shiffrins erste Skischule waren die Pulverschneehänge Colorados, es folgte die Burke Mountain Academy an der eisigen US-Ostküste, danach der frühe Einstieg im europäisch dominierten Weltcup. Schon als Teenager war sie also mit allen Schnee- und Rennbedingungen vertraut, dazu spulte sie Trainingsumfänge ab, die die Konkurrenz in den Schatten stellten. Auf ihre so eingeschliffene Skitechnik kann sie sich inzwischen in allen Disziplinen verlassen. Basis bleibt der Slalomschwung,
▶ Rennfahrer-Gen. Es war auch die Spezialdisziplin des Marcel Hirscher, aktuell zeigen Marco Odermatt und eben Shiffrin ganz ähnliche Fähigkeiten. Allesamt sind sie in der Lage, die während eines
Rennens auftretenden Probleme im Keim zu ersticken. Ein virtuoses Zusammenspiel aus Technik, Ta- lent und Selbstvertrauen: Wenn in Extremsituation die unvermeidlichen Fehler passieren, setzen die Automatismen ein, intuitiv reagieren Shiffrin und Co. richtig, denn für Nachdenken wäre keine Zeit.
Diese im Training eingelernten Prozesse auch im Rennen abzurufen, schaffen nur die wenigsten. Champions wie Shiffrin vertrauen auch am Tag X auf ihre Automatismen, egal wie hoch der Erwartungsdruck ist, egal, welche Bestmarke auf dem Spiel steht.
Sinnbildlich: Am Sonntag in Kranjska Gora erzählte Shiffrin, dass sie selten so nervös gewesen sei wie vor diesem zweiten Durchgang, der ihr die Bestmarke bescheren konnte. Und doch feierte sie diesen historischen Sieg völlig überlegen mit zwei Laufbestzeiten. „Rennen zu gewinnen, ist schwierig“, sagt sie. „Auf dem Weg dahin möchte ich einfach stolz auf meine Schwünge sein und was ich mit ihnen erreichen kann. Das ist das Einzige, das mir in dieem Sport etwas zurückgibt, weil das Gerede über die Rekorde gibt mir nichts anderes als Druck.“
▶ Rückschläge überwinden. Shiffrin hatte ihre Zukunft als Skifahrerin infrage gestellt, als 2020 ihr Vater plötzlich tödlich verunglückte. Doch nach und nach fand sie wieder ihre Motivation und Form.
Sie ist auch kaum wiederzuerkennen im Vergleich zu Olympia in Peking vor knapp einem
Jahr, als sie nach drei Ausfällen völlig ratlos abreiste – die größte sportliche Niederlage ihrer Karriere. Shiffrin gelang es umgehend, die richtigen Schlüsse zu ziehen, am Ende des Winters fuhr sie ihren vierten Gesamtweltcup ein.
Das jüngste Beispiel: Ausgerechnet bei ihren geliebten Heimrennen Ende November in Killington verpasste Shiffrin die Podestplätze. Sie antwortete, indem sie nun sechs der vergangenen sieben Weltcuprennen gewann. „Im Moment fühlt es sich an, als würde ich auf einer Welle reiten“, erzählt sie. „Und ich werde sie solange reiten wie möglich. Weil das Einzige, das ich wirklich weiß, ist, dass sie irgendwann zu Ende ist und ich diejenige sein werde, die die Niederlage einstecken wird.“